Die alte Dame lächelt. Dazu hat sie allen Grund. Denn so schön restauriert sieht man ihr nicht an, dass sie schon 2.000 Jahre auf dem Buckel hat.
Vittoria Alata, die Siegesgöttin, ist das Wahrzeichen der Stadt Brescia in der gleichnamigen norditalienischen Provinz, die zur Lombardei gehört. Natürlich muss jeder Besucher der Bronzefigur seine Aufwartung machen. Schließlich gehört sie zum römischen Unesco-Weltkulturerbe der Stadt, ebenso wie der von Kaiser Vespasian errichtete Tempel und das Amphitheater daneben.
Weltkulturerbe ist aber auch – obgleich geschichtlich aus einer anderen Zeit – das unweit entfernte ehemalige Kloster San Salvatore. Es ist Teil der »Orte der Macht«, als von 568 bis 774 nach Christus die Langobarden in diesem Teil Italiens herrschten. Heute ist im Kloster das Stadtmuseum mit 11.000 Funden und Kunstwerken untergebracht.
Von Venedig regiert
Doch nicht nur diese beiden Zeiträume sind in Brescia, das ziemlich genau in der Mitte zwischen Mailand und Verona liegt, baulich präsent. Die fast dreihundertjährige Herrschaft der Stadtrepublik Venedig ist besonders auf der Piazza della Loggia zu spüren, dem zentralen Platz der Stadt. Im dortigen Renaissancepalast zog der venezianische Statthalter die Fäden. Aber auch der alte, im 11. Jahrhundert erbaute Dom und der neue Dom aus dem 17. Jahrhundert unmittelbar daneben laden zur Zeitreise ein.
All das ist ganz selbstverständlicher Bestandteil des modernen Brescia mit seinen knapp 200.000 Einwohnern, das sich bei aller steingewordenen Geschichte auch eine U-Bahn unter historischem Boden leistet. Denn die Stadt ist immer noch wohlhabend dank ihrer Industrie. Seine Bewohner wissen auch zu leben, wie sich in den Geschäften, auf den Märkten und in den Restaurants zeigt.
Im Oldtimer nach Rom
Von einstiger und auch neuer Pracht kündet etwa das Café im Foyer des Teatro Grande, wo man sich ein Glas Pirlo reichen lassen kann, ein speziell in Brescia kreierter Aperitif aus jeweils einem Drittel Wein, Campari und stillem Wasser.
Kein Getränk, das man bei der diesmal vom 11. bis 15. Juni ausgetragenen Mille Miglia, der berühmten Oldtimer-Ausfahrt über 1.000 Meilen von Brescia nach Rom und zurück, den Fahrern ausschenken sollte. Zwar geht es nicht um Geschwindigkeitsrekorde. Aber trotzdem sollte die Reaktionszeit nicht durch Alkohol getrübt sein. Unbedenklich ist dagegen eine letzte Stärkung mit der örtlichen Pasta-Spezialität, den »Casoncelli«, einer Art Ravioli, deren Verbreitungsgebiet über die Stadt hinausreicht.
Auch in den kleinen Städten und Dörfern der Region kann man die jeweilige Variante dieser Pasta kosten. Und auf dem Land ist auch zu spüren, dass dort vorhandene historische Gebäude mit viel Engagement wieder mit Leben gefüllt werden. Ein schönes Beispiel dafür ist die aus dem 15. Jahrhundert stammende Wasserburg in Padernello, die malerisch im Sonnenschein daherkommt, bei schlechtem Wetter durchaus aber auch Kulisse eines düsteren Films sein könnte.
Ein Koch als Maler
Früher gehörte die Burg einer adeligen Familie, jetzt ist sie in Staatsbesitz. Aber erst dank privater Initiative konnte ihr neues Leben eingehaucht werden. Nun gibt es eine Stiftung, deren Mitarbeiter sich um das Gebäude mit seinen 107 Räumen kümmern, dort Veranstaltungen und Ausstellungen organisieren und die Geschichte des Orts wachhalten. Wie etwa die von dem Koch, der gleichzeitig Maler war.
Eine neue Kreativität hat aber nicht nur in der Burg Einzug gehalten, sondern auch in der Umgebung. Wenige hundert Meter entfernt hat der Künstler Giuliano Mauri etwas geschaffen, was definitiv keinen Ewigkeitsanspruch hat. Die Ponte San Viglio aus Kastanienästen ist auf Vergänglichkeit angelegt. Als Erinnerung, die aber bleibt.
Das war mit seinem Projekt »Floating Piers« auch dem Verpackungskünstler Christo gelungen, der 2016 den Iseo-See begehbar gemacht hat, sodass der ungleich bekanntere Gardasee 16 Tage lang mal nicht so sehr im Mittelpunkt des Interesses stand. Freilich hat auch der Teil des Gardasees, der zur Provinz Brescia gehört, einiges zu bieten.
Römische Villa am See
Im kleinen Ort Desenzano ist es nicht nur das klassische Italiengefühl, das durch die Boote und das blaue Wasser im Sonnenschein nahezu automatisch entsteht. Es sind auch kleine Geschäfte, in denen noch die Handarbeit gepflegt und weiter vermittelt wird wie etwa in der Lederwerkstatt El Mato del Cuoio.
Es sind aber auch die Spuren der Römer, die hier besonders beeindrucken. Speziell die Ausgrabung einer Villa, die im 2. Jahrhundert nach Christus hier errichtet, mehrfach erweitert und umgebaut wurde, bis ein Brand im fünften Jahrhundert die Anlage zerstörte.
Jetzt, als Freiluftmuseum, fühlt man sich trotzdem den Menschen, die hier einst lebten, sehr nahe. Denn das entspannte Lebensgefühl, das sich am Gardasee einstellt, dürfte über Jahrtausende ähnlich gewesen sein. (GEA)