BERLIN. Wenn es um Begriffe geht, die komplexe Sachverhalte prägnant zusammenfassen, sind die Amerikaner oft nicht zu schlagen. »Trump-proof« ist ein gutes Beispiel. Übersetzt bedeutet das so viel wie »Trump-sicher«. Es geht darum, die eigene Politik auf eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump vorzubereiten. Wie sichert der Westen seine Ukraine-Strategie so ab, dass der Republikaner sie nicht komplett einreißt, sobald er ins Weiße Haus einzieht? Wie wird ein Friedensszenario für den Nahen Osten so weit vorangetrieben, dass Trump hier keinen neuen Schaden anrichten kann? Es waren diese beiden Fragen, die beim kurzen Besuch von Amtsinhaber Joe Biden in Berlin ganz oben auf der Tagesordnung standen.
Biden traf im Kanzleramt zunächst auf den Hausherrn. Olaf Scholz und er telefonieren regelmäßig. Als der SPD-Politiker im März letzten Jahres zu Gast im Weißen Haus war, hatte er gut anderthalb Stunden beim US-Präsidenten. Das ist mehr Zeit, als andere bekommen. Scholz hat Deutschland nach den USA zum zweitgrößten Unterstützer der Ukraine ge-macht. Er half dem Amerikaner vor wenigen Wochen beim größten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen, durch den der sogenannte »Tiergartenmörder« freikam, der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Als Biden die Freundschaft mit Scholz mehrfach würdigte und sie als Garant für »die Stabilität in Europa« bezeichnete, hatte das also handfeste Gründe.
»Die Zukunft der Ukraine liegt in der Nato. Auf dem Weg dorthin gibt es jedoch noch einiges zu tun«
Die andere Seite der Medaille wurde zuvor beim Anflug auf Berlin in der »Air Force One« deutlich. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan unterrichtete die gut zwei Handvoll US-Journalisten in der Präsidentenmaschine über den aktuellen Stand – und kaum jemand fragte zum Berlin-Besuch nach. Das Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an den Deutschen ist seit dem Ausscheiden von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spürbar ge-sunken.
Für Biden ist das ein Dilemma. Er muss sich einerseits mit den europäischen Nato-Partnern eng abstimmen, wenn es um immer neue Milliardenzahlungen für die Unterstützung der Ukraine geht. In seiner Heimat jedoch tobt ein Wahlkampf, in dem viele Amerikaner der Auffassung sind, dass es den Ukraine-Krieg mit einem Präsidenten Trump gar nicht erst gegeben hätte – und dass man doch die Europäer einfach ihrem Schicksal überlassen sollte. Der Führer der freien Welt hielt wohl genau aus diesem Grund keine Pressekonferenz ab – wofür er nicht nur auf amerikanischer Seite kritisiert wurde – die Ergebnisse des Treffens blieben eher im Vagen. Beide sicherten der Ukraine ihre Unterstützung zu, Scholz erinnerte an den Beschluss der G7-Partner, das angegriffene Land bis Ende des Jahres mit einem Paket von 50 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Auch Frankreich und Großbritannien, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron sowie der britische Premier Keir Starmer kamen später zum Treffen dazu, stehen hinter diesem Plan.
Das Geld ist wichtig, aber der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will mehr. Er wäre mit seinem Land gerne schnell Mitglied der Nato. Das jedoch lehnt die Allianz ab. Biden habe, erinnerte Sicherheitsberater Sullivan, auf dem Washingtoner Gipfel im Sommer klargemacht, dass »die Zukunft der Ukraine« in der Nato liege. Auf dem Weg dorthin gebe es jedoch »noch einiges zu tun«.
»Wir tragen Sorgedafür, dass dieNato nicht zur Kriegspartei wird«
Die vier großen Nato-Staaten schweigen außerdem demonstrativ zu Selen-skyjs »Siegesplan«. Er beinhaltet neben der zügigen Aufnahme in die Militärallianz die Ausweitung des Krieges auf russisches Territorium – verbunden mit dem Einsatz weitreichender westlicher Raketen. Scholz wies das im Beisein Bidens erneut zurück. »Gleichzeitig tragen wir Sorge dafür, dass die Nato nicht zur Kriegspartei wird, damit dieser Krieg nicht in eine noch größere Katastrophe mündet«, sagte er.
Was mögliche Fortschritte im Bemühen um einen Frieden in Nahost anging, gab es von dem Treffen keine Neuigkeiten zu vermelden. Die Tötung des Hamas-Führers Jihia al-Sinwar eröffne hoffentlich den Weg hin zu Waffenstillstand und Frieden, machten Biden und Scholz deutlich. Handfest war da unterm Strich wohl nur die Medaille, die Biden am Vormittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht bekam: Die »Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik« ist die höchste Auszeichnung, die Deutschland zu vergeben hat. Sie würdigt Bidens »jahrzehntelange Leidenschaft für das transatlantische Bündnis«, seine »herausragende politische Führung in diesem gefährlichen Moment Europas« und sein »bleibendes moralisches Leitbild von Dienst am Gemeinwohl, Aufrichtigkeit und An-stand«. (GEA)