REUTLINGEN. Alle Eltern wissen: Die ersten Wochen mit neugeborenem Baby sind zwar schön, aber anstrengend. Die Mutter ist oft noch geschwächt nach der Geburt, an Schlaf ist nicht zu denken und das Baby schreit. Weil diese Zeit so herausfordernd ist und, um sich von der Geburt zu erholen, haben Mütter einen Anspruch auf acht Wochen Mutterschutz nach der Geburt bei vollem Lohnausgleich. Väter gehen leer aus. Denn beim Gesetzgeber herrscht die Devise: Die Mutter kümmert sich, der Vater arbeitet. Aber wer kümmert sich um die Mütter?
Bislang ist es in den meisten Familien deshalb üblich, dass Väter einen Großteil ihres Jahresurlaubs für die Zeit rund um die Geburt reservieren. Oder auch, dass der Vater einen Monat Elternzeit unmittelbar nach der Geburt des Kindes nimmt. Diese hat aber mehrere Haken: Nach einer Neuregelung dürfen Eltern nur noch in einem Monat gemeinsam Elternzeit beantragen. Das Wochenbett dauert acht Wochen, vier Wochen ist die Frau also dennoch allein zuständig. Zudem müssen Väter, um die zusätzliche Elternzeit zu bekommen, insgesamt mindestens zwei Monate beantragen. Und die Elternzeit ist mit erheblichen finanziellen Einbußen verbunden. Das Elterngeld beträgt nämlich nur 65 Prozent des monatlichen Netto-Einkommens und ist auf 1800 Euro im Monat gedeckelt. Können oder wollen sich das die Eltern nicht leisten, bleibt der Frau am Ende oft nichts anderes übrig, als doch allein klarzukommen. Gleichberechtigung, wie sie von allen Ampelparteien immer wieder propagiert wird, sieht anders aus.
EU-weiter Anspruch auf Vaterschaftsurlaub
Die EU will hier für mehr Gleichberechtigung sorgen und hat schon im Jahr 2019 einen Anspruch der Väter - oder eines anderen Partners der Mutter, etwa bei Alleinerziehenden - auf zehn Tage voll bezahlten Sonderurlaub in einer Richtlinie festgelegt. Deutschland hätte diese Richtlinie bis 2. August 2022 umsetzen müssen. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel-Regierung ebenfalls einen Anspruch auf sogenannte »Familienstartzeit« festgehalten. Doch passiert ist bisher nichts.
Die EU-Kommission leitete deshalb im September 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Im Sommer 2023 wurde es jedoch eingestellt. Eine Kommissionssprecherin teilt dazu mit, die Kommission sei der Ansicht gewesen, »dass Deutschland inzwischen die erforderlichen Rechtsvorschriften erlassen hatte«. Auf GEA-Nachfrage, welche Rechtsvorschrift gemeint sei, teilt die Kommissionssprecherin mit, dass man aktuell prüfe, ob die Elternzeit nach deutschem Recht die EU-Richtlinie tatsächlich voll erfülle. Das Familienministerium ließ nämlich bereits vor zwei Jahren verlauten, dass man davon ausginge, Elternzeit und Elterngeldregelungen in Deutschland genügten, um die Richtlinie zu erfüllen. Ob das die EU auch so sieht, wird sich zeigen. Nach Ansicht des Bundes stehen Vätern aber hierzulande also längst genügend Möglichkeiten zu, nach der Geburt freizunehmen.
Vater verklagt Bundesrepublik auf Schadensersatz
Ein Vater will das nicht hinnehmen. Er verklagt die Bundesrepublik jetzt auf Schadensersatz. Als sein zweiter Sohn im August 2023 geboren wurde, beantragte er bei seinem Arbeitgeber die Familienstartzeit von zwei Wochen Sonderurlaub mit Lohnfortzahlung. Sein Arbeitgeber lehnte ab, mit Hinweis darauf, dass die EU-Richtlinie in Deutschland nicht umgesetzt sei. Er musste also zwei Wochen seines regulären Erholungsurlaubs in Anspruch nehmen, die ihm später im Jahr fehlten. Hätte er Elterngeld beantragt, hätte er finanzielle Einbußen gehabt. Nach Aussage des Vaters, hätte sein Arbeitslohn in der Zeit der 10 Tage Vaterschaftsurlaub allein schon 2000 Euro betragen - also mehr als die 1800 Euro Elterngeld pro Monat. Die Summe von 2000 Euro will er nun von Deutschland als Schadensersatz einklagen. Vertreten wird er dabei von der auf Arbeitsrecht und Belange rund um die Elternschaft spezialisierten Anwältin Sandra Runge. Mit im Juristenteam ist auch Remo Klinger, Anwalt für Verwaltungsrecht. Letzterer hatte schon einmal Erfolg gegen den Staat. Er konnte für die Deutsche Umwelthilfe Dieselfahrverbote vor Gericht durchsetzen.
Ob die Klage Aussicht auf Erfolg hat, ist aktuell noch nicht klar. Anwältin Sandra Runge gibt sich in der Wirtschaftswoche aber optimistisch. Sie berichtet, dass sich seit der Einreichung der Klage viele Väter bei ihr gemeldet hätten, die ebenfalls klagen wollten. Zuversichtlich stimmt zudem, dass die Bundesregierung wohl selbst mit der aktuellen Regelung rund um den Vaterschaftsurlaub nicht ganz zufrieden ist. Wenn Elternzeit und Elterngeld ausreichen würden, warum hätte dann die Ampel-Koalition die Einführung einer Familienstartzeit in den Koalitionsvertrag geschrieben? Diese orientiert sich ziemlich genau an den Vorgaben der EU-Richtlinie und sieht nach der Geburt eines Kindes zehn Tage Partnerschaftsfreistellung bei vollen Bezügen vor.
Streit um Finanzierung der Familienstartzeit
Inzwischen gibt es auch einen Referentenentwurf, der schon seit einem Jahr in der Ressortabstimmung zwischen Familien- und Finanzministerium feststeckt. Auch wenn Finanz- und Familienministerium die aktuellen Pläne nicht kommentieren wollen, ist klar, woran die Umsetzung der Pläne bislang scheitern: Es gibt wieder einmal Streit um die Finanzierung. Während das grün geführte Familienministerium die zwei Wochen Familienstartzeit für Väter wie den Mutterschutz per Umlagenprinzip über die Arbeitgeber finanzieren will, sperrt sich das FDP-geführte Finanzministerium gegen die Pläne. Die Unternehmer seien in diesen Zeiten sowieso schon genügend belastet, heißt es dort. Man wolle die Familienstartzeit lieber mit Steuermitteln bezahlen. Insgesamt geht es um geschätzte jährliche Mehrkosten von rund 556 Millionen Euro, die die Arbeitgeber aufbringen müssten, wenn der Referentenentwurf doch beschlossen würde.
Pro Tag werden in Deutschland rund 2.000 Kinder geboren. Seit der Nichteinführung der EU-Richtlinie im August 2022 hätten somit die Väter von rund 1,1 Millionen Kindern Anspruch auf zwei Wochen Vaterschaftsurlaub nach der Geburt haben können. Die Väter, die ihren Anspruch nun einklagen, werden die Zeit mit ihrem Neugeborenen nicht wieder zurückbekommen. Sie und ihre Anwälte hoffen aber darauf, dass sie einen Präzedenzfall haben und so Vätern in Zukunft diese Zeit ermöglichen - unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. (GEA)