REUTLINGEN. Flüchtling, Lesbe, Behinderter: Darf man das noch sagen? Da gehen die Meinungen auseinander. Manche empfinden diese Begriffe als diskriminierend. Astrid Franke etwa. Sie ist Professorin für Amerikanistik und Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen und meint: »Menschen, die verletzende Begriffe verwenden, üben damit Macht über diejenigen aus, die sie damit verletzen wollen.« Dabei kommt es ihr auf die aktuelle Bedeutung der Worte an: »Die Geschichte und die Herkunft der Worte sind weitgehend unwichtig. Was bedeuten sie heute und was wird mit ihnen ausgedrückt, ist entscheidend.« Einerseits eignen sich viele Begriffe nach Ansicht von Franke als Beschimpfungen. Da komme es auf den Zusammenhang an, den Tonfall und die Begleitwörter – zum Beispiel »du Verdammter« oder »du Dreckige«. Andererseits freut es die Wissenschaftlerin, dass inzwischen mehr Menschen sensibel mit Sprache umgehen.
Doch es gibt auch die Gegenseite. Dazu gehören Peter Köpf und Zana Ramadani. Er: Arbeitersohn, »alter weißer Mann« und Journalist. Sie: Flüchtlingskind, Muslima und Feministin. Zusammen haben sie ein Buch geschrieben. »Woke« (Quadriga 2023) heißt es und handelt davon, »wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht«. Die Kritik richtet sich gegen Menschen, die »glauben, gegen Rassismus und Sexismus, für das Klima und für die Rechte von allerlei Minderheiten zu kämpfen, die sie für benachteiligt halten«. Der Vorwurf: Es handelt sich um eine moralisierende, selbstgerechte Minderheit, die Andersdenkende pauschal als Rechte und Rassisten abkanzelt. Die sich in Hochschule, Politik und Presse größtenteils durchgesetzt hat. Die der Mehrheit ihre Regeln aufzwingt. Die Folge: Weite Teile der Gesellschaft fühlten sich von den öffentlichen Institutionen nicht mehr vertreten und schlügen sich aus Protest auf die Seite der Rechtspopulisten.
Dieser Kulturkampf wird auf vielen Feldern ausgetragen. Auch Sprache wird zur Kampfzone. Dort entzündet sich der Konflikt an bestimmten Worten. Der GEA stellt einige vor – mit Für und Wider.
Neger

Im modernen Sprachgebrauch ist das deutsche Wort Neger negativ belegt. Für die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Astrid Franke ist eindeutig: »Es ist ein diffamierendes Wort und es ist herabwürdigend für Menschen mit schwarzer Hautfarbe benutzt worden. Es spiegelt die Machtverhältnisse des Kolonialismus.« Das amerikanische Pendant ist ein Schimpfwort, dass sich afroamerikanische Rapper angeeignet haben, um die Bedeutung herumzudrehen und dem Wort den Stachel zu nehmen. Das Phänomen gebe es auch bei anderen Wörtern und sei eine Form von Widerstand. Frankes Fazit: »Beide N-Worte sind tabu.«
Boris Palmer ist da anderer Meinung – zumindest teils. »Uschi Glas hat N@ger gesagt«: Den Ausspruch der Schauspielerin nimmt der parteilose Tübinger Oberbürgermeister kürzlich zum Aufhänger für ein eigenes Facebook-Post. Dort wehrt er sich gegen die »mediale Erregungswelle« und die »Sprachbereinigung« anlässlich des umstrittenen Worts, an dessen Gebrauch Glas sich aus ihrer Kindheit erinnert: »Das Wort N@ger unabhängig vom Kontext und nicht einmal zur Einordnung historischer Begebenheiten aus dem Sprachgebrauch zu verbannen, dient der Machtausübung der woken Community«, kritisiert Palmer. Außerdem zeuge die Änderung im Nachhinein von einem »rassistischen Paternalismus« gegenüber den »angeblich zu schützenden Menschen«. Denn damit unterstelle man schwarzen Menschen eine »irrationale und nicht kontrollierbare Verletzlichkeitshypersensibilität, die mit der Vernunftbegabung menschlicher Wesen nicht in Einklang zu bringen ist«.
Palmer lehnt die »Skandalisierung« ab. Er ist der Ansicht: »So entsteht ein repressives Meinungsklima. Ein Wort kommt auf den Index. Wer sich nicht daran hält, dass man es nicht sagen darf, wird bestraft. Die Methode ist geeignet, eine offene Gesellschaft und liberale Entscheidungsprinzipien zu untergraben.« Zudem sei das Verbot kontraproduktiv: »So beseitigt man Rassismus nicht, so verfestigt man ihn, weil man den Leuten auf den S-Wort geht.« All diese Einwände bezieht Palmer ausdrücklich auf die nachträgliche Korrektur früher gebräuchlicher Begriffe. Für den Sprachgebrauch im Hier und Jetzt stellt er dagegen klar: »Als Beleidigung ist das Wort strafbar. Als Gruppenbezeichnung heute völlig inakzeptabel. Darüber kann es keinen Dissens geben.«
Flüchtling
Warum »Flüchtling« von vielen Menschen gemieden wird, obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention den Begriff sogar im Titel trägt? »Nach der großen Welle an Flüchtlingen, die 2015 vor allem vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen waren, fiel auf, dass die Endung ›-ling‹ in Flüchtling etwas Abwertendes hat, so wie bei ›Schädling‹«, weiß die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Astrid Franke. Ein Wendepunkt sei die Platzierung des Worts »Flüchtlingsbekämpfung« auf der Liste der Unwörter des Jahres 2009 gewesen. »Flüchtlingsbekämpfung wie Schädlingsbekämpfung«, so Franke. Das sei eine Entmenschlichung. Darum seien viele dazu übergegangen, von Geflüchteten zu sprechen. Zumal der Begriff Flüchtling signalisiere, dass die Flucht noch andauere. »Geflüchtete« bedeute jedoch, dass die Flucht vorbei sei. Astrid Franke: »Flüchtling ist in vielen juristischen Texten als rechtlicher Begriff festgeschrieben. Schöner wäre es, Geflüchtete zu sagen.«
»Flüchtling«, »Geflüchteter«, »Mensch mit Migrationshintergrund«: Der Begriff ist Zana Ramadani egal. Die Albanerin aus Mazedonien floh 1991 mit ihren Eltern vor dem Kosovokrieg nach Deutschland. Sich selbst bezeichnet die Wahlberlinerin als Flüchtlingskind, Muslima und Feministin. Für Aufsehen sorgte sie zuletzt mit ihrem Buch »Woke. Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht« (Quadriga 2023). Ramadanis Argument gegen die Sprach-Sensibilität: »Wenn man den Begriff aus dem Wortschatz streicht, dann streicht man damit nicht zugleich die Vorurteile im Kopf.« Was Ramadani besonders stört: »Gegen bestimmte Begriffe machen selbst ernannte Fürsprecher mobil.« Dabei handele es sich meist um »wenige Kreischer«, aufgebläht zu Scheinriesen von den sozialen Medien. Das spalte die Gesellschaft. »Die Betroffenen selbst haben andere Probleme.« Nämlich dieselben wie alle: Geht es meiner Familie gut, behalte ich meinen Job, kann ich die Miete bezahlen?
Statt Polarisierung wünscht sich Ramadani ein »ehrliches Miteinander«, wo klar gesagt wird: »Was müssen Migranten leisten, um ein Teil der Gesellschaft zu werden? Und was muss die Gesellschaft leisten, damit Migranten ein Teil werden wollen?« Ramadani hat die Vision einer »gemeinsamen deutschen Identität«. Alle sollten sich fragen: »Wie können wir den positiven Teil unserer Wurzelkulturen einbringen, damit Deutschland noch besser wird, als es jetzt schon ist?«
Mohrenkopf
Soll man geliebte Leckereien aus der Kindheit tatsächlich umbenennen? Ein vertrauter Name, der sich mit positiven, vielleicht sogar glücklichen Kindheitserinnerungen verbindet? Die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Astrid Franke sagt Ja und blickt dafür in die Kolonialzeit zurück.
»Lange Zeit wurden Menschen, die als Sklaven Zucker, Kakao, Kaffee oder Tee ernteten, auf den Produkten so dargestellt, als wenn sie nichts lieber tun, als uns Europäern diese Produkte zu servieren.« Eines der bekanntesten Werbemaskottchen war lange Zeit das einer Süßwarenfirma: der Sarotti-Mohr. »Das ist schon eine ziemliche Unverschämtheit, nämlich eine Verschleierung der Lebenswirklichkeit der Menschen hinter den Produkten, die wir konsumieren«, weiß Franke. Seit einigen Jahren heißen die beliebten Süßigkeiten aus Schaumzucker mit Schokoglasur und Waffelboden Schokoküsse. Das würde es doch viel besser treffen, findet Franke.
Der pensionierte ZDF-Moderator Peter Hahne kann die Kritik nicht nachvollziehen. »Der Mohrenkopf steht doch für etwas Schönes, Süßes, Schmackhaftes«, kontert der Autor in seinem Buch »Rettet das Zigeuner-Schnitzel!« (Quadriga 2014). Und wenn man erst mal anfange, wo solle man dann aufhören? »Die Frankfurter als Würstchen zu bezeichnen, darüber regt sich doch auch niemand auf. Hamburger, Berliner, Amerikaner – alle werden mit Genuss verspeist.« Sein Einwand: »Da hat die Neusprech-Correctness noch viel zu tun.«
Indianer
»Das Wort ist eine Fremdzuschreibung. Hervorgegangen aus dem Irrtum von Christoph Kolumbus, der dachte, er hätte Indien entdeckt und die Bewohner seien eben Indianer«, erklärt die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Astrid Franke. Die amerikanischen Ureinwohner hätten sich stets anders bezeichnet, nämlich nach ihren Stammesnamen. »Die Menschen nennen sich selbst beispielsweise Crow, Cherokee, Navajo, Native Americans oder First Nations.« Indianer sei dagegen auch ein Überbegriff für die amerikanischen Ureinwohner, die dann in der Kolonialzeit vielfach unterteilt worden seien in zwei Stereotypen: »Da gibt es den edlen Wilden und den bestialischen Wilden.« Selbst der heroisierend dargestellte amerikanische Ureinwohner sei weit weg von jeglicher Realität. Deshalb ist Frankes Fazit: »Indianer ist nicht das richtige Wort, deshalb vermeiden.«
Den Begriff »Indianer« sieht auch Gunter Lange kritisch. Trotzdem verwendet er ihn, weil er verstanden wird, dann aber in Anführungszeichen. Lange leitet das »Indigen: Das Nordamerika Filmfestival«, das alle zwei Jahre in Stuttgart stattfindet. Dort werden Filme von, mit und über Indigene aus Nordamerika gezeigt. Darin wird das Leben der Indigenen authentisch dargestellt, und zwar ihr Leben in der modernen Welt.
Lange Zeit trug das Festival den Beinamen »Indianer«. Denn die Alternativen seien nicht überzeugend, findet Lange. »Die Betroffenen wollen mit ihren Stammesnamen bezeichnet werden«, berichtet er. Zum Beispiel Attawapiskat, Chumash und Siksika. »Doch es gibt so viele Namen und die kennt keiner.« Zwar gebe es Sammelbezeichnungen. »Doch mit ›Native Americans‹ für Indigene in den USA fühlen sich auch Menschen angesprochen, die in den USA geboren, aber nicht indigen sind«, berichtet Lange. »Und ›First Nations‹ für Indigene in Kanada versteht in Deutschland niemand.«
Das Wort »Indigene« wiederum sei zu allgemein, denn es bezeichne alle »Ureinwohner« – egal wo. Außerdem komme es bei den Betroffenen nicht gut an, weiß Lange. Es werfe sie um Jahrhunderte zurück: Als sie noch in Zelten wohnten, auf Pferden ritten und Büffel jagten. Heute handele es sich aber um moderne Indigene, erklärt Lange. Sie lebten in Großstädten, führen Autos und studierten an Universitäten.
Trotzdem wurde der öffentliche Druck gegen das Wort »Indianer« irgendwann zu groß: Im gesamten deutschsprachigen Raum gilt es inzwischen als rassistisch. Das Festival-Komitee befragte seine indigenen Gäste – und erhielt ein gemischtes Echo: Indigenen aus den USA war die Bezeichnung egal; das sei nicht ihr Problem, meinten sie. Indigene aus Kanada dagegen lehnten den Begriff ab, er erinnere sie an die jahrzehntelange Zwangs-Umerziehung ihrer Kinder in staatlich-kirchlichen Internaten. Das gab den Ausschlag: Vor gut einem Jahr tauschte das Lange-Team »Indianer« gegen »Indigen«. Damit es nicht zu Missverständnissen kommt, heißt die Veranstaltung jetzt: »Indigen: Das Nordamerika Filmfestival«.
Behinderter
Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sagen nicht selten selbst: »Wir sind nicht behindert, vielmehr werden wir behindert.« Gerade bei nicht funktionierenden Aufzügen oder fehlenden Rampen für Rollstühle wird dies eine besonders anschauliche Feststellung. »Mit den Wörtern behindert oder Behinderung ist es schon deshalb nicht leicht, weil sie beschreibend und so auch in juristischen Texten festgeschrieben sind«, meint Franke.
Es gebe in Firmen und Institutionen Behindertenbeauftragte oder auch verschiedene Einstufungen von Schwerbehinderungen. »Es kann aber auch – mit dem entsprechenden Tonfall – beispielsweise auf dem Schulhof als Schimpfwort eingesetzt werden: Bist du eigentlich behindert?« Immer häufiger werde beispielsweise der Behindertenparkplatz lieber zum barrierefreien Parkplatz unbenannt. »Am besten, man fragt die Menschen einfach, wie sie bezeichnet werden möchten«, empfiehlt die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Astrid Franke.
Viele Betroffene haben erst mal nichts einzuwenden gegen den Begriff »behindert«. Denn aus ihrer Sicht handelt es sich dabei um die neutrale Beschreibung eines Merkmals. So nachzulesen auf Leidmedien.de: einem Online-Portal, das von Medienschaffenden mit und ohne Behinderung betrieben wird. Der Begriff sollte aber nicht allein stehen, damit würden die Beschriebenen auf ihre Behinderung reduziert. Besser seien Ausdrücke wie »behinderter Mensch« oder »Mensch mit Behinderung«. Sie signalisierten, dass die Person neben ihrer Behinderung viele weitere Eigenschaften besitze.
Schwuler/Lesbe
Hier komme die Benutzung der Wörter auf den Kontext an, so die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Astrid Franke: »Wieder das Beispiel Schulhof: Mit der Beschimpfung ›Bist du schwul, oder was?‹ soll eigentlich ausgedrückt werden, dass jemand verweichlicht ist«, so Franke. Gleichzeitig gebe es viele homosexuelle Menschen, die schwul oder lesbisch mit Selbstbewusstsein und Stolz verwendeten: »Nicht umsonst gibt es den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD).« Hier gelte, so Franke, einfach fragen, wie sie am liebsten selbst bezeichnet werden wollen.
Kerstin Thost von der LSVD-Pressestelle erklärt, dass die Begriffe zwar ursprünglich von anderen als Beleidigung verwendet wurden. »Aber die Community hat sie sich angeeignet, ins Positive gewendet und sich selbstbewusst so bezeichnet.« Zu diesem Bedeutungswandel beigetragen habe die Bürgerrechtsbewegung – in den USA seit den 70ern, in Deutschland seit den 80ern.
Schwarzfahren

Bei diesem Wort werde besonders deutlich, dass sein Ursprung keine Rolle mehr spiele, sondern wie der Begriff aktuell verstanden werde, erklärt die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Astrid Franke. Ursprünglich umschrieb Schwarzfahren etwas, das im Dunkeln, im Verborgenen passierte. Ähnlich wie bei den Begriffen Schwarzmarkt und Schwarzarbeit. »Heute hat Schwarzfahren eine andere Bedeutung. Schwarze Menschen, solche mit dunkler Hautfarbe, könnten sich diskriminiert fühlen, weil sie mit strafrechtlichen und kriminellen Handlungen in Verbindung gebracht werden«, so Franke.
Viele Verkehrsverbünde seien deshalb dazu übergegangen, Schwarzfahren nicht mehr zu verwenden, sondern sprächen vom »Fahren ohne gültiges Ticket«. Sprache verändere sich ständig. Es komme in der Geschichte häufig vor, dass Begriffe einmal neutral waren und dann negative Bedeutungen bekämen. Schwarz oder dunkel sei in vielen europäischen Sprachen eher negativ behaftet. Im Gegensatz zu hell oder Licht. Um Diskriminierung zu vermeiden, ist Frankes Empfehlung an Verkehrsunternehmen: Lieber auf den Begriff Schwarzfahren verzichten. (GEA)