BERLIN. Impfen als Pflicht? Die Diskussion darüber hat sich auch an Masernausbrüchen in Schulen entzündet. Dort sind manchmal zu wenige Kinder immunisiert. Geht es ums Impfen, wird es schnell emotional. Argumente von Impfbefürworten treffen auf Äußerungen von Impfgegnern. Was stimmt und was stimmt nicht? Ein Faktencheck.
- Ist die Zahl der Impfgegner in Deutschland gestiegen?
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung untersucht regelmäßig die Einstellung zum Impfen. Die jüngste Befragung von 2016 zeigt, dass der Anteil der Impfbefürworter gestiegen ist – von 69 Prozent im Jahr 2014 auf 77 Prozent 2016. Der Anteil der Befragten mit Vorbehalten gegen Impfungen ist dagegen deutlich gesunken, von 25 Prozent 2014 auf 18 Prozent 2016. Der Anteil der Befragten mit einer ablehnenden oder eher ablehnenden Haltung ist leicht gesunken, von 6 Prozent 2014 auf 5 Prozent 2016.
- Kann eine Krankheit ausbrechen, weil man sich impfen lässt?
Die meisten Impfstoffe heute sind Impfstoffe, in denen nur noch Teile des Erregers vorkommen", erläutert Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). In diesen Mitteln seien also keine vermehrungsfähigen Erreger, die Krankheiten auslösen könnten. Im Unterschied dazu gebe es Lebendimpfstoffe, die abgeschwächte Varianten eines Erregers enthielten. Beispiele dafür sind Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln und Gelbfieber. "Diese Erreger können sich begrenzt vermehren", sagt Cichutek. "Aber sie können die entsprechende Infektionskrankheit nicht auslösen."
- Gibt es Ausnahmen?
Im Ausland könne es auf drei bis vier Millionen mit Polio-Lebendimpfstoff – der in Deutschland nicht mehr gegeben wird – immunisierte Menschen im Schnitt bei einem Menschen zu Rückmutationen kommen, sagt Cichutek. Das heißt, dass dieser Mensch durch die Impfung Polio bekommt. Dieses sehr seltene Risiko werde aber toleriert, um Polio weltweit ausrotten zu können – und damit noch mehr Menschen vor dem Tod oder lebenslangen Behinderungen zu bewahren.
Bei den Masern gibt es zudem eine Besonderheit. So bekämen etwa 5 bis 15 Prozent der Geimpften besonders nach der ersten Masern-Immunisierung sogenannte »Impfmasern« mit mäßigem Fieber, flüchtigem Ausschlag und Symptomen im Bereich der Atemwege. Meist passiere das in der zweiten Woche nach der Impfung. Impfmasern seien aber nicht ansteckend und verursachten nur milde Symptome, die von selbst abklingen.
- Hilft es der Gesellschaft, wenn man sein Kind impfen lässt?
Der Gemeinschaftsschutz, die sogenannte Herdenimmunität, ist nach Angaben des Robert Koch-Instituts ein wichtiger Vorteil beim Impfen.
- Können Impfungen Autismus, Allergien und Plötzlichen Kindstod verursachen?
Das Gerücht, insbesondere die Masernimpfung könne Autismus verursachen, geht auf eine Untersuchung an nur zwölf Kindern zurück", sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Die Studie eines britischen Arztes sei jedoch methodisch so fehlerhaft gewesen, dass das Fachmagazin The Lancet die Veröffentlichung aus dem Jahr 1998 im Jahr 2011 zurückgezogen habe. Der Autor hat seine Zulassung als Arzt in Großbritannien verloren. Unter anderem, weil ihm Interessenkonflikte nachgewiesen worden seien. "Es gibt keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Impfstoffen und Autismus", betonte Cichutek.
Das gelte auch für Allergien. Als ein Beleg dafür gilt unter anderem, dass es in der DDR trotz Impfpflicht kaum Allergien gab. Es gebe sogar Hinweise darauf, dass Impfungen das Risiko für die Allergie-Entwicklung verringern können.
Auch beim plötzlichen Kindstod (SIDS) wurde kein Zusammenhang mit Impfungen nachgewiesen.
- Belastet eine Impfung das Immunsystem von kleinen Kindern zu stark, weil es noch nicht voll ausgereift ist?
»Das Immunsystem von kleinen Kindern ist dafür ausgerüstet, sich mit Krankheitserregern auseinanderzusetzen«, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Das Immunsystem des Menschen entwickele sich durch Training. »Dieses Training sollte so früh wie möglich beginnen, und zwar mit einem ungefährlichen Trainingspartner«, ergänzt er. Impfstoffe zählten dazu. Echte Krankheitserreger seien ohne ein trainiertes Immunsystem sehr gefährlich, zum Teil lebensgefährlich.
- Braucht man gegen Polio keine Impfung, weil es die Krankheit nicht mehr gibt.
Polio (Kinderlähmung) gilt in Deutschland nach der großen Schluckimpfungskampagne ab 1962 heute als ausgerottet. Die letzten beiden importierten Fälle (aus Ägypten und Indien) wurden 1992 registriert. Trotz des weltweiten starken Rückgangs der Poliomyelitis könne aber eine Einschleppung von Polioviren nach Deutschland nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die Impfung sei so lange notwendig, bis nirgendwo auf der Welt mehr Polioviren zirkulierten.
Heute wird in Deutschland keine Schluckimpfung mit Lebendimpfstoff mehr gegeben, sondern inaktiver Impfstoff gespritzt. Damit gibt es kein Risiko einer Erkrankung durch diesen Impfstoff.
- Muss man Masern durchmachen, weil das den Körper stärkt?
Masern sind keinesfalls harmlos. Ein Drittel bis zur Hälfte der Fälle, die bisher an das Robert Koch-Institut gemeldet wurden, mussten im Krankenhaus behandelt werden. Denn Masernviren unterdrücken die Immunabwehr, sodass andere Krankheitserreger zum Zug kommen und zum Beispiel eine Lungenentzündung verursachen können. Pro Jahr werden in Deutschland laut Gesundheitsberichterstattung durchschnittlich 4 bis 7 Todesfälle registriert, die auf eine Maserninfektion zurückzuführen sind. Vor Einführung der Impfung wurden in Deutschland um die 100 Todesfälle pro Jahr registriert. (dpa)