BERLIN. Es gehört zum Wesen dieser Bundesregierung, Besserung zu geloben. Nach jedem gerade noch so abgebogenen Streit sind sich SPD, Grüne und FDP absolut einig darin, dass jetzt aber wirklich die Zeit gekommen sei, das Gemeinsame zu suchen. So war das auch im Januar, als die Ampelparteien mit Ach und Krach – und viel Verspätung – ihren Finanzplan für das bereits laufende Jahr zusammengezimmert hatten. Der Streit ums Geld hätte die Koalition damals um ein Haar zerrissen. Kein halbes Jahr ist vergangen – und die Regierung streitet erneut ums Geld.
Immerhin, dieses Mal sind Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner früher dran, doch ihr Ziel, schon kommende Woche einen Haken hinter den Haushalt 2025 zu setzen, galt schon länger als unerreichbar. Gestern verabschiedeten sich die Akteure auch offiziell von ihrem ursprünglich anvisierten Termin 3. Juli. Angeblich, so hat es Bundesfinanzminister Lindner erzählt, ist die Gesprächsatmosphäre der drei entscheidenden Herren hinter verschlossenen Türen recht entspannt. Doch draußen, auf offener Bühne, sprechen seine Liberalen schon vom Aus für die Ampel.
SPD treibt Kanzler vor sich her
Knackpunkt ist die Frage, ob der Staat zusätzliche Schulden aufnehmen sollte, um in die bröckelnde Infrastruktur und die lahmende Wirtschaft zu investieren, und zugleich die Kosten für Soziales oder die Unterstützung der Ukraine stemmen zu können. Vor allen die SPD ist lautstark dafür und treibt den Kanzler vor sich her.
Die FDP allerdings kämpft vehement dagegen, die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse zu lösen. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki schloss sich einer Gruppe von 30 jüngeren FDP-Abgeordneten an, die eine Einhaltung der Schuldenbremse zur Bedingung für das Überleben der Koalition gemacht hatten: »Wer die Verfassung brechen will, wird das nur ohne uns tun können.« Die Grünen liegen in der Sache zwar näher bei der SPD, auch sie wollen mehr Flexibilität, bemühen sich aber bislang, eine neuerliche Eskalation zu vermeiden.
Die Ausgangslage für die »Drei von der Zankstelle« ist so klar wie unerfreulich: Im bisherigen Entwurf des Haushaltes fehlen rund 25 Milliarden Euro. Lindner fordert seine Kolleginnen und Kollegen im Kabinett deshalb auf, sich von teuren Projekten oder Zusatzwünschen zu verabschieden. Lediglich Verteidigungsminister Boris Pistorius und Innenministerin Nancy Faeser können darauf hoffen, halbwegs ungeschoren davonzukommen, weil äußere und innere Sicherheit besondere Priorität genießen. Alle anderen sollen kürzen beziehungsweise Prioritäten setzen. Vor allem im Auswärtigen Amt, im Arbeitsministerium und bei der Entwicklungshilfe sieht Lindner angeblich Potenzial. Allesamt keine FDP-geführten Abteilungen, was die Kompromissbereitschaft auf der anderen Seite des Tisches nicht unbedingt erhöhen dürfte.
Zu den Optionen, die auf diesem Tisch liegen, um die Finanzlücke zu schließen, gehört die Begründung neuer Schulden durch eine nationale Notlage. SPD-Chefin Saskia Esken ist der Meinung, dass die milliardenschweren Hilfen für die von Russland angegriffene Ukraine Anlass genug dafür wären. »Die Ausnahmeregel ist verfassungsgemäßer Teil der Schuldenbremse und keine Aufweichung«, sagte sie. Unter den Sozialdemokraten geht die Befürchtung um, es könnte ausgerechnet auf Kosten der finanziell Schwächeren gespart werden. Ob Esken den eigenen Kanzler auf ihrer Seite hat, ist fraglich. Scholz wich im ARD-Sommerinterview der Frage, ob er einen solchen Schritt für denkbar halte, mehrfach aus. Sein Nachsatz dürfte die SPD-Vorsitzende aber hellhörig gemacht haben. Es gehe darum, erst einmal die eigenen Hausaufgaben zu machen und nicht einen bequemen Ausweg zu suchen, sagte der Regierungschef. Tags darauf versprach er der schwächelnden deutschen Industrie Entlastungen. Nur mit welchem Geld?
Letzte Quellen anzapfen
Das große Rechnen läuft seit Wochen. Ein paar Quellen könnte Lindner womöglich noch anzapfen, etwa EU-Fördergelder, die dazu gedacht waren, die Wirtschaft der Mitgliedsstaaten nach der Coronapandemie wieder in Schwung zu bekommen. Bislang hat Deutschland laut Finanzministerium nur etwa ein Fünftel der zur Verfügung stehenden 28 Milliarden Euro abgerufen. Der Rest soll, auf mehrere Tranchen gestreckt, erst bis 2026 fließen. Greift Lindner schon früher zu? Auch die Zinssenkung der EZB könnte helfen, weil der Staat dadurch weniger Geld für die Tilgung seiner Zinsen einplanen muss. Doch der Finanzminister braucht keinen Taschenrechner, um festzustellen: Allein damit wird sich die Differenz zu den fehlenden 25 Milliarden nicht begleichen lassen. (GEA)