Konkret ging es dabei um das Eigentum eines in Berlin lebenden Juden namens Wilhelm Fischbein, vor dem nach Eisfelds Recherchen der damals als Verbandsgeschäftsführer eingesetzte Eschenburg warnte. Er, Eschenburg, sehe die Gefahr, dass sich der Unternehmer Fischbein ins Ausland absetzen könne. Deshalb plädierte Eschenburg für die »alsbaldige Einziehung des Passes« - was dann auch geschah. Eschenburg machte sich damit also an einer Schaltstelle eindeutig zum Handlanger der nationalsozialistischen Schergen - und schwieg über den Fall zeitlebens.
Eine gewisse Kontinuität seines Denkens sehen etliche heutige Politologen darin, dass sich Eschenburg nach dem Krieg, als er sich nicht nur als akademischer Lehrer, sondern auch als viel beachteter Publizist einen Namen gemacht hatte, von seinem Tun nicht ausreichend distanzierte. So sprach er gerne von den »Zwangslagen« jener Menschen, die in einer Diktatur wie dem Dritten Reich zu leben hatten. Die Tübinger Politologin Gabriele Abels hat kein Verständnis dafür, dass Eschenburg in seinen Memoiren den Fall Fischbein verdrängte.
Ein Lebenswerk in neuem Licht
Auch der Soziologe und Politikwissenschaftler Claus Offe, der in Tübingen jetzt mit dem Theodor-Eschenburg-Preis ausgezeichnet wurde, kreidet dem ehemaligen Staatsrat eine »Verständnis heischende Beschönigung, Verharmlosung und Rechtfertigung« an, und zwar umso mehr, als Eschenburg nicht nur als Meister der pointierten Rede galt, sondern die Worte insbesondere auch dann richtig zu setzen wusste, wenn es um das moralische Verhalten anderer ging.Eschenburg scheute sich nicht, Partei für belastete Männer wie Ernst von Weizsäcker oder sogar für Hans Globke zu ergreifen, der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze war und später unter Bundeskanzler Konrad Adenauer Chef des Kanzleramts wurde. »Er hat sie für deren Verwicklungen in Schutz genommen und verteidigt«, sagt dazu Professor Gabriele Abels im GEA-Gespräch. Als Person der Zeitgeschichte sorgt Eschenburg auf diese Weise nach Einschätzung mancher Politologen für eine gewisse Kontinuität der Eliten zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und des Betriebs der Politikwissenschaft, als dessen Vorbild Eschenburg bis zum heutigen Tag gilt. So gehen die Politologen nicht nur auf Distanz zu ihrer Vaterfigur Eschenburg, sie versuchen auch ein Stück ihrer eigenen Vergangenheit aufzuarbeiten.
Wissenschaftler anderer Fakultäten wie Germanisten, Juristen, Historiker und Mediziner haben sich mit ihrer »Kontinuitätsgeschichte« schon lange herumschlagen müssen. »Warum sollte es den Politikwissenschaftlern besser ergehen?«, fragte Claus Offe bei der Annahme des Eschenburg-Preises. Was die Person Eschenburg anbelangt, wollen die Politologen zu einer Neubewertung seines Lebenswerks kommen. Nicht ausgeschlossen wird dabei, dass die Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft ihren Preis für das Lebenswerk künftig nicht mehr nach dem bisherigen Doyen der deutschen Zeitgeschichte aus Tübingen benennt. (GEA)