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Aktuell INTERVIEW

Sahra Wagenknecht: »Vielen fehlt politische Heimat«

Sahra Wagenknecht feiert bei Wahlen im Osten mit ihrem BSW große Erfolge und macht anderen Parteien Druck. Im GEA-Interview spricht sie über die Unzufriedenheit im Land und die Erfolge ihrer neu gegründeten Partei. Sie wirbt außerdem für einen anderen Umgang mit der AfD.

»Wir sind nicht gewählt worden, um anderen Parteien ein Weiter-so zu ermöglichen«: BSW-Gründerin und -Vorsitzende Sahra Wagenkne
»Wir sind nicht gewählt worden, um anderen Parteien ein Weiter-so zu ermöglichen«: BSW-Gründerin und -Vorsitzende Sahra Wagenknecht. FOTO: BAHLO/DPA
»Wir sind nicht gewählt worden, um anderen Parteien ein Weiter-so zu ermöglichen«: BSW-Gründerin und -Vorsitzende Sahra Wagenknecht. FOTO: BAHLO/DPA

BERLIN. Ihre neu gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknecht hat bei den jüngsten Landtagswahlen im Osten Deutschlands bemerkenswerte Erfolge gefeiert. Im Gespräch in unserem Berliner Büro erklärt Sahra Wagenknecht, welche Schlüsse sie daraus zieht und welche Probleme daraus auch für die junge Partei erwachsen.

GEA: Frau Wagenknecht, Ihre junge Partei hat in den zurückliegenden Monaten vier Wahlerfolge in Serie eingefahren. Hätten Sie es für möglich gehalten, dass das BSW so schnell so stark wird?

Sahra Wagenknecht: Das konnte man in dieser Form nicht vorhersehen. Als wir die Partei gegründet haben, haben wir das aus der Analyse heraus getan, dass sich sehr viele Menschen in Deutschland eine andere Politik wünschen, dass viele politisch heimatlos geworden sind. Natürlich haben wir gehofft, dass wir Rückhalt und Zuspruch bekommen. Dass uns jetzt ein solcher Vertrauensvorschuss gegeben wird, das freut mich riesig. Aber es ist natürlich auch eine Verantwortung, wir dürfen unsere Wähler nicht enttäuschen.

Was sind die entscheidenden Gründe für den Erfolg Ihrer jungen Partei?

Wagenknecht: Wir haben eine große Unzufriedenheit im Land mit der herrschenden Politik. In den letzten 25 Jahren ist das Leben für die ärmere Hälfte der Bevölkerung und für große Teile der Mittelschicht nicht besser, sondern härter geworden. Wenn ich mir alleine an-schaue, wie lange Kassenpatienten auf einen Termin beim Facharzt warten, wie marode unsere Brücken und wie un-pünktlich unsere Züge sind, wie viel Unterricht in den Schulen ausfällt, dann sind das einige Beispiele, die die Menschen zu Recht empören. Hinzu kommen die Fehlentscheidungen der Corona-Zeit, die bis heute nicht aufgearbeitet sind, die unkontrollierte Migration und schließlich die wachsende Kriegsgefahr.

Sie haben einen Mann an Ihrer Seite, der seit Jahrzehnten die Politik in diesem Lande mitbestimmt. Oskar Lafontaine ist ein Vollblutpolitiker. Welchen Anteil hat er an Gründung und Erfolg des BSW?

Wagenknecht: Natürlich besprechen wir viele Dinge. Seine Meinung, seine Einschätzungen sind für mich sehr wichtig. Aber er ist jetzt in einem Lebensalter, in dem er sich die aktive Parteiarbeit nicht mehr antut.

»Es gibt wirklich Schöneres als Politik«

 

Und am Esstisch daheim reden Sie beide nur über Politik oder haben Sie auch andere Themen?

Wagenknecht: Wir reden auch darüber, dass jetzt endlich die Steinpilzsaison begonnen hat und über viele andere Dinge, es gibt wirklich Schöneres als Politik. Aber wenn zwei Menschen zusammen sind, die beide sehr aktiv in der Politik waren beziehungsweise sind, redet man natürlich auch über Politik.

Das BSW ist stark im Osten, Sie selbst kommen aus Thüringen. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass Sie das besonders unterstreichen. Ist die Beobachtung richtig?

Wagenknecht: Ich finde es interessant, dass es 35 Jahre nach der Wende immer noch eine starke Identität der Ostdeutschen gibt. Das hat nicht zuletzt mit anhaltenden Benachteiligungen zu tun. Die Löhne, die Renten sind im Osten deutlich niedriger, nahezu alle Führungspositionen in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in den Universitäten sind durch Westdeutsche besetzt. Stellen Sie sich vor, in Bayern würden nahezu alle Führungspositionen durch Sachsen oder Hamburger besetzt. Die Bayern würden zu Recht rebellieren.

Es gibt ein neues Buch über Angela Merkel aus der Feder des Journalisten Eckart Lohse von der Frankfurter Allgemeinen. Seine These ist, Merkel konnte im Westen ankommen, weil sie ihre Herkunft verbarg. Ist da etwas dran?

Wagenknecht: Ein bisschen schon. Frau Merkel hat unser Land 16 Jahre lang regiert, sich aber kaum um die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West gekümmert. Natürlich muss man auch sehen, dass es viele junge Menschen gibt, für die die Frage Ost oder West nicht mehr allzu wichtig ist, sie sind im Osten geboren, aber leben und arbeiten heute im Westen. Wichtiger ist auf jeden Fall der Gesamtzustand unseres Landes, und da gibt es eine Entwicklung, die viele besorgt.

Sie kommen in die für eine junge Partei große Verlegenheit, wahrscheinlich bald Minister in Landesregierungen entsenden zu müssen. Die Landesverbände haben aber nur mehrere Dutzend Mitglieder. Deshalb stellt sich die Frage: Haben Sie genügend Leute für diese wichtigen Aufgaben?

Wagenknecht: Über Minister reden wir, wenn wir uns mit den potenziellen Koalitionspartnern auf ein gutes Regierungsprogramm geeinigt haben. Wir werden nur dann in eine Regierung gehen, wenn sich die Politik wirklich verändert. Wir sind nicht dafür gewählt worden, den anderen Parteien ein Weiter-so zu ermöglichen. Wir sind gewählt worden, um eine verantwortungsvollere Außenpolitik, bessere Bildung, mehr innere Sicherheit, eine Aufarbeitung der Corona-Zeit, weniger Migration und bessere Integration zu erreichen. Wir fordern beispielsweise ein Corona-Amnestiegesetz. Nicht nur die laufenden Verfahren müssen eingestellt werden, wie Herr Söder das jetzt plant, auch bereits gezahlte Strafen sollten rückerstattet werden. Slowenien hat das schon 2023 gemacht. Während der Pandemie wurden Regeln erlassen, von denen man im Nachhinein weiß, dass ihnen die wissenschaftliche Grundlage fehlte.

Und haben Sie nun genügend gutes Personal?

Wagenknecht: Wir werden es finden. Minister und Staatssekretäre müssen nicht zwangsläufig aus den Reihen der Abgeordneten kommen. Es gibt auch in unserem Umfeld viele qualifizierte Persönlichkeiten. Wichtiger ist, ob die anderen Parteien das Signal dieser Wahlen verstanden haben. Rund die Hälfte der Wähler hat Veränderung gewählt.

Sie haben es angesprochen, mehr Lehrer, mehr Polizisten. Darauf können sich alle Parteien einigen, aber backen kann man sich dieses Personal nicht.

Wagenknecht: Das stimmt. Man muss schneller ausbilden, Quereinsteiger schulen und vor allem den Beruf wieder attraktiv machen. Da geht es um bessere Bezahlung, mehr öffentliche Wertschätzung, aber auch Entlastung. Lehrer etwa werden heute mit vielen bürokratischen Auflagen und sachfremden Aufgaben belastet. Wir müssen aber auch etwas an der Ausbildung verändern. Mathematiklehrer etwa müssen heute im Studium mit künftigen Mathematikern gleichziehen. Das schreckt viele ab oder führt zum Abbruch des Studiums. Schulen in ärmeren Vierteln, in denen die Mehrzahl der Kinder oft zu Beginn kaum Deutsch spricht und es kulturelle Konflikte gibt, müssen personell weit überdurchschnittlich ausgestattet werden.

Woher soll das Geld kommen? Für die Länder gilt ebenfalls die Schuldenbremse des Grundgesetzes.

Wagenknecht: Zum einen gibt es in den meisten Haushalten Dinge, die man sich sparen kann. Investitionen in die marode Infrastruktur wiederum sollte man tatsächlich über Kredite und nicht aus dem laufenden Haushalt finanzieren. Inzwischen umgehen viele Bundesländer die Schuldenbremse, wofür es viele Möglichkeiten gibt. Besser wäre es, sie vernünftig zu reformieren.

Das BSW hat noch nicht in allen Bundesländern eigene Landesverbände gegründet. Wie sieht es im Süden Deutschlands aus – in Bayern und Baden-Württemberg?

Wagenknecht: Wir werden noch in diesem Jahr alle Landesverbände gründen. Es fehlen noch sechs. In Bayern wird das am 16. November geschehen. Immerhin ist möglich, dass die unselige Ampel sich doch noch vorfristig zerlegt und es dann vorgezogene Neuwahlen gibt.

Gerade in Bayern haben es linke Parteien traditionell schwer, wie die Beispiele SPD und Linke zeigen. Was rechnen Sie sich im Freistaat aus?

Wagenknecht: Wir sind keine linke, sondern eine linkskonservative Partei. Bei der Europawahl haben wir in Bayern mit knapp 4 Prozent ein respektables Ergebnis geholt. Beim Aschermittwoch habe ich erlebt, wie groß das Interesse ist. Es gibt rund 1.000 Menschen, die in Bayern als BSW-Unterstützer aktiv sind. Das Problem mit den sogenannten linken Parteien ist doch, dass sie schon lange nicht mehr für soziale Gerechtigkeit stehen, sondern für abgehobene Diskurse unter Privilegierten. Das fängt bei Sprachverboten an und hört bei Ratschlägen für das Essen oder den Einkauf im Biomarkt auf. Die meisten Leute sagen, hört auf, mich zu belehren und zu gängeln, ich habe außerdem andere Sorgen.

In Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird ihre Partei gebraucht, wenn eine tragfähige Koalition gegen die AfD gebildet werden soll. Wie liefen die Gespräche mit Michael Kretschmer, Mario Voigt und Dietmar Woidke?

Wagenknecht: Die liefen konstruktiv, aber das ist natürlich nur ein Anfang. Ich habe deutlich gemacht, dass wir uns nicht an einer Koalition beteiligen werden, mit der wir unsere Wähler enttäuschen.

Waren die drei Politiker bereit, dass die Ihnen wichtige Frage von Krieg und Frieden in der Ukraine Eingang in einen Koalitionsvertrag findet?

Wagenknecht: Sie waren aufgeschlossen. Es gab schon viele Koalitionsverträge, in denen die Parteien sich auch zu außenpolitischen Fragen positioniert haben. Und es ist ein urdemokratisches Anliegen, dass eine Landesregierung das vertritt, was die übergroße Mehrheit der Menschen in dem betreffenden Land möchte. Im Osten lehnen zwei Drittel die Stationierung weitreichender US-Raketen in Deutschland ab. Eine Regierung muss dieser Position Ausdruck verleihen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Bundeskanzler Scholz ohne jede Debatte, ohne irgendeine Erklärung mal eben am Rande eines Nato-Gipfels eine solche Entscheidung trifft, die das nukleare Risiko für unser Land erheblich erhöht.

»Wir gründen bald schon weitere Landesverbände«

 

In Ihren Programmpunkten auf der BSW-Internetseite kritisieren Sie die USA als aggressive Führungsmacht der Nato. Ihre alte Partei, die Linke, hat stets die Auflösung der Nato gefordert. Wie stehen Sie heute zum Bündnis?

Wagenknecht: Es geht nicht darum, dass die USA kein Partner Deutschlands mehr sein sollten, sondern um Partnerschaft auf Augenhöhe statt Unterwürfigkeit und Vasallentum. Die Vereinigten Staaten haben vielfach andere Interessen als wir, wirtschaftlich und geostrategisch. Und die verfolgen sie ohne allzu große Rücksichtnahme auf ihre »Partner«. Es gibt Kreise in Washington, die einen auf Europa begrenzten Nuklearkrieg für ein kalkulierbares Risiko halten. Das war schon im Kalten Krieg so, Helmut Schmidt hat damals dagegen rebelliert. Das Pentagon hat vor Kurzem für 34 Millionen Dollar eine Studie ausgeschrieben, die untersuchen soll, was ein europäischer Atomkrieg für die globale Nahrungsmittelversorgung bedeuten würde. Solche Planspiele sind Wahnsinn. Deshalb brauchen wir einen selbstbewussten Bundeskanzler, und keinen, der alles mitmacht. Das betrifft auch unsere Wirtschaft. Wir haben als Europäer, auch gerade als Deutsche, ein elementares Interesse an stabilen Handelsbeziehungen sowohl zu China als auch zu Russland.

Der Krieg in der Ukraine und der Energiepreisschock haben doch gezeigt, dass es nicht gut ist, von russischen Lieferungen abhängig zu sein …

Wagenknecht: Russland hat so lange vertragstreu geliefert, bis wir begonnen haben, es mit massiven Sanktionen zu überziehen. Das Land hat riesige Rohstoffreserven. Und wir erleben jetzt, wie schwer es ist, uns von Öl und Gas aus Russland unabhängig zu machen. Unsere Energieversorgung ist nicht gesichert, darauf hat kürzlich auch der Bundesrechnungshof hingewiesen. Ähnlich übrigens bei wichtigen Metallen, die wir unverändert aus Russland importieren, weil unsere Industrie sie braucht. Schon in der Zeit des Eisernen Vorhangs hat die Bundesrepublik von preiswerter russischer Energie profitiert. Mit einer Moralisierung von Außenwirtschaftsbeziehungen schädigen wir nicht Putin, sondern nur uns selbst, – und es ist ja auch eine Doppelmoral. Wenn man kein russisches Gas mehr kauft, aber bei dem Hamas-Finanzier Katar betteln geht, dann ist das keine zielführende Strategie. (GEA)