REUTLINGEN. Polen steckt in einer Staatskrise. Der Konflikt zwischen alter und neuer Regierung eskaliert. Zwei Abgeordnete der abgewählten Regierungspartei wurden im Präsidentenpalast verhaftet. Eine Begnadigung des Präsidenten für seine Parteifreunde, die wegen Amtsmissbrauchs verurteilt sind, wurde vom Gericht aus formalen Gründen für ungültig erklärt. Zuvor hatte der neue Regierungschef Donald Tusk bereits die Chefs der öffentlich-rechtlichen Sender entlassen und Politiker der abgewählten Pis-Partei daraufhin das Gebäude der Sender besetzt.
In einer Demokratie sollten Presse und Justiz als dritte und vierte Gewalt eine Art Schiedsrichter sein und eine unabhängige Kontrollinstanz sowohl für Politiker der Regierung als auch für die Opposition sein. In Polen wurden jedoch sowohl die Presse als auch die Justiz so weit politisiert, dass ihnen eine unabhängige Kontrollfunktion kaum noch zugetraut wird.
Die Verhältnisse im Nachbarland Polen, wo sich eine konservativ-katholisch geprägte bäuerliche Landbevölkerung und liberale pro-europäische Milieus in den Städten und die jeweils von ihnen unterstützten Parteien kaum noch auf die Spielregeln für ihre politischen Auseinandersetzungen einigen können, sollte eine Warnung sein. Wenn sich bestimmte Gruppen in den Medien nicht wiederfinden, gründen sie ihre eigenen Medien. Niemand steht über dem Gesetz, aber der auch der Eindruck einer Rachejustiz sollte vermieden werden. Davon hängt die Akzeptanz des Systems ab.