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Politiker und Promis aus der Region würdigen Wolfgang Schäuble

Nach seinem Tod wird Wolfgang Schäuble von Politikern und Prominenten aus der Region als einer der einflussreichsten Politiker der vergangenen Jahrzehnte gewürdigt.

27.12.2023, Berlin: Ein Foto des verstorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble und ein Kondolenzbuch liegen im Konrad-Adenauer-Haus. Foto: Jörg Carstensen/dpa
27.12.2023, Berlin: Ein Foto des verstorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble und ein Kondolenzbuch liegen im Konrad-Adenauer-Haus.
Foto: Jörg Carstensen/dpa

REUTLINGEN. Nach dem Tod von Wolfgang Schäuble haben Politiker fast aller Parteien den früheren Bundestagspräsidenten und Bundesminister vor allem als engagierten Demokraten und überzeugten Parlamentarier gewürdigt. Schäuble habe entscheidende Jahre der Bundespolitik maßgeblich geprägt, sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). »Als einflussreicher Politiker war Wolfgang Schäuble ein streitbarer und mitunter unbequemer, aber am Ende doch fairer politischer Geist«, sagte der im Sigmaringer Stadtteil Laiz wohnende Regierungschef. Er sei sehr beeindruckt gewesen von der politischen Urteilskraft und dem unabhängigen Denken des CDU-Politikers. Wie erinnern sich Menschen aus der Region an den zuletzt dienstältesten baden-württembergischen Politiker im Bundestag?

Aus den Reihen der CDU: Michael Donth (MdB) und Manuel Hailfinger (MdL)

Von Michael Donth (56), seit 2013 direkt gewählter CDU-Abgeordneter aus dem Wahlkreis Reutlingen im Bundestag in Berlin, ist zunächst ein tiefer Seufzer zu hören, als er am Telefon auf Wolfgang Schäuble angesprochen wird. Die Nachricht von dessen Tod habe ihn sehr getroffen. Denn er habe von der Krankheit, die nun zum Tod des 81-Jährigen führte, gar nichts gewusst. Dass Schäuble am Abend zuvor seiner Krebserkrankung erlag, scheint für Viele überraschend gekommen zu sein.

»Es war mir aber ein Trost, dass er im Kreis der Familie gestorben ist«, sagt Donth. Er habe ihn sehr geschätzt, empfinde in vielfacher Hinsicht große Hochachtung vor dessen Lebensleistung. Als er einer von zwei Schriftführern im Bundestag war, die dem Bundestagspräsidenten assistieren, saß er einst direkt neben dem Vorsitzenden des Bundesparlaments aus Offenburg. Als damals jemand geschimpft habe, »nun parken die auch noch Geld beim Finanzminister!« - was zwischen 2018 und 2021 der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war -, habe er Schäuble als dessen Amtsvorgänger zugeflüstert: »Das ist ja nichts Unanständiges.« Darauf entgegnete Wolfgang Schäuble nach kurzem Überlegen: »Jetzt scho'.« Donth zufolge war dies charakteristisch für den Verstorbenen, insofern als es seinen viel gerühmten feinen Humor illustriert - »das Knitze«, wie der in Grafenberg aufgewachsene einstige Römersteiner Bürgermeister Michael Donth sagt.

Auch Bundesminister Cem Özdemir aus Bad Urach würdigte Wolfgang Schäuble.

Was ansonsten von ihm hängen bleibe: »Wenn er geredet hat, dann sehr fundiert.« Er habe sich nicht stets und zu allem geäußert, aber wenn, dann »war es mucksmäuschenstill. Und das, was er sagte, hatte großes Gewicht.« Wolfgang Schäuble wird fehlen, ist Donth überzeugt. Er sei der Inbegriff des »elder statesman« gewesen, also eines Politikers, der nach seinem Ausscheiden aus einem hohen Staatsamt weiterhin große Hochachtung genießt.

Auch Manuel Hailfinger (41), der die CDU für den Wahlkreis Hechingen-Münsingen im Stuttgarter Landtag vertritt, war »sehr überrascht«, als er von Schäubles Tod erfahren hat. Er sei traurig und bestürzt. Rückblickend fällt ihm auf, dass der 81-Jährige beim jüngsten Landesparteitag in Reutlingen am 18. November fehlte. »Da haben wir ihn vermisst, denn er war sonst immer dabei. Ich weiß gar nicht, bei wie vielen Bundestagswahlen er unser Spitzenkandidat war«, überlegt der langjährige Funktionär der Jungen Union (JU) auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene. Als stellvertretender Vorsitzender der Landes-JU habe er den Offenburger oft getroffen. »Immer beeindruckend« sei das gewesen.

Nach seiner Rolle im Kabinett von Helmut Kohl sei er ja auch noch zwölf Jahre Minister unter Angela Merkel gewesen. Und ein »treuer Weggefährte«. Die beiden waren zwar nicht immer einer Meinung und haben Manches sicher kontrovers diskutiert, meint der gebürtige Reutlinger. »Aber das ist beispielgebend dafür, wie man Politik auch machen kann.« Als herausragend kennzeichne den Politiker, wie er sein ganzes Leben in den Dienst des Landes gestellt und »immer Vollgas gegeben« habe.

Helmut Haussmann (FDP) war jahrzehntelang Schäubles Kollege im Bundestag

Als MdB und FDP-Bundeswirtschaftsminister von 1988 bis 1991 im Kabinett Kohl hat Helmut Haussmann (80) Wolfgang Schäuble kennen und schätzen gelernt, sagt er. Über Jahrzehnte hinweg waren der FDP-Mann aus Bad Urach und der CDU-Politiker aus dem Badischen im Bundestag Kollegen. Haussmann schätzte Schäubles klare juristische Analyse, auch als Kanzleramtschef in den 1980er-Jahren. Es sei nicht immer einfach gewesen, sich gegenüber diesem »sehr selbstbewussten Juristen« zu behaupten. Da musste man sich schon hinstellen.

Denn während seine Fraktionskollegen und die SPD etwa bei der deutschen Wiedervereinigung auf eine langsamere Gangart im Interesse der Wahrung sozialer wirtschaftlicher Interessen pochten, setzte Schäuble wie Kohl auf Tempo. So groß die Unterschiede jedoch etwa beim Thema Treuhand waren, bei der Euro-Einführung waren die beiden überzeugten Kern-Europa-Befürworter einer Meinung. Man habe damals »in dieser bürgerlichen Regierung auf faire, konstruktive Weise Kompromisse gesucht«.

Der liberale Reutlinger Stadt- und Kreisrat Hagen Kluck (80), von 1996 bis 2001 sowie von 2006 bis 2011 Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg und Vorsitzender der FDP im Landkreis Reutlingen bis Juli 2013, erinnert sich gut daran, wie bei einer Veranstaltung der Handwerkskammer in der Listhalle in Reutlingern für Wolfgang Schäuble extra eine Rampe gebaut worden war, damit dieser mit seinem Rollstuhl selbstständig aufs Podium kam. Dem damaligen HWK-Vorsitzenden Günther Hecht sei das ganz wichtig gewesen.

Danach habe er Schäuble auch beim Empfang getroffen. Er nennt den Verstorbenen Bundespolitiker »eine bedeutende Persönlichkeit«. Dieser habe »sehr viel dazu beigetragen, dass es mit der deutschen Wiedervereinigung geklappt hat.« Zusammen mit Hans-Dietrich Genscher habe er viel auf den Weg gebracht. Im Umgang erinnert er sich an ihn als sehr angenehmen Menschen: »umgänglich, locker, gar nicht hochgestochen, eher bodenständig«. Schäuble habe sich mit jedem unterhalten.

Helmut Treutlein, Fraktionsvorsitzender der SPD im Reutlinger Gemeinderat, behält Schäuble als eine starke, eindrucksvolle Persönlichkeit in Erinnerung, als einen, der »mit seiner CDU auch eine große Wandlung durchgemacht hat« - von »sehr kämpferisch und kritisch der SPD gegenüber« zu einem »den Grundrechten verpflichteten Demokraten«. Er habe Respekt vor seiner Lebensleistung und Kämpferhaltung. »Das ist etwas, das wir heutzutage mehr bräuchten.«

Stimmen abseits der Politik - zwei Frauen hatten jüngst noch Kontakt

Die Tübinger Ärztin Lisa Federle (62) hat schon vor der öffentlichen Bekanntmachung von Wolfgang Schäubles Tod erfahren. Dennoch äußert sie sich am 27. Dezember »tief getroffen und total betroffen«. Denn der 81-Jährige war »viel mehr als der Schirmherr« des von ihr zusammen mit Schauspieler Jan Josef Liefers und TV-Moderator Michael Antwerpes gegründeten gemeinnützigen Vereins »BewegtEuch«.

Persönlich kennengelernt hatte sie ihn bereits im Wahlkampf 2010, als sie für den Landtag kandidierte. Damals waren zu einer Veranstaltung Ursula von der Leyen und Schäuble angekündigt, wobei sie sich vor allem auf die Frau, die wie sie Mutter zahlreicher Kinder war, gefreut habe. »Vor Schäuble hatte ich eher Respekt.« Doch dann erwies sich der damalige Bundesfinanzminister als »total liebevoll«. Er habe alles über sie gewusst, wohingegen seine Kollegin vom Ministerium für Arbeit und Soziales eher reserviert gewesen sei. »Seitdem verbindet mich eine Freundschaft mit ihm.« Als sie ihn für die Schirmherrschaft anfragte, sagte der gebürtige Freiburger zu. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt solche Ämter eher reduzieren wollte. »Aber mir könne er nichts absagen«, berichtet die Ärztin gerührt. Abgesehen davon sei er natürlich ein »brillanter Politiker« und habe »unglaublich viel für Deutschland getan«.

Ehrendoktor der Universität Tübingen

Die Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie das Sportinstitut der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hatten Schäuble im November 2009 die Ehrendoktorwürde für seine Verdienste um den Sport verliehen. Das durch Schäuble entscheiden mitgeprägte gesamtdeutsche Sportsystem habe trotz vieler ungelösten Fragen international Vorbildcharakter, sagte Helmut Digel, der damalige Direktor des Instituts für Sportwissenschaft.

Claudia Guggemos (53) schätzt sich glücklich, dass sie Wolfgang Schäuble im Mai dieses Jahres noch als Podiums-Gast der 124. Ausgabe der Gesprächsreihe »Menschen und Themen« in der Reutlinger Kreissparkasse kennenlernen durfte. »Da er von einer Trauerfeier kam, nur für drei Stunden, aber immerhin«, erzählt die Leiterin der Katholischen Erwachsenenbildung im Kreis Reutlingen (keb). Er habe mit seinem breiten Wissen alle beeindruckt - »nicht nur zu historischen Themen, denn er hat ja wirklich Geschichte geschrieben«.

Guggemos vermutet, dass er zu Zeiten der Wiedervereinigung »viel mehr Architekt war, als er selbst durchblicken lassen wollte«. Er sei auch zu aktuellen Themen, Flüchtlinge und AfD etwa, bestens informiert gewesen. »Er ist niemals stehen geblieben«, das beeindruckte sie, er sei »so beweglich im Geist, und zwar bis ins hohe Alter von damals 80 Jahren«. Schäuble habe sich im Vorgespräch als sehr zugewandter, aufmerksamer und interessierter Zuhörer erwiesen. Bei der Podiumsdiskussion hat sie beeindruckt, wie »angenehm konzentriert« er war. So habe er etwa auf die Nachfrage eines CDU-Mannes im Publikum, der wissen wollte, wann die CDU endlich wieder an die Macht komme, ganz klar gesagt, »so wie es war, wird es nicht mehr«, ein »Zurück in die Vergangenheit« gebe es nicht. Privat imponierte ihr auch Schäubles »ungeheuren Respekt«, den er seiner Frau zollte. Dass er nach dem Attentat 1990, durch das er querschnittsgelähmt wurde, politisch weitermachen konnte, habe er komplett seiner Frau Ingeborg zu verdanken, habe er gesagt. Und sich bei der Auswahl aus einem Geschenk der keb-Gastgeber entsprechend für eines entschieden, dass sie besonders interessieren dürfte. (GEA)