Alle fünf Jahre sind die Menschen in der Europäischen Union aufgerufen, sich ein neues Parlament zu wählen. Nachdem das Interesse an der Europawahl 2014 im Vorfeld lediglich bei 38 Prozent lag, waren es 2019 schon 56 Prozent, die ein großes Interesse bekundeten. Derzeit sind laut ZDF-Politbarometer knapp zwei Drittel der Befragten an der Europawahl interessiert, die am 9. Juni in Deutschland abgehalten wird. Das macht Hoffnung auf eine große Beteiligung. Wichtig wäre es. Seit der letzten Wahl ist viel passiert in der Welt, eine starke EU muss die Antwort darauf sein.
Es war die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, die 2015 die Länder der Europäischen Union zur Vorsicht mahnte. »Wir Europäer müssen lernen, dass wir nicht mehr das Zentrum der Welt sind«, sagte sie in einem bemerkenswerten Statement. Die europäische Sichtweise sei viel zu binnenorientiert, die Europäer müssten endlich über den Tellerrand hinausschauen. Merkel verwies damals auf eine globale Lage, die sich in den letzten Jahrzehnten völlig verändert habe und nannte als Beispiel den asiatischen Kontinent.
Hindu-nationalistische Züge
China und Indien zeigen als asiatischen Staaten heute beispielhaft, wie recht Merkel damals hatte. Peking beharrt zwar immer noch auf den Status als Entwicklungsland, in Wahrheit ist die Volksrepublik längst eine globale Macht. In Indien sind die Parlamentswahlen gerade beendet worden. Premierminister Narendra Modi wird wohl seine dritte Amtszeit antreten können, er galt im Westen lange Zeit als aufgeschlossener Modernisierer. Doch zuletzt zeigte Modis Politik stramm hindu-nationalistische Züge.
Er ist dem nationalistischen Hindu-Freiwilligen-Korps RSS verbunden, das sich die Gründung eines indischen Großreichs auf die Fahnen geschrieben hat. Modi sieht seine Karriere als Ergebnis einer »göttlichen Fügung« – man kann nur hoffen, dass aus dieser Kombination keine Allmachtsfantasien entstehen. In China und Indien leben jeweils mehr als 1,4 Milliarden Menschen. Deutschland hat dem allein wenig entgegenzusetzen, das gelingt nur noch im Verbund der EU. Sie kommt immerhin auf 448,4 Millionen Menschen, stellt rund 14 Prozent des internationalen Warenverkehrs und zählt damit neben China und den USA zu den drei größten globalen Wirtschaftsakteuren.
Militärische Fähigkeiten der EU wieder in den Vordergrund gerückt
Seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine sind die militärischen Fähigkeiten der EU (und der Nato) wieder in den Vordergrund gerückt. Auch hier ist wohl jedem klar, dass Deutschland allein verloren wäre und deshalb auf Kooperation angewiesen ist. Diese gilt umso mehr in Erwartung des Ausgangs der Präsidentschaftswahlen in den USA. Sollte Donald Trump gewinnen, könnte das spürbare Auswirkungen auf die europäische Sicherheitsarchitektur haben.
Es wird viel geschimpft über die EU, über »die da in Brüssel«. In der Tat gibt es zu viel Bürokratie, der Beamtenapparat wirkt überdimensioniert. Der Kritik muss aber die Überlegung nach der Alternative folgen: Soll es ein Europa ohne Parlament und eigene Verwaltung geben? Das würde nicht funktionieren. Die EU abschaffen? Dieser Frage gehen nur politisch Fehlgeleitete nach.
Die Europäische Union ist lernfähig, das zeigt allein der im Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon, der die Grundlagen der Gemeinschaft auffrischte. Die EU wuchs seit ihrer Gründung kontinuierlich, ein wichtiger Fortschritt in Zeiten neuer Bedrohungen. In diesem Jahr ist der Euro 25 Jahre alt geworden: Anfang 1999 einigten sich elf EU-Länder auf die Gemeinschaftswährung, die heute nicht mehr wegzudenken ist. »In Vielfalt geeint«, so lautet das Motto der Europäischen Union. Es soll zum Ausdruck bringen, dass sich die Europäer in der EU gemeinsam für Frieden und Wohlstand einsetzen. Diese Einigkeit kann an diesem Sonntag auf dem Wahlzettel eindrucksvoll untermauert werden.