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Messe Stuttgart: Erfolgsmodell oder Schönfärberei?

STUTTGART. Heute vor fünf Jahren wurde die Messe Stuttgart am neuen Standort auf den Fildern eröffnet. Seither überschlagen sich die Erfolgsmeldungen: Doppelt so viel Umsatz, doppelt so viele Aussteller, Deutschlands Nummer Eins in Sachen Auslastung. Der Ruf nach mehr Fläche wird laut. Ist die Euphorie angebracht? Der Landesrechnungshof deckt Mängel auf und warnt vor Expansion. Und pünktlich zum Geburtstag melden sich auch die Messegegner zu Wort

Luftbild der Messe Stuttgart auf den Fildern: Markantes Wahrzeichen ist das Bosch-Parkhaus über der Autobahn A8 (unten Mitte). Die beiden »Parkhausfinger« fassen 4 000 Fahrzeuge. Dahinter gruppieren sich die Messehallen und ein Kongresszentrum. Platz für eine Erweiterung ist der Parkplatz am West-Eingang (oben). Geplant ist eine weitere Halle mit bis zu 35 000 Quadratmetern. LUFTBILD: MESSE STUTTGART
Luftbild der Messe Stuttgart auf den Fildern: Markantes Wahrzeichen ist das Bosch-Parkhaus über der Autobahn A8 (unten Mitte). Die beiden »Parkhausfinger« fassen 4 000 Fahrzeuge. Dahinter gruppieren sich die Messehallen und ein Kongresszentrum. Platz für eine Erweiterung ist der Parkplatz am West-Eingang (oben). Geplant ist eine weitere Halle mit bis zu 35 000 Quadratmetern. LUFTBILD: MESSE STUTTGART
Luftbild der Messe Stuttgart auf den Fildern: Markantes Wahrzeichen ist das Bosch-Parkhaus über der Autobahn A8 (unten Mitte). Die beiden »Parkhausfinger« fassen 4 000 Fahrzeuge. Dahinter gruppieren sich die Messehallen und ein Kongresszentrum. Platz für eine Erweiterung ist der Parkplatz am West-Eingang (oben). Geplant ist eine weitere Halle mit bis zu 35 000 Quadratmetern. LUFTBILD: MESSE STUTTGART
Die Messe-Macher werden heute eine Geburtstagstorte anschneiden, die nichts für Weicheier oder Kalorienzähler ist: eine Schokoladen-Mousse-Torte mit Himbeeren auf Mandel-Olivenöl-Biskuit. Das Kuchenmesser wird durch eine leuchtende Marzipan-Fünf gleiten, die das Lebensalter der Messehallen symbolisiert. Die Tortenstücke werden dem Ereignis in Größe und Fettgehalt angemessen sein.

Für alle ist genügend da: Für die Nachbarn vom Flughafen, für die ehemaligen Bauern aus Echterdingen, für die Landespolitiker und für die Messeleute selbst. Denn sie alle profitieren von einem Aufwärtstrend. So wie der Kuchen platzt auch die Messe aus allen Nähten. Sie ist voll, voller geht's gar nicht nicht. Oder gibt es Zweifel? Nicht alle werden heute in den Chor der Gratulanten einstimmen. Vor allem nicht der Landesrechnungshof Baden-Württemberg.

»Es ist jetzt die Zeit gekommen, das Gespräch zu suchen«
Seit dem Umzug vom Killesberg auf die Fildern steht der Messe doppelt so viel Fläche zur Verfügung. Mit 105 200 Quadratmetern liegt sie auf Platz acht in der deutschen Messelandschaft. Mit einem Hallenumschlagfaktor von 13 im Jahr 2011 und 14 im laufenden Jahr liegt sie sogar auf Platz eins.

2012 gehen 63 Messen über die Bühne. Zusammen mit Kongressen und Gastveranstaltungen wie der Porsche-Hauptversammlung steht ein Umsatzrekord von mehr als 120 Millionen Euro bevor. Fast alle Ausstellungen im Messekalender wuchsen nach dem Umzug vom Killesberg. Die Zahl der Aussteller hat sich in der Summe sogar verdoppelt.

Reflexhaft erfolgt pünktlich zum Geburtstag die Raumnot-Meldung. »Wir sind so eng getaktet, dass teilweise in Nachtschichten aufgebaut wird«, klagt Messechef Ulrich Kromer. Nicht selten komme es vor, dass am gleichen Tag in einer Ecke der Halle noch abgebaut werde, während gleichzeitig in der anderen Ecke schon der Aufbau der nächsten Messe beginne. Je nach Halle hat die Messe 220 bis 240 Betriebstage, inklusive notwendiger Wartungstage. »Wir haben die Wachstumsgrenzen erreicht.«

Der Ruf nach mehr Fläche scheint gut terminiert: »Wir haben mit unseren Gesellschaftern Land und Stadt Stuttgart vereinbart, dass wir zu gegebener Zeit mit ihnen über das Thema sprechen werden und ich meine, es ist jetzt die Zeit gekommen, das Gespräch zu suchen.« Einen schönen Bauplatz hat Kromer auch schon: Auf dem Parkplatz am Westeingang. Gedacht ist an eine Halle mit rund 25 000 bis 35 000 Quadratmetern.

Torte also zum Geburtstag und vermutlich von Politikern die Einwilligung zum Neubau - als Geburtstagsgeschenk. Liest man die Expertise des Landesrechnungshofes zum Jahrestag, vergeht einem allerdings der Appetit. Die Finanzkontrolleure kommen nämlich zu einem ganz anderen Ergebnis und raten von einem Neubau ab. Ihre Einschätzung liest sich wie eine Abrechnung.

Der Rechnungshof steht als oberste Landesbehörde auf einer Stufe mit den Landesministerien, versteht sich aber auch als Anwalt der Steuerzahler. Seine Aufgabe ist es, die Haushalts- und Wirtschaftsführung der öffentlichen Verwaltung zu prüfen. Bei der Prüfung der Landesmesse kommen die Mitarbeiter zum Schluss, dass bei der Finanzierung der Messe einiges schöngerechnet wurde und wird.

So liegen laut Rechnungshof die Gesamtkosten für den Bau um 10 Millionen Euro höher als geplant und betragen 816 Millionen. Dazu kommen Posten, die eigentlich auf die Rechnung gehörten, aber außerhalb des Budgets abgerechnet wurden, zum Beispiel ein neues Verwaltungsgebäude. Insgesamt geht es um weitere 18 Millionen. Bezieht man diese Positionen ein, betragen die Baukosten 844 Millionen Euro. Doch die Rechnung ist noch nicht komplett.

Die Kontrolleure sehen weitere Lücken, unter anderem bei der heimischen Wirtschaft. Statt der geplanten 41 Millionen Euro Beteiligung flossen nur 27, von denen wiederum ein Drittel aus Unternehmen in Landesbesitz kommt. Ausserdem wurde offenbar teurer gebaut als nötig. Die Landesmesse hätte ohne qualitative Abstriche um 46 Millionen Euro günstiger realisiert werden können, heißt es in Karlsruhe. So gebe es 1 500 Parkplätze zu viel, das Kongresszentrum sei zu groß (Auslastung 50 Prozent), eine »Flughafenentlastungsstraße« gar nicht notwendig. Zahlreiche Gimmicks seien ohne Wert, aber teuer. Kleines Beispiel: Zur Führung des Besucherstroms wurden für 150 000 Euro 260 mobile Geländerbügel aus Metall beschafft, die heute im Keller liegen, weil das Personal lieber mit leichten Absperrbändern arbeitet.

Auch bei der Auslastung denkt der Rechnungshof anders als die Messe. Er kommt im laufenden Jahr nur auf 107 Messetage. »An 258 Tagen finden keine Messen statt.« Rüst- und Messetage würden sich teilweise überlagern, da nur selten alle neun Hallen gleichzeitig für Messen genutzt würden. »Diese Auslastung zeigt, dass sich die Belegung des vorhandenen Raumangebots steigern lässt.« Eine Erweiterung der Ausstellungsflächen scheine vor diesem Hintergrund »nicht notwendig«.

»Diese Last tragen die Kommunen und die Steuerzahler«
Die schärfsten Kritiker der Messe sitzen in räumlicher Nähe und nennen sich »Schutzgemeinschaft Filder«. Der harte Kern protestiert seit 20 Jahren, als die Pläne bekannt wurden. Aktuelles Credo: »Die Messe braucht keine neue Halle, sondern ein neues Management.«

Denn die Gegner nehmen den Killesberg als Maßstab und finden, dass damals alles besser war. Damals gingen angeblich 1,6 Millionen Besucher pro Jahr durch die Pforten, heute nur 1,2. Und Messen habe es fast gleich viele gegeben, trotz des Zukaufs einiger Schall-Messen, die früher in Sinsheim stationiert waren. Zahlen freilich, die das heutige Management bestreitet.

Die Messegegner sprechen von Schönfärberei. »Nimmt man alle kaschierten Kosten und Belastungen zusammen, kommt man auf mehr als 50 Millionen zusätzliche Kosten für die Fildermesse. Diese Last tragen die Kommunen und die Steuerzahler, und das viele Jahre lang.«

Wasser in den Geburstagswein also. Das dürfte den Empfang am heutigen Tag nicht beeinträchtigen. Zwar ist kein Bundespräsident zugegen wie bei der Eröffnung, doch wird die Torte laut Protokoll hochkarätig angeschnitten. Kritische Töne dürften nach erster Durchsicht der Rednerliste nicht zu erwarten sein. Schließlich lädt man zum Geburtstag nur gute Freunde ein. (GEA)