DHAKA. Bangladesch gilt immer noch als eines der ärmsten Länder der Welt. Der südasiatische Staat, der für seine Textilindustrie bekannt ist, entwickelt sich aber ziemlich rasant weiter. Die Digitalisierung des Landes wird ganz gezielt von der Regierung vorangetrieben, auch um die Korruption zu bekämpfen. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) unterstützen das ambitionierte Projekt.
»Der Wandel macht manche Menschen unzufrieden«
»Wir wollen Bangladesch zu einer wissensbasierten Gesellschaft machen«, lautet ein ehrgeiziges Vorhaben der Regierung in Dhaka. »a2i« heißt denn auch das Kürzel für ein spezielles Programm, das Bangladesch umkrempeln soll. Es steht für Access to Information (Zugang zu Information) und soll Verwaltungsabläufe modernisieren, die Verwaltung vereinfachen und sie den Bürgern näher bringen. Unterstützt wird das ehrgeizige Projekt vom UN-Entwicklungsprogramm und der amerikanischen Hilfsorganisation US-Aid. Smartphones sind in Bangladesch bereits weit verbreitet, die viel teureren Computer noch nicht.
»Wir haben viele Vorgänge digitalisiert, sodass die Menschen nicht mehr so weite Wege gehen müssen«, sagt Anir Chowdhury im Gespräch mit deutschen Journalisten. Chowdhury ist einflussreicher Regierungsberater im Büro der Premierministerin Sheich Hasina Wajed und Chef von »a2i«. So sei zum Beispiel ein Grundbuchauszug inzwischen im örtlichen Digitalcenter – einer Art Bürgerbüro in der Nähe – zu bekommen, statt 50 Kilometer entfernt auf dem Grundbuchamt. Dort gab es früher meist illegale Vermittler, die sich zwischen Bürger und Behörde schalteten und die Antragsteller zusätzlich abkassierten. »Diese Vermittler sind nun weg«, sagt Chowdhury durchaus zufrieden mit diesem Erfolg gegen die Korruption. Er ergänzt ganz trocken: »Der Wandel macht manche Menschen unzufrieden.«Dem Politikberater, der Computerwissenschaft und angewandte Mathematik studiert und unter anderem an der amerikanischen Harvard -Universität gearbeitet hat, ist durchaus bewusst, dass »jeder Wandel auch mentale Widerstände brechen muss«. Im Fall der Grundbuchauszüge sei solcher Widerstand von den Beamten gekommen, »die ungesunde Beziehungen zu den Vermittlern hatten«, sprich: korrupt waren und nun auf ihre Bestechungsgelder verzichten müssen. Dass die Vermittler von der Neuerung nicht begeistert waren, die ihnen die Geschäftsgrundlage entzog, versteht sich von selbst. Chowdhury stieß mit seinem Digitalisierungsprojekt aber auch in den Ministerien selbst auf Widerstand, »denn für sie war das ja zusätzliche Arbeit«. Mit einer Kombination von Belohnung und Strafe, Zuckerbrot und Peitsche, habe er versucht, diese Widerstände zu überwinden, berichtet der Chef-Digitalisierer. Derzeit sei man dabei, das Grundbuch zu digitalisieren. Digitale Karten seien aber erst in der Entwicklung, räumt Chowdhury ein.
»Jeder Wandel muss auch mentale Widerstände brechen«
Für Bangladesch sind Grundbuchfragen extrem wichtig. »Wenn die drei bisherigen Ausgaben des Grundbuchs nicht übereinstimmen, wird es kompliziert.« 70 Prozent der juristischen Auseinandersetzungen in Bangladesch drehten sich um Landbesitz, sagt der Regierungsberater. »Die Menschen töten auch für Land.«
Chowdhury nimmt kein Blatt vor den Mund: »Früher hatten Menschen mit Macht über die Grundbuchämter oder mit Einfluss mehr Möglichkeiten zur Manipulation.« Dagegen tue sich mit der Digitalisierung und den dadurch möglichen Checks einiges. Es werde sogar untersucht, ob auch die von Bitcoins bekannte Blockchain-Technologie eingesetzt werden könnte, denn durch sie seien Änderungen immer nachvollziehbar. Blockchain habe aber den Nachteil, sehr viel Energie zu verbrauchen, sagt Chowdhury.
Man begegnet »a2i« bereits in den Schulen und Colleges. Die meisten Schulen in Bangladesch, auch in den ländlichen Gebieten, verfügen inzwischen über Multimedia-Klassenräume mit Computern und entsprechend ausgebildete Lehrer, heißt es an einer Schule in Savar am Rand der Hauptstadt Dhaka. Es gibt auch eigene soziale Netzwerke für Lehrer und für Schüler.
Bislang, das räumen auch Regierungsstellen ein, waren Behördengänge in Bangladesch noch oft sehr zeitraubend, teuer und mit mancherlei Beschwernissen verbunden. Das hat sich im Zuge der Digitalisierung geändert. Über 5 200 Digital-Center sollen Bürgern in maximal fünf Kilometer Entfernung nun allerlei Service bieten – von der Passverlängerung über Bankdienste und Internetverbindungen bis hin zum Computer-Training oder Nähkurs. Die Center gehören dem Staat und werden von privaten Unternehmern betrieben.
Das Projekt »a2i« in Bangladesch ist so erfolgreich, dass es inzwischen auch in andere Länder ausstrahlt, berichten die Digitalisierer stolz. Nicht nur die südasiatischen Nachbarn Malediven und Bhutan, sondern auch Staaten in Südamerika und Afrika orientierten sich inzwischen am Beispiel Bangladeschs. Die entsprechende Partnerschaft wird unterstützt vom Süd-Süd-Netzwerk für Innovation im öffentlichen Dienst, das 2017 von den Vereinten Nationen gestartet wurde. (GEA)