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Aktuell Existenznot

Kampf um Bodensee-Felchen

MEERSBURG. Die Situation ist dramatisch. Seit drei Jahren sind die schon lang rückläufigen Fisch-Erträge aus dem Bodensee so eingebrochen, dass die 112 Berufsfischer in ihrer Existenznot von der Politik verlangen, dass sie endlich handelt: Kläranlagen haben den mit fünfzig Kubikkilometer Wasservolumen zweitgrößten See Europas so sauber gemacht, dass die Fische hungern.

Die Verbände wollen durchsetzen, dass die EU-Gewässerschutzrichtlinie gelockert wird mit einer Rückstufung des Bodensees vom jetzigen Alpensee zum Voralpensee. Damit aus diesen Anlagen etwas mehr Phosphat in den See gelangt.

Phosphat, Lebensgrundstoff für Tiere und den Energiehaushalt des Menschen, ist eine der Grundsubstanzen für die Nahrung der Fische, das Plankton, Kleinstorganismen, die sich mit dem Sonnenlicht vermehren.

Doch an diesem Nährstoff mangelt es im sauberen Bodensee, der Millionen Menschen in den Ballungsräumen Baden-Württembergs mit Trinkwasser versorgt. Die Felchen, der wichtigste Bodensee-Fisch, wachsen viel langsamer, die Fänge werden immer kleiner, die Verluste größer.

Deshalb geben immer mehr Berufsfischer auf. Heute sind es halb so viele wie vor zwanzig Jahren. Sie haben 2013 nur 642 Tonnen Fisch aus dem Bodensee geholt, zehn Prozent weniger als im Jahr zuvor. 2003 waren es noch 1 230 Tonnen.

Das regionale Produkt

Das geht an die Substanz. »Wenn es das ökologische regionale Produkt Bodensee-Fisch nicht mehr gibt, sterben auch die Fischer«, sagt die Meersburger Berufsfischerin Elke Dilger. Ihr Verband Badischer Berufsfischer kämpft wie auch die württembergischen und bayerischen Nachbarn für eine geringe Erhöhung der Phosphatmenge, die nach Auskunft des Zweckverbands Bodensee-Wasserversorgung das Trinkwasser nicht beeinträchtigen würde.

Ein Kampf an mehreren Fronten. Vor Berufsfischern in Meersburg verdeutlichte soeben der Diplom-Biologe Peter Dehus, zuständig für Fischerei im baden-württembergischen Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, dass die Landespolitik die Aquakultur am Bodensee forciert. Fischzucht im Bodensee mit »Felchen, die das Bodensee-Genom haben«, wie der Fischereibiologe Dr. Alexander Brinker, Leiter der Fischereiforschungsstelle Langenargen, erklärte.

Solche »wettbewerbsfähige, umweltschonende Fischproduktion« soll nach dem Stuttgarter Vorschlag am Bodensee genossenschaftlich organisiert werden. Das garantiere den immer weniger werdenden Berufsfischern eine Zukunftsperspektive, übermittelten die Behördenvertreter. Peter Dehus: »Die Konzepte sind ausgearbeitet.«

Geliefert hat sie im Auftrag des Ministeriums die vom Land finanzierte Fischereiforschungsstelle Langenargen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert aktuell eine Untersuchung des Landwirtschaftlichen Zentrums Baden-Württemberg zur »Einführung von Felchen als neue Art für die Aquakultur«. Kooperationspartner ist die Fischbrutanstalt Langenargen. Das Projekt läuft seit Mai 2011 bis zum 30. April 2015.

Jäger zu Bauern

Das Geld für das Bodensee-Projekt will das Land »in naher Zukunft« bei der Europäischen Union besorgen, Fördermittel aus dem Meeres- und Fischereifonds, wie Dehus in Meersburg bestätigte. Klartext für die skeptischen Berufsfischer: »In diesem Jahr werden wir die Gespräche führen müssen.«

Sie sind diskussionsbereit. Aber sie wollen die kontrollierte Anhebung des Nährstoffgehalts auf 12 bis 14 Milligramm Phosphat pro Kubikmeter Wasser – im supersauberen See sind es jetzt maximal fünf Milligramm.

Die Fänge 2013 und 2014 brachten den badischen Fischern mit 120 Tonnen den schlechtesten Ertrag seit sechzig Jahren ein, sagt Elke Dilger und bestätigt ein Minus von fünf bis zwanzig Prozent je nach Fischart am gesamten Bodensee. Ihre Prognose: Bis 2025 gibt es nur noch 75 Berufsfischer.

Für Andreas Geiger, Unteruhldingen, Vorgänger des amtierenden badischen Verbandsvorsitzenden Martin Meichle, Hagnau, ist nur der Wildfisch der echte Bodensee-Fisch. Die Folge von der Politik gewollten Aquakultur für den ältesten Beruf am Bodensee: »Sie machen den Jäger zum Bauern!« (GEA)