In einer perfekten Welt könnte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im August tief durchatmen. Am Ufer der Donau in seiner Heimatstadt Sigmaringen entlangspazieren. Durch die Natur des beschaulichen Stadtteils Laiz streifen. Entspannen ohne Handy und Laptop. Aber für den Regierungschef gilt, was für viele Arbeitnehmer auch gilt: Erreichbarkeit im Urlaub ist zumindest gefühlte Pflicht. Zwar bleiben ihm seit Urlaubsbeginn vor einigen Tagen repräsentative Termine erspart, Meetings sind dennoch unumgänglich.
Not macht bekanntlich erfinderisch. Und so hat sich der grüne Naturfan einen Weg einfallen lassen, um der Amtsstube rasch entfliehen zu können: Zu seinen Geschäften im Staatsministerium schleppt er nicht nur Akten von Laiz nach Stuttgart, auch die Freizeitausrüstung steckt stets im Gepäck. »Nach den Besprechungen schnürt der Ministerpräsident oft seine Wanderschuhe und erkundet den Großraum Stuttgarts«, gab ein Sprecher des Staatsministeriums preis.
Ursprünglich wollte der passionierte Wanderer im August im Hohenlohischen über Stock und Stein gehen. Vor drei Jahren besuchte der Regierungschef mit seiner Frau Gerlinde Tochter Irene in Schottland und kraxelte über die Highlands. 2011 erholte sich der Sigmaringer vom Regieren in Edinburgh.
In etwa zwei Wochen lockt es den 64-Jährigen in wärmere Gefilde. Dann fliegt er für einen einwöchigen Urlaub auf einen der südlichsten Zipfel Griechenlands. Der ehemalige Lehrer für Biologie, Chemie und Ethik will die griechischen Sonnenstunden mit antikem Bildungsurlaub verbinden. Extra für seine Auszeit auf Peloponnes habe er sich mit griechischen Klassikern eingedeckt, verriet eine Sprecherin.
Um das operative Geschäft im Regierungssitz kümmern sich in seiner Absenz viele emsige Helfer - die Mitarbeiter des Staatsministeriums, die Mitarbeiter des Büros des Ministerpräsidenten und Staatssekretär Klaus-Peter Murawski (Grüne), wie ein Sprecher auf Anfrage erklärte. Ohnehin: Auch im Urlaub sei Kretschmann als Regierungschef im Dienst, erreichbar und stets »arbeitsfähig«, sagte ein Sprecher.
Sein Stellvertreter Nils Schmid (SPD) sonnt sich gerade mit seiner Familie in der Nähe des türkischen Izmir. Erst Ende August nimmt der Finanzminister wieder Platz auf dem Schreibtischstuhl. Wegen der langen Auszeit hat es in den vergangenen Tagen mediale Kritik gehagelt. Sein wichtigstes Arbeitsgerät, das Handy, liege aber auch in der Freizeit stets griffbereit, betonte ein Sprecher des Finanzministeriums. »Es finden regelmäßige Telefonkonferenzen statt«, hieß es.
Der SPD-Landesvorsitzender würde regelmäßig nach Baden-Württemberg simsen, mailen oder telefonieren. Dies sei nötig, schon allein um mit der Assistentin Termine zu koordinieren. »Dank moderner Koordinationstechniken läuft alles in gewohnten Bahnen ab«, erläuterte einer seiner Sprecher. »Das ist jetzt nicht viel anders, als wenn der Minister im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald auf Termin wäre«.
Die Beine hochlegen, wenn die Chefs ausgeflogen sind, steht also nicht zur Debatte. Vielleicht eine lockerere Kleiderordnung? »Seit ich hier bin, hat es nie einen Dresscode oder einen Krawattenzwang gegeben«, verneinte ein Sprecher des Staatsministeriums. Ein Vorteil kommt ihm beim sommerlichen Arbeiten in der Villa Reitzenstein aber doch in den Sinn: »Man kann das Biotop genießen. Ich gehe in jeder Mittagspause dorthin.« Urlauber Kretschmann, der im neu gestalteten Park seines Amtssitzes auch Bergmolche und Erdkröten beherbergt, hat sicherlich nichts dagegen.

Im Urlaub im Dienst: Regieren von überall

Ministerpräsident Kretschmann hat sich einen Weg einfallen lassen, um der Amtsstube rasch entfliehen zu können: Zu seinen Geschäften im Staatsministerium schleppt er nicht nur Akten von Laiz nach Stuttgart. Auch die Freizeitausrüstung steckt stets im Gepäck.