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Im Auftrag der Regierung

Die Regierung macht Parlamentarier zu Beauftragten. Das soll Themen Gewicht geben, schadet aber der Demokratie.

Klima und queere Liebe, Raumfahrt und Rüstung: Jedes Thema hat seinen eigenen Beauftragten. Was der genau tut, ist oft nicht kla
Klima und queere Liebe, Raumfahrt und Rüstung: Jedes Thema hat seinen eigenen Beauftragten. Was der genau tut, ist oft nicht klar. Foto: Robert Daly/Koto/adobe stock
Klima und queere Liebe, Raumfahrt und Rüstung: Jedes Thema hat seinen eigenen Beauftragten. Was der genau tut, ist oft nicht klar.
Foto: Robert Daly/Koto/adobe stock

BERLIN. Meere und maritime Wirtschaft, Moldau und Weltall: Für viele Themen setzt die Bundesregierung Beauftragte ein. Über den Meeresbeauftragten Sebastian Unger etwa sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im Herbst 2022, er solle das »Gesicht und Sprachrohr der Bundesregierung für die Meere« sein. Man habe diese Position eingerichtet, weil der Schutz der Meere ein »wichtiges Querschnittsthema« innerhalb der Bundesregierung sei. Auch die maritime Wirtschaft hat ein eigenes »Gesicht und Sprachrohr«, es ist der »Koordinator« Dieter Janecek. Beide Gesichter sollen auch schon mal gesehen worden sein, wie sie miteinander gesprochen und ihre Querschnittsthemen koordiniert haben. Öffentlich bekannt wurde das aber nicht.

Überblick bei Querschnittsthemen

Ungers und Janeceks gibt es viele. 45 Bundesbeauftragte, Sonderbeauftragte und Koordinatoren hat die Bundesregierung mittlerweile ernannt. Zumindest laut offizieller Liste, die ist allerdings veraltet. Einen Beauftragten für ein Thema installieren, bedeutet, ein Thema ernst nehmen. Und eine Instanz mit Überblick schaffen bei Querschnittsthemen, an denen mehrere Ministerien arbeiten. So sieht es die Regierung. Doch an dieser Perspektive gibt es Zweifel. Kritiker sprechen von »Beauftragten-Inflation«, »Verteilungskampf« und »Selbstbedienung«. Ganz unrecht haben sie nicht.

Vielstimmiges Durcheinander

Auffällig ist die Häufung von Beauftragten im gesellschaftspolitischen Bereich: Es gibt einen Antidiskriminierungs-Beauftragten und einen Antirassismus-Beauftragten, einen Beauftragten für Menschenrechte im Justizministerium und einen Beauftragten für Menschenrechte im Auswärtigen Amt. Ferner einen Antisemitismus-Beauftragten, einen Antiziganismus-Beauftragten und einen Aussiedler-Beauftragten, einen Religionsfreiheit-Beauftragten, einen Terroropfer-Beauftragten und einen Queer-Beauftragten. Da besteht die Gefahr, dass kein mehrstimmiges Miteinander entsteht, sondern bestenfalls ein vielstimmiges Durcheinander und schlechtestenfalls ein rivalisierendes Gegeneinander.

Unklare Rechtslage

Helfen würde hier nur eine klare Aufgaben-Abgrenzung. Die gibt es aber nicht. Genauso wenig wie es eine gesetzliche Grundlage für das Beauftragtenwesen gibt. Juristen wie Karoline Haake fordern deshalb rechtliche Klarheit. Vor ihrer Tätigkeit als Rechtsreferendarin am Oberlandesgericht Celle hat die Verfassungsrechtlerin an der Universität Hannover über die Bundesbeauftragten promoviert. In ihrer Doktorarbeit kommt sie zu dem Schluss: »Manche Beauftragte haben eigene gesetzliche Regelungen. Das ist aber die Ausnahme. Um die rechtlichen Schwierigkeiten zu klären, könnte man ein allgemeines Bundesbeauftragten-Gesetz verabschieden.« Das sollte dann Berufung und Amtsdauer, Rechte und Pflichten, Ausstattung und Entschädigung definieren. Ein solches Gesetz plant die Bundesregierung aber nicht.

Erfolg ist Glückssache

Darum bleibt der Erfolg der Beauftragten Glückssache. Welchen Einfluss sie haben, hängt laut Haake davon ab, wie früh und wie stark sie in Regierungsvorhaben eingebunden sind. »Das ist aber komplett abhängig von der Kooperationsbereitschaft der Ministerien«, räumt die Juristin ein. Und macht zugleich Hoffnung: »Am meisten können die Beauftragten durch Öffentlichkeitsarbeit bewirken. Indem sie die Position der Regierung oder die eigene Position vertreten, aktuelle Debatten kommentieren oder Handlungsbedarf anmahnen.« Es kommt also auf den Einzelnen an – seine Persönlichkeit und sein Engagement – was er aus dem Amt macht.

Machtkampf in der Partei

Womöglich geht es aber gar nicht um Wirksamkeit, sondern um Revierkampf. Paradebeispiel ist der Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck im Jahr 2022. Erst machte die Außenministerin die frühere Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur »Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik«, dann der Klimaminister seinen Staatssekretär Udo Philipp zum »Koordinator für strategische Auslandsprojekte«. Damit wildert der eine im Terrain des anderen – und versucht, den Widersacher auszustechen.

Geld und Aufmerksamkeit

Manchmal geht es aber nicht um parteiinterne Konkurrenz, sondern um zwischenparteilichen Ausgleich. Oder wie Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin sagt: »Die Beauftragten ermöglichen den Regierungsparteien, den parteipolitischen Proporz auszutarieren.« Denn nicht nur das grüne Außen- und Klimaministerium ernennen Beauftragte. Auch das SPD-geführte Gesundheitsministerium listet drei Beauftragte für Patienten, Pflege und Drogen und das FDP-geführte Verkehrsministerium verzeichnet zwei Beauftragte für Güter- und Schienenverkehr. Dabei sollten mit derlei Themen doch eigentlich genug Verwaltungsbeamte im eigenen Ressort befasst sein. Warum also Doppelstrukturen? Die Antwort gibt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel: »Diese Jobs sichern nicht bloß direkte Alimentierung, sondern auch öffentliche Aufmerksamkeit. Das ist die Währung der Politik.«

Willkürliche Themenwahl

In einigen Fällen wird auch ein abservierter Amtsträger mit einem neuen Posten vertröstet. So geschehen bei Arne Schönbohm. Wegen fragwürdiger Russlandkontakte musste der Leiter des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik im Jahr 2022 seine Stelle räumen. Stattdessen wurde er von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zum Präsidenten der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung ernannt. Um die Degradierung zu kaschieren, darf er sich zusätzlich mit dem Titel des »Sonderbeauftragten für die Modernisierung der Fortbildungslandschaft« schmücken.

Dass die Wahl der Themen, die in den Genuss eines Beauftragten kommen, recht willkürlich ist, zeigen auch die abgedeckten Länder und Regionen: Zwar gibt es je gleich drei Beauftragte für Polen, Westbalkan und Kaukasus, aber keinen einzigen für Asien, Afrika und Lateinamerika.

Doppelrolle in Parlament und Regierung

Besetzt werden die Posten meist mit Staatsministern, Staatssekretären und Bundestagsabgeordneten. Parlamentarier stellen knapp die Hälfte aller Amtsträger. Die Doppelrolle begreifen die Betroffenen selbst als Bonus: Reem Alabali-Radovan, SPD-Abgeordnete und Antirassismus-Beauftragte, meint: »Als Abgeordnete bin ich unterwegs im Wahlkreis. Feedback zu bekommen, wie es den Menschen vor Ort geht, ist ein Vorteil.« Ihr Kollege Stefan Schwartze, ebenfalls SPD-Abgeordneter und Patienten-Beauftragter, stimmt zu: »Mein Abgeordneten-Mandat stärkt meine Beauftragten-Position, weil ich mit Parlamentariern sprechen, in der Fraktion das Wort ergreifen und in Ausschüsse gehen kann.«

Aufhebung der Gewaltenteilung

Daran melden Wissenschaftler Bedenken an: »Die Doppelrolle weckt den Eindruck von Selbstbedienungsmentalität«, kritisiert Politikexperte Schroeder. Und Verfassungsrechtlerin Haake ergänzt: »Die Bundestagsabgeordneten sollen die Bundesregierung kontrollieren.« Als Teil der Regierung könnten sie diese Aufgabe nicht erfüllen. Die Gewaltenteilung werde aufgehoben. Das gefährde die Demokratie.

Scheinexistenz eines Untoten

Damit wächst die Zahl der Regierungsbeauftragten immer weiter an: von 1 im Jahr 1952 auf 45 im Jahr 2024. Denn während ständig neue Posten geschaffen werden, werden selten alte Posten gestrichen. Die Beauftragtenstelle für Berlin-Umzug und Bonn-Ausgleich etwa fristet weiterhin die Scheinexistenz einer Untoten, obwohl der Standortwechsel längst vollzogen ist.

Hohe Kosten, wenig Nutzen

Die Beauftragten-Flut nutzt den Bürgern wenig, kostet sie aber viel: Die einen arbeiten ehrenamtlich, die anderen beziehen monatlich 10.000 Euro. Die einen sind auf sich allein gestellt, die anderen werden von einem 50-köpfigen Mitarbeiterstab unterstützt. Damit summierten sich die Ausgaben auf 22 Millionen Euro im Jahr 2022 und auf 31 Millionen Euro im Jahr 2023. Diese Steuersummen nannte die Bundesregierung auf CDU-Anfrage. Die Regierung hat allerdings auch einen Beauftragten für Bürokratieabbau bestellt. Vielleicht baut der demnächst auch einige Beauftragte ab. Das würde dem Meer und der maritimen Wirtschaft bestimmt nicht schaden, dafür aber dem Staatshaushalt und dem Steuerzahler sicher nutzen. (GEA)