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Aktuell Gespräch mit Simone Peter

Grünen-Bundesvorsitzende kritisiert »hilflosen Aktionismus«

REUTLINGEN. Der jüngste Beschluss der Großen Koalition in Berlin kommt bei der Grünen-Bundesvorsitzenden gar nicht gut weg. »Verschärfungen des Ausweisungsrechts, wie sie das Bundeskabinett gestern beschlossen hat, sind wirkungslose Symbolpolitik«, sagt Simone Peter im Redaktionsgespräch beim Reutlinger General-Anzeiger. »Solange Menschen aus den Maghreb-Staaten bis zu zwei Jahre auf ihre Bescheide warten müssen und diese Staaten ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen, sind diese Maßnahmen hilfloser Aktionismus«, so Peter weiter.

Grünen-Bundesvorsitzende Simone Peter hält nichts davon, Podiumsdiskussionen mit AfD-Beteiligung zu boykottieren: "Mir ist es li
Grünen-Bundesvorsitzende Simone Peter hält nichts davon, Podiumsdiskussionen mit AfD-Beteiligung zu boykottieren: »Mir ist es lieber, ich bin dabei.« Foto: Gerlinde Trinkhaus
Grünen-Bundesvorsitzende Simone Peter hält nichts davon, Podiumsdiskussionen mit AfD-Beteiligung zu boykottieren: »Mir ist es lieber, ich bin dabei.«
Foto: Gerlinde Trinkhaus
Die Grünen-Politikerin hält im Umgang mit kriminellen Ausländern schnellere Asyl- und Strafverfahren für deutlich wirkungsvoller.

Das Flüchtlingsthema bestimmt die politische Debatte, auch wenn Peter nach Reutlingen gekommen ist, um über Energiepolitik zu diskutieren. Und, ähnlich wie die Gesellschaft insgesamt, polarisiert das Thema auch die Grünen. Doch während etwa ihr Co-Vorsitzender Cem Özdemir laut über Grenzen der Belastbarkeit in der Flüchtlingspolitik nachdenkt und Tübingens grüner OB Boris Palmer gar fürchtet, man schaffe es nicht, bleibt Peter bei ihrem Kurs.

Im Blick hat sie nach den Vorfällen von Köln auch und gerade junge Männer aus den Maghreb-Staaten. Zwei Jahre müssten beispielsweise Zuwanderer aus Marokko oft warten, bis endlich über ihren Asylantrag entschieden werde. Für die Integration sei dies aber verschenkte Zeit. »Junge Menschen dürfen nicht jahrelang mit prekären Aufenthaltsstatus und ohne Integrationsmöglichkeit hier leben«, sagt Peter. Wichtig seien frühe Integrationskurse, in denen die Zuwanderer neben Rechtsfragen auch den deutschen Alltag kennenlernen. »Wir leben in einer offenen Gesellschaft, aber nicht grenzenlos.«

»Wir müssen den Dialog mit Afrika auf Augenhöhe führen«
Die schärferen Ausweisungsbestimmungen für kriminelle Ausländer, auf die sich die Große Koalition in Berlin verständigte, hält Peter aber auch noch aus einem anderen Grund für Augenwischerei. Marokko etwa weigere sich oft, seine Staatsbürger überhaupt zurückzunehmen. Peter will deshalb in der Flüchtlingspolitik zweigleisig fahren: Einerseits Fluchtursachen bekämpfen, andererseits die hier lebenden Flüchtlinge so schnell wie möglich integrieren. Wozu für sie auch der Familiennachzug gehört.

Zur Bekämpfung von Fluchtursachen gehört für Peter auch, jene Länder zu stärken, die im Umfeld der Krisenregionen in großem Stil Schutz suchende Menschen aufnehmen. Der Libanon, Jordanien und die Türkei haben Millionen Flüchtlingen Zuflucht gewährt – und werden mit dem Problem alleingelassen. »Dass das Welternährungsprogramm so zurückgefahren wurde, ist ein Skandal«, sagt Peter.

Mit Marokko will Peter die Entwicklungszusammenarbeit im Gegensatz zu SPD-Chef Sigmar Gabriel stärken. Die Unterstützung einer Energiewende, bessere Handelsbeziehungen und eine Wirtschaftspolitik, die die Benachteiligung der nordafrikanischen Länder insgesamt beendet, hält sie für einen wirksamen Weg, um Fluchtursachen zu bekämpfen. »Wir müssen den Dialog mit Afrika auf Augenhöhe führen.«

Besorgt ist die Grünen-Frontfrau über die Übergriffe von Köln, aber auch darüber, wie solche Vorfälle instrumentalisiert werden, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Das Erstarken des Rechtspopulismus in Deutschland wie in Europa verfolgt Peter mit Sorge. Im Streit um die Teilnahme an Podiumsveranstaltungen, bei denen die AfD mit am Tisch sitzt, fährt Peter deshalb einen klaren Kurs. »Man muss klare Kante zeigen und die AfD entlarven.«

»Man muss klare Karte zeigen und die AfD entlarven«
Peter findet es deshalb auch richtig, dass der Grünen-Landtagsabgeordnete Thomas Poreski in Reutlingen auf dem Wahlpodium die Auseinandersetzung mit der AfD sucht. »Wir haben als Grüne im Bund von Anfang an klargemacht, dass wir uns der Diskussion stellen wollen.« Man müsse aber auch eine Ebene für den Diskurs finden. Würde sie sich selbst mit einem AfD-Vertreter aufs Podium setzen? »Ja, sagt Peter.« »Mir ist es lieber, ich bin dabei.«

Die Flüchtlingsfrage und der Umgang damit wird auch die Landtagswahl in Baden-Württemberg bestimmen. Die Grünen schwimmen in Umfragen obenauf, doch eine grün-rote Mehrheit ist unsicher. Entscheidend wird wohl auch hier die Flüchtlingspolitik sein. Oder, genauer, die Frage, welche Position die SPD die nächsten Wochen dazu einnimmt, meint Poreski. (GEA)