REUTLINGEN/BERLIN. Der Ukraine-Krieg, Syrien oder der Konflikt im Sudan: Viele Kriege scheinen unlösbar zu sein. Luxshi Vimalarajahs Arbeit besteht darin, genau solch unlösbare Konflikte zu befrieden. Sie ist Friedensmediatorin bei der Berghof Foundation und verhandelt in internationalen Konflikten. Wie ihre Arbeit konkret aussieht und wie man mit Kriegsverbrechern spricht, erklärt Vimalarajah im GEA-Interview.
GEA: Frau Vimalarajah, Sie verhandeln in internationalen Konflikten. Wie kommt es dazu? Ruft da einfach eine Kriegspartei bei der Berghof Foundation an und bittet um Vermittlung?
Luxshi Vimalarajah: Meist sind es nicht die Kriegsparteien selbst, sondern ihnen vertraute Personen oder auch internationale Organisationen oder Regierungen. Die erste Kontaktaufnahme mit uns geschieht meistens vor dem Hintergrund eines bevorstehenden Kurswechsels, wenn Konfliktparteien sondieren, welche Ausstiegsoptionen vorhanden sind, um Krieg zu beenden. Meistens rufen sie nicht an, sondern melden sich per E-Mail oder über den Messenger Signal bei uns. Wir laden die Konfliktparteien dann in unser Büro in Berlin ein oder vereinbaren einen neutralen Treffpunkt, um herauszufinden, wie ernst die Anfrage gemeint ist. Wenn wir bei der Berghof Foundation angefragt werden, ob wir in einem Konflikt vermitteln oder Verhandlungsunterstützung anbieten können, schauen wir zuerst, ob wir auch das geeignete Personal mit der entsprechenden Expertise haben. Dann machen wir eine umfassende Konfliktanalyse. Wir müssen überprüfen, wer das ist, ob die Sachlage wirklich stimmt und auch, ob die jeweiligen Personen ein Mandat für Verhandlungen haben. Also gibt es wirklich den Rückhalt der Konfliktparteien, und ernsthaften Willen, politische Optionen aus dem Konflikt zu suchen. Denn sonst bringt das nichts. Wir überprüfen auch, inwiefern die Berghof Foundation dafür geeignet ist. Nicht immer sind wir die besten in einem bestimmten Kontext.
Warum wird die Berghof Stiftung benötigt? Schließlich kennt man es aus den Nachrichten, dass vor allem Staaten als Vermittler in Konflikten auftreten.
Vimalarajah: Eigene Vermittler zu schicken, ist für die Staaten oft schwierig. Sie haben in internationalen Konflikten häufig Sanktionen oder andere Strafmaßnahmen gegen die Konfliktparteien beschlossen. Ihre Vermittler werden dann nicht als unabhängig angesehen. Außerdem wertet es eine Konfliktpartei auf, wenn ein Staat offiziell mit ihnen spricht. Auch das will man vermeiden, etwa, wenn es um Organisationen geht, die auf der Terrorliste stehen. Deshalb ist es für uns als Nichtregierungsorganisation (NGO) einfacher, zu vermitteln, insbesondere in der Vorverhandlungsphase, bevor es dann zu den öffentlichen Verhandlungen kommt, die man auch in den Nachrichten sehen kann. Wir bereiten die Grundlage für die spätere formelle Verhandlung vor. Daher ist unsere Arbeit komplementär zu Vermittlungsbemühungen der Staaten.
Wie sieht denn eine solche Verhandlung überhaupt genau aus?
Vimalarajah: Pauschal lässt sich das nicht sagen. Es gibt nicht die eine Verhandlung. Das ist ein mehrstufiger Prozess. Es gibt Verhandlungen, bei denen sich die Konfliktparteien erst bei der offiziellen Unterzeichnung des Friedensvertrags gegenübersitzen. Um überhaupt Friedensverhandlungen starten zu können, braucht es gewisse Voraussetzungen. Es ist immer ein freiwilliger Prozess, den die Konfliktparteien und auch der Mediator verlassen können. Sehr viel geschieht auch, bevor die Parteien zusammengebracht werden. Es ist wichtig, dass alle verstehen, worauf sie sich einlassen. Daher bereiten wir die Parteien gezielt auf Verhandlungen vor, damit sie in der komplexen Verhandlungssituation die Orientierung und Sicherheit nicht verlieren. In der Vorverhandlungsphase, wir nennen das »Talks about talks« findet eine Vertrauensbildung statt. Diese braucht es, um in die wirkliche Verhandlungsphase starten zu können. Unsere Arbeit findet dann meist als Shuttle-Vermittlung statt. Man pendelt zwischen den Konfliktparteien hin und her. Das ist aber kein reiner Botendienst. Wir Mediatoren müssen Übersetzungsarbeit leisten. Wenn eine Partei eine Position hat, versuchen wir diese so darzustellen, dass sich Gemeinsamkeiten finden lassen. Wir versuchen immer wieder auszuloten, wo sich eine kleine vorsichtige Öffnung finden lässt, um daran anknüpfen zu können. Etwa, wenn Partei A bereit ist, über Z zu sprechen, dann sagen wir: »Partei A bietet Z an. Wir sehen darin schon in folgenden Punkten ein Zugeständnis.«
»Bei so viel Leid ist es manchmal schwierig, überparteilich zu sein«
Sie verhandeln auch mit Menschen, die schlimmste Kriegsverbrechen begangen haben. Wie gehen Sie damit um?
Vimalarajah: Ein Mediator muss überparteilich sein. Bei so viel Leid und massiven Menschenrechtsverletzungen ist es manchmal schwierig, überparteilich zu sein. In einem Krieg gibt es letztlich keine Heiligen. In Sri Lanka habe ich mit der später als Terrororganisation eingestuften LTTE (die nichtstaatliche militärische Organisation Liberation Tigers of Tamil Eelam, d. Red.) verhandelt, die Kindersoldaten eingesetzt hat. Aber auch die srilankanische Regierung hatte Menschenrechtsverletzungen begangen, wie genozidale Kriegsführung gegen die tamilische Minderheit, für deren Unabhängigkeit die LTTE kämpfte.

Und wie gehen Sie persönlich damit um, wenn Sie mit solchen Kriegsverbrechern verhandeln müssen?
Vimalarajah: Wir Friedensmediatoren haben leider hauptsächlich mit Kriegsverbrechern unterschiedlicher Herkunft zu tun. Es ist auch eine individuelle Frage, ob der Mediator in einem Konflikt vermitteln kann. Natürlich erkundige ich mich vor den Gesprächen, mit wem ich es zu tun habe. Ich versuche, die Beweggründe meines Gegenübers zu verstehen. Was ist passiert, dass es zu solcher Unmenschlichkeit kommen konnte? Mir persönlich ist es trotzdem zweimal passiert, dass ich bei einer Mediation Skrupel hatte. Ich konnte dann einem Kommandeur einfach nicht die Hand geben. Mein Innerstes hat sich dagegen gesträubt. Da das jedoch im asiatischen Kulturkreis passiert ist, gab es andere Wege zur Begrüßung. So bin ich noch einmal davongekommen.
Verfolgen Sie bestimmte Prinzipien, wenn Sie verhandeln?
Vimalarajah: Zum einen verfolgen wir den Grundsatz der UN, dass über Amnestieregeln für Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verhandelt wird. Dennoch passiert es häufig, dass Personen, die zum Beispiel mit einem internationalen Haftbefehl gesucht werden, zuerst über Amnestie reden wollen, bevor es um Friedensverhandlungen geht. Da erklären wir, dass wir darüber nicht sprechen können. Zudem verfolgen wir einen regelbasierten Ansatz. Wie schon erwähnt, muss die Verhandlung auf Freiwilligkeit beruhen. Außerdem schließen die Verhandlungsparteien eine Vertraulichkeitsvereinbarung ab und ich erwarte eine gewisse Verbindlichkeit. Wenn die Dinge, die wir verhandeln, nicht umgesetzt werden, muss ich auch nicht weitervermitteln. Und dann gibt es noch eine klare Vorgabe: das Verbot der Entmenschlichung. Wir diskutieren nicht, wer die schlimmeren Verbrechen begangen hat. Und entscheiden auch nicht über eine historische Wahrheit. Das geschieht in den anschließenden Friedenszeiten. Und das muss eine Gesellschaft für sich selbst tun.
Muss man, um Konflikte wie etwa den Ukraine-Krieg zu lösen, auch mit Menschen wie Putin verhandeln?
Vimalarajah: Wenn ein Akteur eine Schlüsselposition innehat, um dem Konflikt ein Ende zu setzen, dann müssen wir mit ihm reden. Das heißt natürlich nicht, dass wir diese Person dadurch aufwerten. Ihre Taten müssen sanktioniert werden. Dennoch brauchen wir diese Personen für die Beendigung des Krieges.
»Mir fehlt in der aktuellen Politik die Nüchternheit und Weitsicht«
Welche Voraussetzungen bräuchte es, um über einen Frieden in der Ukraine zu verhandeln?
Vimalarajah: Ich möchte dazu meinen Kollegen Jonathan Powell, den ehemaligen Stabschef von Premierminister Tony Blair zitieren. Er verhandelte im damals als unlösbar geltenden Nordirlandkonflikt und sagte kürzlich: »Selbst die hartnäckigsten Konflikte müssen mit Verhandlungen gelöst werden.« Verhandlungen führen aber oft erst zum Ziel, wenn beide Parteien in einer schmerzhaften Pattsituation gefangen sind. Das heißt, wenn die Kosten den Krieg weiterzuführen für beide Seiten zu hoch sind. Solange eine Seite das Gefühl hat, den Krieg auch militärisch gewinnen zu können, wird es keine ernsthaften Friedensverhandlungen geben, nur punktuelle Verhandlungen um die humanitäre Situation zu lindern – zum Beispiel einen Gefangenenaustausch. Der Instrumentenkasten der zivilen Konfliktbearbeitung ist noch nicht völlig ausgeschöpft.
ZUR PERSON
Luxshi Vimalarajah studierte an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaften, bevor sie sich auf zivile Konfliktbearbeitung und Friedensmediation spezialisierte. Sie arbeitet bei der Berghof Foundation und war als Friedensmediatorin an Verhandlungs- und Friedensprozesse in Sri Lanka, Myanmar, Nepal, Nordmazedonien, im Baskenland und dem Jemen beteiligt. Sie ist zurzeit in einigen diskreten Verhandlungsunterstützungsprozessen in Europa und Asien involviert. Die Berghof Foundation, mit Sitzen unter anderem in Berlin und Tübingen, ist eine Nichtregierungsorganisation, die sich für Frieden einsetzt. (geu)
Wie meinen Sie das?
Vimalarajah: Wir haben Erfolge damit erzielt, zu vermitteln – auch bei hartnäckigen und komplexen Konflikten. Wir haben Erfahrungen aus der Nachkriegszeit und während des Kalten Krieges mit Instrumenten der zivilen Konfliktbearbeitung, unter anderem mit Frühwarnung, Deeskalation, Vertrauensbildung gesammelt. Es erscheint mir, dass sie bislang noch nicht genügend eingesetzt worden sind. Ein Frieden muss vor allem in Kriegszeiten vorbereitet werden. Mir fehlen in der aktuellen Politik die Nüchternheit und Weitsicht. Ich meine damit nicht, dass die Sicherheitspolitik vernachlässigt werden soll. Wir sollten zusätzlich andere Strategien genauso intensiv verfolgen. Wir wissen von anderen Transitionsprozessen, dass der politische Wandel dann nachhaltig ist und mehr Legitimität besitzt, wenn er von innen verursacht wird. Dafür müssen wir die Zivilgesellschaft in Russland erreichen. Das funktioniert, indem wir für einen Austausch in Forschung, Sport und Kultur sorgen. Wir brauchen mehr Kooperation, Kommunikation, Verständigung und Überzeugungsarbeit. Das gelingt nicht durch Isolation. (GEA)