PARIS. Rund acht Wochen und etliche Sondierungsgespräche sind nach der vorgezogenen Parlamentswahl vergangen, doch eine neue Regierung ist nicht in Sicht. Die Parteien haben sich zwar teils offen für Zusammenarbeit gezeigt, aber so richtig wagt niemand den Sprung über den eigenen Schatten. Präsident Emmanuel Macron gerät immer weiter unter Druck. Macron hat sich deswegen mit seinen Amtsvorgängern François Hollande und Nicolas Sarkozy beraten.
Bei der Wahl landete das Linksbündnis Nouveau Front Populaire überraschend auf Platz eins – vor Macrons Mitte-Kräften und den zwischenzeitlich schon auf Rang eins prognostizierten Rechtsnationalen um Marine Le Pen. Eine absolute Mehrheit erhielt keines der Lager. Dass sich die Regierungssuche so schwierig gestaltet, liegt auch daran, dass diese Situation in Frankreich ungewohnt ist. Fast immer gab es zuletzt eine klare Regierungsmehrheit für eines der politischen Lager – aufgrund der einstigen Stärke der Volksparteien und des Mehrheitswahlrechts.
Entsprechend sind Koalitionen nicht Teil der politischen Kultur. Und die Parteien, die im Parlament oft einen Konfrontationskurs fahren, tun sich äußerst schwer mit dem Gedanken, trotz unterschiedlicher Positionen an einem Strang zu ziehen. Das aber wird nötig sein, denn keines der Lager verfügt über eine absolute Mehrheit.
Kern des Anstoßes bei der Regierungssuche ist vor allem die mitunter populistische Linkspartei La France Insoumise (LFI). LFI ist Teil des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire, das seit der Wahl auf seinem Regierungsanspruch beharrt. Alle anderen Lager drohen jedoch, eine solche Regierung per Misstrauensvotum zu stürzen – wegen LFI.
Genau aus diesem Grund hat Macron dem Vorhaben der Linken eine klare Absage erteilt. »Eine Schande«, »ein illiberales Abdriften« und »eine Verweigerung der Demokratie« warf das Bündnis ihm danach vor. Es fühlt sich um seinen Wahlsieg betrogen und fürchtet, Macron wolle einfach seine Politik fortführen – Wahlausgang hin oder her.
Macron hingegen sieht sich als Staatschef als Garant der Stabilität der Institutionen. Die vom linken Lager vorgeschlagene Regierungschefin zu ernennen, wenn diese ohnehin gleich darauf gestürzt wird, kommt für ihn nicht infrage. Seine Sondierungsgespräche dürfte er als Versuch sehen, eine Lösung für die verzwickte Situation zu finden, in der kein Lager wie gewohnt alleine weitermachen kann. Immer wieder betont der Élysée, Macron sei hier nur Schiedsrichter.
Doch die Linke nimmt den Präsidenten, der bis zuletzt mit der Regierung seine ganz eigene Politik durchgesetzt hat, viel mehr als Entscheider wahr – als jemanden, der selbst eine Koalition bauen möchte, anstatt diese Aufgabe an einen Premier abzugeben. LFI droht gar damit, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Macron einzuleiten.
Wie also kann es in Frankreich weitergehen? Die Konservativen sind weiterhin nicht bereit, Teil einer Regierung zu sein. Macrons Mitte-Lager fehlen bis zur absoluten Mehrheit gut 120 Sitze, dem Linksbündnis knapp 100. Marine Le Pens Rechtsnationale kommen für die anderen Lager als Partner ohnehin nicht infrage.
Noch pochen Kommunisten, Sozialisten, Grüne und LFI darauf, im Verbund zu regieren. Doch bei den Sozialisten stieg der Druck zuletzt, alleine zu Macron an den Verhandlungstisch zurückzukehren und sich von LFI abzuwenden. Macron könnte hoffen, auch die Grünen für eine Koalition zu gewinnen – oder aber zusätzlich auf eine Duldung durch die Konservativen setzen. Eine Ernennung des ehemaligen sozialistischen Premiers Cazeneuve zum Regierungschef könnte als Geste in Richtung links verstanden werden, und als Eingeständnis, dass das Linksbündnis die Wahl gewonnen hat.
Sollte all dies scheitern, blieben Macron zwei Möglichkeiten: eine Expertenregierung oder es am Ende doch dem Premier zu überlassen, seine Mehrheiten zu finden. Damit dies gelänge, bräuchte er allerdings eine möglichst beliebte und unverfängliche Persönlichkeit, die fast genauso schwer zu finden sein dürfte wie eine Koalition. (dpa)