REUTLINGEN. Viktor Orban macht es seinen Feinden wahrlich leicht, ihn als europäischen Bösewicht darzustellen. Beim EU-Gipfel hat er sein Veto gegen Finanzhilfen für die Ukraine eingelegt und im Gegenzug die Freigabe von eingefrorenen Geldern für Ungarn gefordert. Das kann man mit Fug und Recht Erpressung nennen. Denn das Hilfspaket für die kriegsgeplagte Ukraine hat nichts den Milliarden für Ungarn zu tun. Doch das schert Orban nicht. Er scheut sich nicht, das Leid der Ukraine für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Das ist moralisch verwerflich, aber politisch legitim und vor allem erfolgreich.
Die Blockadehaltung von Orban beim EU-Gipfel ist sicher nicht die feine Art. Andererseits hat er schon mehrmals gezeigt, dass ihm fast jedes Mittel recht ist, um seine nationalen Interessen durchzusetzen. Insofern müssen sich die anderen EU-Staaten fragen lassen, ob sie nicht auch mitverantwortlich sind, dass der Konflikt jedes Mal eskaliert. Kleinere EU-Staaten sehen sich jedenfalls immer wieder gezwungen, auf dieses Mittel zurückzugreifen. Denn ihre Anliegen fallen in Brüssel gern durch den Rost. Die EU neigt dazu, den Streit zu skandalisieren und kleine Länder unter Druck zu setzen. Das ist der falsche Weg. Denn genau darauf setzt ja die Politik dieser Populisten. Und genau dieser Streit nutzt auch der Gegenseite, die sich als Bewahrer der europäischen Werte darstellen kann.
Auch Viktor Orban vertritt nur die Interessen seines Staates, wie andere Regierungschefs in der Europäischen Union auch. Da wäre mehr Pragmatismus gefragt. Olaf Scholz hat beim Gipfel in Brüssel bewiesen, dass es funktioniert. Der deutsche Kanzler hat Orban geraten, einer Abstimmung über den EU-Beitritt der Ukraine fern zu bleiben. So konnte der Ungar sein Gesicht wahren, und in Kiew kann man sich über das Ja zu Beitrittsgesprächen freuen. Es geht auch anders.