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Ex-BND-Mann ist von Häufung der Spionage-Fälle nicht überrascht

Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat zur Europawahl, weist jede Schuld von sich. Ein Mitarbeiter von Krah steht unter dem Verda
Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat zur Europawahl, weist jede Schuld von sich. Ein Mitarbeiter von Krah steht unter dem Verdacht der Spionage für China. Der Mitarbeiter befindet sich in Untersuchungshaft. FOTO: NIETFELD/DPA
Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat zur Europawahl, weist jede Schuld von sich. Ein Mitarbeiter von Krah steht unter dem Verdacht der Spionage für China. Der Mitarbeiter befindet sich in Untersuchungshaft. FOTO: NIETFELD/DPA

BERLIN. Im »Burgraben« fließt kein klares Wasser, obwohl es zuletzt viel geregnet hat. Vielmehr steht an diesem kalten Frühlingsmorgen schmutziger, dunkelbrauner, faulig riechender Morast im betonierten Bachlauf vor der riesigen Zentrale des deutschen Auslandsgeheimdiensts. Wegen seiner abweisenden Schießscharten-Architektur heißt der auf umgerechnet 36 Fußballfeldern gebaute Komplex in der Chausseestraße in Berlin-Mitte bei den Anwohnern nur die »Burg«. Und das normalerweise hübsch dahinplätschernde künstliche Flüsschen davor eben Burggraben.

Das 2016 bezogene Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes ist das größte seiner Art weltweit, übertrumpft sogar die legendären CIA-Headquarters im US-amerikanischen Langley und den Sitz der KGB-Nachfolgeorganisationen in Moskau. Doch trotz ihrer gewaltigen Dimensionen ist die BND-Anlage nur die winzige, sichtbare Spitze eines riesigen Eisbergs. Mehrere Tausend Agenten aus aller Herren Länder gehen in Deutschland ihrem geheimen Handwerk nach. Vor allem, aber bei Weitem nicht nur in Berlin, das John le Carré, Meister des Agentenromans, »ewige Stadt der Spione« nannte. Die ganze Republik erscheint derzeit wie ein dreckiger, kaum zu durchschauender Sumpf, in dem sich die unheimlichen Gestalten nur so tummeln. Denn kaum ein Tag vergeht, an dem nicht haarsträubende Fälle von mutmaßlicher feindlicher Spionage für Schlagzeilen sorgen.

Gerhard Conrad war lange Zeit beim Bundesnachrichtendienst (BND), dem deutschen Auslands- geheimdienst.  FOTO: DPA
Gerhard Conrad war lange Zeit beim Bundesnachrichtendienst (BND), dem deutschen Auslands- geheimdienst. FOTO: DPA
Gerhard Conrad war lange Zeit beim Bundesnachrichtendienst (BND), dem deutschen Auslands- geheimdienst. FOTO: DPA

So werden in Düsseldorf und Bad Homburg zwei Männer und eine Frau wegen Verdachts der Agententätigkeit für China festgenommen. Sie sollen Informationen über Militärtechnik beschafft und an den chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben. Kurz darauf lassen die Behörden in Dresden Jian G. auffliegen. Der enge Mitarbeiter des AfD-Politikers Maximilian Krah steht im Verdacht, Informationen, zu denen er als Assistent des EU-Parlamentariers Krah Zugang hatte, an das chinesische Ministerium für Staatssicherheit weitergegeben zu haben. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall. Jian G. soll den Erkenntnissen zufolge nicht nur vertrauliche Informationen über Verhandlungen im EU-Parlament verraten, sondern auch chinesische Oppositionelle in Deutschland ausgespäht haben.

Krah beteuert, er habe sich selbst kein Fehlverhalten vorzuwerfen und will Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl im Juni bleiben. Aktuell nicht der einzige Verdachtsfall mit AfD-Bezug: Spitzenfunktionär Petr Bystron wird vorgeworfen, Schmiergeld aus Russland angenommen zu haben. Bystron ist Bundestagsabgeordneter und steht auf Platz zwei der AfD-Europakandidatenliste. Den Vorwurf, von Moskau Geld erhalten zu haben, weist er zurück.

In der Woche davor nimmt die Polizei in Bayreuth zwei mutmaßliche russische Spione fest. Im Auftrag Moskaus sollen sie US-Stützpunkte wie den Truppenübungsplatz Grafenwöhr ausgespäht haben. Die Ermittler gehen zudem davon aus, dass das Duo Anschläge auf militärische Transportwege plante. Ziel soll gewesen sein, die Unterstützung von Deutschland und den USA für die Ukraine zu sabotieren.

Vor dem Berliner Kammergericht muss sich derzeit Carsten L. verantworten, ein ranghoher Mitarbeiter der »Burg«, der eingangs erwähnten BND-Zentrale. Er soll Staatsgeheimnisse mit Bezug zum Ukraine-Krieg an Moskau verraten haben. Ein mitangeklagter Geschäftsmann hat ihn schwer belastet, doch der Geheimdienstler streitet alle Vorwürfe ab. Laut Anklage sollen beide einen »Agentenlohn« von 450.000 Euro beziehungsweise 400.000 Euro kassiert haben.

Gerhard Conrad war fast 30 Jahre lang beim BND mit geheimen Missionen im Ausland betraut, gilt als einer der erfolgreichsten Mitarbeiter in der Geschichte des Dienstes. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt er sich wenig überrascht von den jüngsten Festnahmen. Dass immer wieder Namen von AfD-Politikern auftauchten, wenn es um Spionage-Fälle gehe, sei dabei kein Zufall: »Geheimdienste suchen Milieus, in denen es eine ausreichend große Distanz zum herrschenden politischen System gibt. Dass dies bei der AfD so ist, daraus macht die Partei ja selbst keinen Hehl.«

Ebenfalls kein Zufall sei es, dass durch die Festnahmen in den letzten Tagen verstärkt die Aktivitäten Chinas in den Fokus gerückt sind. Conrad: »China arbeitet langfristig, subtil und nachhaltig. Im Cyberraum verfolgt Peking eine breit angelegte Strategie des ›Hack to Exploit‹ – zu Deutsch ›Hacken und Ausbeuten‹. Das machen andere Dienste auch, aber China schon seit Jahren im ganz großen Stil.« Der Experte erklärt das System: Dabei würden ganze Datenbanken in den USA oder Europa gehackt und geplündert, zum Beispiel von Versicherungen oder Einwohnermeldeämtern. »Diese gigantischen, auf den ersten Blick wertlosen Datensätze werden über Jahre zu Millionen von Personenprofilen verknüpft. Aus diesem Reservoir können die chinesischen Dienste beispielsweise gezielt den Mitarbeiter eines Rüstungsunternehmens oder einer Partei samt persönlichem und organisatorischem Umfeld filtern, der möglicherweise geheimdienstlich angegangen werden kann.« Wer sich darauf einlasse, gerate schnell in ein fatales Abhängigkeitsverhältnis. »Das geht durch Affinität, durch Geld oder auch Kompromittierung. Jeder, der eine längere verdeckte Kooperation mit einem ausländischen Nachrichtendienst eingegangen ist, ist ja per se verstrickt. Da braucht es keine schlüpfrigen Bilder, oder Ähnliches«, erklärt Conrad.

Dass Russland nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine auf eine weit aggressivere Gangart setzt, ist bekannt. 2019, ziemlich genau um die Mittagszeit, geht ein Asylsuchender aus Georgien durch den Kleinen Tiergarten am Rande des Berliner Regierungsviertels, als sich ein Mann auf einem Fahrrad nähert. Der Radler tötet den Georgier mit zwei Schüssen aus nächster Nähe in Kopf und Rücken. Weil der Täter beobachtet wird, wie er Fahrrad und eine Perücke in die Spree wirft, kann er verhaftet werden. Das Gericht, das ihn zu lebenslanger Haft verurteilt, ist überzeugt, dass der »Tiergartenmörder« im staatlichen russischen Auftrag gehandelt hat.

Für Geheimdienstexperten wie Gerhard Conrad sind solche spektakulären Tötungsdelikte extreme Beispiel in einer sehr breiten Palette russischer Agententätigkeit in der Bundesrepublik. »Da geht es einmal um Militärspionage und politische Subversion, nötigenfalls auch um Sabotage«, sagt er. Und es geht um mit großem Aufwand ausgeführte Desinformationskampagnen. Damit soll über eine Vielzahl von Social-Media-Kanälen die Erzählung verbreitet werden, »dass Russland ohnehin nicht zu besiegen sei, also die weitere Unterstützung für die Ukraine sinnlos ist und das Blutvergießen nur verlängern würde.« Mit in Deutschland erkennbar öffentlicher Resonanz.

»Geheimdienste suchen Milieus, in denen es eine Distanz zum herrschenden System gibt«

Dass ausländische Geheimdienstler sich häufig als Diplomaten tarnen und von den jeweiligen Botschaften und Konsulaten aus operieren, ist nicht neu. Ebenso die Erkenntnis, dass Deutschland nach Mauerfall und Wiedervereinigung, als Russland zunächst lange als befreundete Nation galt, nicht so genau hingesehen hat, wie Moskaus Spione sich hierzulande immer breiter aufstellten.

Inzwischen hat sich das Klima deutlich verschärft. Zuletzt wies Deutschland etliche russische Diplomaten aus. Zudem schloss Deutschland mehrere russische Konsulate, darunter das in München, zu dem der flüchtige mutmaßliche Wirecard-Betrüger Jan Marsalek enge Kontakte unterhielt. Auch der junge Augsburger Wissenschaftler Ilnur N., der dem russischen Geheimdienst Informationen über die Ariane-Raktete geliefert hatte, wurde von dort aus gesteuert.

Die möglichen geheimdienstlichen Verstrickungen in die Bundespolitik lenken zudem den Blick auf ein Ereignis, das sich gerade zum 50. Mal jährt: Willy Brandt trat 1974 als Bundeskanzler der Bonner Republik zurück, nachdem Günter Guillaume, einer seiner engsten Mitarbeiter, als Stasi-Spitzel enttarnt wurde.

Nicht alle Aktivitäten im Russischen Haus sind wohl so harmlos wie das Entzünden des Weihnachtsbaumes durch Väterchen Frost und
Nicht alle Aktivitäten im Russischen Haus sind wohl so harmlos wie das Entzünden des Weihnachtsbaumes durch Väterchen Frost und seine Enkelin Snegurotschka. FOTO: DPA
Nicht alle Aktivitäten im Russischen Haus sind wohl so harmlos wie das Entzünden des Weihnachtsbaumes durch Väterchen Frost und seine Enkelin Snegurotschka. FOTO: DPA

Ob und inwiefern sich ein halbes Jahrhundert später AfD-Politiker bewusst vor den Karren ausländischer Mächte haben spannen lassen, müssen die weiteren Ermittlungen zeigen. Um den Kauf von politischem Einfluss durch ein zweifelhaftes Regime dreht sich auch die sogenannte »Kaviar-Affäre«. Dabei soll der frühere CSU-Bundestagsabgeordnete Eduard Lintner als Lobbyist von der ölreichen Diktatur Aserbaidschan über ein System von 19 Briefkastenfirmen einen »mehrfachen Millionenbetrag« erhalten haben. Das Geld hat er nach Überzeugung der Münchner Generalstaatsanwaltschaft an hochrangige Politiker weiterverteilt, die sich im Gegenzug im Sinne des Regimes äußerten. Neben der verstorbenen CDU-Bundestagsabgeordneten Karin Strenz soll darunter auch ihr Karlsruher Partei- und Fraktionskollege Axel Fischer gewesen sein.

»Die Befähigung der Nachrichtendienste muss auf den Prüfstand gestellt werden«

Spionage und Propaganda sind eng umschlungene Liebende, heißt es in der klandestinen Welt der Geheimdienste. Ebenso wichtig wie die Gewinnung geheimer Informationen ist ihnen die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und damit der Politik des Ziellandes. Dass KGB und Stasi etwa zu Zeiten des Kalten Krieges massiv die westdeutsche Friedensbewegung unterwandert hatten, die gegen die Nato-Antwort auf die sowjetischen Atomraketen mobil machte, gilt heute als gesichert.

Doch was muss geschehen, damit Deutschland widerstandsfähiger gegen Spionage und Desinformation wird? Damit sich zähe Morast der hybriden Bedrohung etwas klärt? Für Gerhard Conrad liegt der Verweis zur angekündigten Zeitenwende beim Militär nahe: »Ganz generell muss die Befähigung der Nachrichtendienste wie jene der Bundeswehr angesichts der neuen Qualität und Quantität von Bedrohungen und Risiken auf den Prüfstand gestellt werden. Da geht es um das Können und das Dürfen.« Mit »Dürfen« meint der Experte die juristischen Beschränkungen der deutschen Nachrichtendienste. »Wir sollten schauen, wie die Dienste in befreundeten Ländern mit einer gleichen Werteorientierung wie etwa die USA, Großbritannien oder Frankreich arbeiten. Die sind nicht schlauer als wir oder – mit der möglichen Ausnahme der USA – a priori technisch weit überlegen, aber sie unterliegen nicht so vielen juristischen Einschränkungen.«

Der Ex-Agent schickt eine eindringliche Warnung hinterher: »Wenn wir unseren Geheimdiensten von vornherein unzureichende Instrumente an die Hand geben, dann werden wir nachrichtendienstlich blind – das wäre schlicht verantwortungslos.« (GEA)