BERLIN. Teuer, marode, ineffizient: Eine Reform soll den Kollaps der Krankenhäuser in Deutschland verhindern. Über das Konzept streitet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit seinen Länderkollegen. Woran das alte System krankt und was geplant ist: ein Überblick.
- Wie werden die Krankenhäuser finanziert?
Die Finanzierung der Krankenhäuser in Deutschland ist aufgeteilt und speist sich aus zwei Quellen: Die Krankenkassen übernehmen die Betriebskosten. Dazu gehören alle Ausgaben für die Behandlung von Patienten. Die Bundesländer sind zuständig für Investitionen in neue Gebäude und neue Geräte. Dieses Modell der »dualen Finanzierung« wird seit 1972 praktiziert, steht aber mittlerweile in der Kritik.
- Was bekommen die Krankenhäuser für Behandlungen?
Die Krankenkassen erstatten den Krankenhäusern einerseits Personalkosten für Pflege. Die Kosten werden zwischen Kasse und Klinik individuell verhandelt und in tatsächlich anfallender Höhe bezahlt.
Andererseits rechnen die Krankenkassen mit den Krankenhäusern Fallpauschalen ab. Die Pauschalen beinhalten ärztliche Leistungen, Medikamente, medizinische Hilfsmittel, Infrastruktur und Verwaltung. Sie werden pro behandeltem Fall ausgezahlt und richten sich nach Art der Krankheit, Schwere der Krankheit und erbrachter Leistung. Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus berechnet sie aufgrund der Durchschnittskosten von Modellkliniken jährlich neu und legt sie pauschal für alle fest. Die im Einzelfall tatsächlich anfallenden Kosten können davon abweichen.
Fallpauschalen führte die Politik 2004 ein mit dem Ziel, die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser zu erhöhen und die Verweildauer der Patienten zu verringern. Für die Krankenhäuser gilt: Wer mehr Patienten beziehungsweise Krankheiten behandelt und die Behandlung kostengünstig durchführt, der verdient mehr Geld. Entsprechend groß ist der ökonomische Druck auf die Krankenhäuser. Zu den Gewinnern dieses Systems gehören Spezialkliniken, die viele rentable Operationen durchführen. Zu den Verlierern zählen dagegen Kinderkliniken, deren Patienten mehr Zeit und Personal erfordern, kleine Kliniken auf dem Land, die wenig profitable Grund- und Notfallversorgung leisten, und große Kliniken, die seltene Krankheiten behandeln.
- Warum steigen die Kosten der Krankenhäuser?
Die Kosten für Krankenhausleistungen steigen seit Jahrzehnten. Betrugen sie bei den gesetzlichen Krankenversicherungen 1993 noch 29 Milliarden Euro, waren es 2021 schon 85 Milliarden Euro. Inzwischen fließt den Versicherungen zufolge jeder dritte Euro in die Kliniken. Gründe für die Teuerung gibt es viele. Sie reichen von der alternden Gesellschaft über den medizinischen und technischen Fortschritt bis zu höheren Personalkosten. Zu Buche schlagen auch die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg mitsamt explodierenden Energiepreisen und Inflation.
Zugleich kritisieren Experten Fehlanreize durch Fallpauschalen: Für die Kliniken lohne es sich, möglichst viele, möglichst lukrative Fälle abzurechnen. Entsprechend ist die Zahl der Kniegelenk-Operationen laut Statistischem Bundesamt innerhalb von zwölf Jahren um die Hälfte gestiegen, die Zahl der Hüft-Operationen um ein Viertel.
- Warum klagen die Krankenhäuser über Unterfinanzierung?
Die Bundesländer erfüllten ihre Investitionspflicht »seit Jahren nur unzureichend«. Das beanstandet der Bundesrechnungshof. Die Förderung stagniere »auf gleichbleibend niedrigem Niveau«. 1993 zahlten die Länder noch 3,9 Milliarden Euro, 2020 nur 3,3 Milliarden Euro – trotz gestiegener Gesundheitskosten und Inflation. Laut Bund der Krankenkassen sank die Investitionsquote von 25 Prozent im Jahr 1972 auf 3 Prozent im Jahr 2020.
»Wir werden Kliniken verlieren, aber ohne die Reform verlieren wir mehr und unsystematisch«
- Wie soll Lauterbachs Reform die Krankenhäuser retten?
Zur Rettung der Krankenhäuser plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine Reform. Betroffen sind bundesweit 1 719 Kliniken. »Ohne die Reform würden wohl 25 Prozent der Krankenhäuser sterben«, warnt der SPD-Politiker. Und räumt ein: »Wir werden Kliniken verlieren, aber ohne die Reform verlieren wir viel mehr und unsystematisch.«
Lauterbach will den ökonomischen Druck auf die Kliniken verringern. Dafür soll die Bedeutung der Fallpauschalen zurückgehen, sie sollen nur noch 40 Prozent der Finanzierung ausmachen. 60 Prozent sollen über Vorhaltepauschalen gedeckt werden. Das heißt: Die Kliniken bekommen Geld für die Bereitstellung von Personal und Gerät – unabhängig davon, ob diese eingesetzt werden.
Zusätzlich sollen die Krankenhäuser in drei Kategorien eingeteilt werden: Grund- und Notfallversorger, die flächendeckend wohnortnahe Basisleistungen garantieren, Regel- und Schwerpunktversorger, die zusätzliche Leistungen wie Fachoperationen anbieten, und Maximalversorger wie spezialisierte Universitätskliniken. »Es kann nicht jeder alles machen«, mahnt Lauterbach. Auf dem Land bedeute das für eine Knie- oder Hüftoperation möglicherweise eine längere Anfahrt, dafür aber ein besseres Ergebnis.
Lauterbachs Gesetzentwurf befindet sich zurzeit in der Abstimmung mit den Ländern. Eigentlich obliegt ihnen die Entscheidung, wo ein Krankenhaus gebaut, erweitert oder geschlossen wird. Darum wollen sie die Kategorisierung der Kliniken vornehmen und nicht dem Bund überlassen. Die Reform soll am 1. Januar 2024 in Kraft treten. (GEA)
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