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Eine Partie zwischen Emotion und Angst

Deutschland erwartet beim Spiel gegen Türkei in Berlin Auswärtsatmosphäre. Und Solidarität mit Palästinensern

Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert Nationalspieler Mesut Özil 2010 nach dem UEFA 2012-Qualifikationsspiel Deutschland gege
Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert Nationalspieler Mesut Özil 2010 nach dem UEFA 2012-Qualifikationsspiel Deutschland gegen Türkei. Beide sind inzwischen Geschichte. FOTO: BERGMANN/DPA
Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert Nationalspieler Mesut Özil 2010 nach dem UEFA 2012-Qualifikationsspiel Deutschland gegen Türkei. Beide sind inzwischen Geschichte. FOTO: BERGMANN/DPA

BERLIN. Größer könnte der Unterschied zwischen sportlicher Bedeutung und gesellschaftlicher Brisanz kaum sein: Es ist nur ein Testspiel, doch wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am Samstag gegen die Türkei antritt, droht der dunkle Schatten des Gaza-Konflikts auf das Berliner Olympiastadion zu fallen. Nicht auszuschließen ist, dass es auf den Rängen zu hässlichen Szenen kommt, dass von türkischen Fans Israel geschmäht und der Hamas-Terror als Befreiungskampf gefeiert wird. Mit Äußerungen in diese Richtung hatte zuletzt der türkische Staatschefs Recep Tayyip Erdogan irritiert, der am Freitag zu Besuch in der deutschen Hauptstadt weilte. Das hatte zu Spekulationen geführt, dass Erdogan das Spiel persönlich im Stadion mitverfolgen könnte. Einen Tag davor gingen aber weder DFB noch Bundesregierung davon aus, was die Spannungen deutlich entschärfen dürfte. Völlig ausgeschlossen schien ein Spontan-Besuch des starken Mannes aus Ankara aber nicht.

Klar ist dagegen, dass die deutschen Fußballer eher Auswärts-Atmosphäre mit einem Meer aus roten Halbmond-Fahnen erwartet. Denn Berlin gilt als türkischste Stadt außerhalb der Türkei, rund 200.000 Menschen mit Wurzeln am Bosporus leben allein hier, Türkei-Fans werden aber aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. Längst nicht alle sind Anhänger von Erdogan oder teilen seine Haltung zum Krieg in Nahost, doch in Berlin ist die Lage seit dem 7. Oktober angespannt, als Hamas-Fanatiker aus dem Gazastreifen nach Israel eindrangen und mehr als 1.400 Menschen ermordeten.

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen

In türkisch und arabisch geprägten Stadtteilen kam es zu spontanen Feiern, seither finden fast täglich propalästinensische Demonstrationen und Proteste gegen den israelischen Gegenschlag statt, die nicht selten von Ausschreitungen begleitet sind. Viele Mitglieder der türkischen Gemeinschaften solidarisieren sich, auch unter dem Einfluss der Hetze Erdogans, mit den palästinensischen Demonstranten.

Der Polizei der Hauptstadt steht ein arbeitsreiches Wochenende bevor. Schon am Freitag sind Teile des Regierungsviertels abgesperrt, wegen des Erdogan-Besuchs herrscht die höchste Sicherheitsstufe und auch rund um das Olympiastadion in Charlottenburg sind die Absperr-Vorkehrungen in vollem Gange. Anwohner müssen ihre Autos umparken, Straßen werden geräumt, damit am Spieltag die deutschen und türkischen Fans möglichst strikt voneinander getrennt zum Olympiastadion geleitet werden können. Nicht selten kommt es dabei zu brisanten Duellen vor aufgeheizter Kulisse. Zuletzt im Juni, als Frankfurt Leipzig unterlag. Fans beider Lager hatten mit Feuerwerkskörpern für Spielverzögerungen gesorgt. Knapp 75.000 Zuschauer finden auf den steilen Rängen Platz, sind sie voll besetzt, ist Gänsehaut-Atmosphäre garantiert, wie kürzlich bei der Champions-League-Niederlage von Union Berlin gegen Neapel.

Heikel wird es bisweilen nach dem Spiel, wenn Tausende von Menschen gleichzeitig in U-Bahn, S-Bahn und Busse drängen. Für die Begegnung Deutschland-Türkei hat die Polizei die üblichen Sicherheitsvorkehrungen nach eigenen Angaben noch einmal verstärkt. Das Aufeinandertreffen beider Mannschaften hatte bereits vor der Eskalation der Gewalt in Israel und im Gazastreifen immer wieder für Zündstoff gesorgt.

Vor dreizehn Jahren etwa entspann sich um die Person des türkischstämmigen deutschen Nationalspielers Mesut Özil eine verwickelte Debatte um Identität und Loyalität. Dass sich der damals 21-jährige Star, eben erst aus Bremen nach Madrid gewechselt, für das deutsche Trikot entschieden hatte statt für das türkische, schmerzte im Land seiner Vorfahren viele. Beim Spiel wurde Özil bei jedem Ballkontakt von den türkischen Fans gnadenlos ausgepfiffen. In den deutschen Medien wurde er dagegen als Beispiel für gelungene Integration inszeniert. Nach dem deutschen Sieg kam Kanzlerin Angela Merkel in die Kabine, ein Bild von ihr und Özil mit nacktem Oberkörper wurde zur Ikone. Als Özil sich dagegen 2018 mit dem türkischen Machthaber Erdogan ablichten ließ, begann seine Entfremdung vom Deutschen Fußballbund.

Auch Ilkay Gündogan, der heutige DFB-Kapitän, hat türkische Wurzeln. Vor der Partie im Olympiastadion, seinem ersten Länderspiel gegen das Land seiner Vorfahren, vermeidet er jede Aussage über die politische Brisanz: »Ich hoffe auf ein großartiges Fußballfest. Ich bin mir sicher, dass beide Mannschaften extrem motiviert sein werden.« (GEA)