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Ein Fremder beim Bäcker - Lindner löst Rassismus-Debatte aus

Die Jamaika-Sondierungen ließ die FDP platzen. Nun will die Partei das Neinsager-Image loswerden. Parteichef Lindner wirbt: um die SPD, die Frauen und Emmanuel Macron. Und tritt ins Fettnäpfchen.

Christian Lindner Parteitag 2018
Christian Lindner, FDP-Vorsitzender, hält auf dem 69. Ordentlichen Bundesparteitag der FDP eine Rede. Foto: Wolfgang Kumm
Christian Lindner, FDP-Vorsitzender, hält auf dem 69. Ordentlichen Bundesparteitag der FDP eine Rede. Foto: Wolfgang Kumm
Berlin (dpa) - Wer einen Parteitag unter dem englischen Motto »Innovation Nation« abhält, zielt wohl nicht auf den sprichwörtlichen kleinen Mann. Doch dann versucht FDP-Chef Christian Lindner es doch - und landet ein Eigentor. Es verdeutlicht das Dilemma einer Partei, die gleichzeitig AfD-Wähler für sich gewinnen will und auf Abgrenzung zu den Populisten setzt.

Lindner schildert eine Alltagsbeobachtung, die er später einem Bekannten zuschreibt: Da bestellt sich einer beim Bäcker »mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen« - und die Leute in der Schlange wissen nicht, »ob das der hoch qualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer«, sagt er in seiner Parteitagsrede am Samstag. Und das könne Angst auslösen.

Lindner löst vor allem eines aus: Eine heftige Rassismus-Diskussion in sozialen Netzwerken. In seiner Rede soll das Szenario die Forderung nach einer gut organisierte Einwanderungspolitik untermauern. Die brauche es, damit die Gesellschaft »befriedet« sei, damit die anderen den Fremden nicht »schief anschauen und Angst vor ihm haben«, sagt Lindner. Dann könnten »alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält«.

Damit will Lindner zwei Botschaften gleichzeitig senden: Da gibt es eine verständliche Angst vor Fremden. Aber niemand soll sie haben (müssen).

Für Chris Pyak, der auch bei der europäischen liberalen Parteien-Dachorganisation Alde aktiv ist, Grund genug, die Partei zu verlassen. »Ich bin soeben aus der FDP ausgetreten«, verkündet er per Twitter. »Christian Lindner hat in seiner Rede allen Nazis einen Vorwand geliefert, dunkelhäutige Menschen zu drangsalieren.«

Die FDP und die AfD kämpfen zum Teil um die gleichen Wähler, das ist kein Geheimnis. Dabei setzen die Freien Demokraten auf eine Doppelstrategie: Probleme ansprechen, Einwanderung regeln, gleichzeitig eine scharfe Trennlinie zu den Rechtspopulisten ziehen. Eine Gratwanderung, wie sich zeigt.

»Die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik spaltet unsere Gesellschaft«, stellt Lindner fest. Mit dem jüngsten Frontalangriff von Modezar Karl Lagerfeld auf die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will er aber nichts zu tun haben. Solche »Hasstiraden« seien eine große Gefahr. Lagerfeld hatte Merkel für den Aufstieg der AfD verantwortlich gemacht und hinzugefügt: »Man muss sich an die Geschichte erinnern, die man in Deutschland hat. Ich verabscheue Frau Merkel, dass sie das vergessen hat.«

Am Sonntag versucht Linder, die Kontroverse um die »Bäcker«-Passage mit einer Videobotschaft einzufangen: »Wer in meinen Äußerungen Rassismus lesen will oder Rechtspopulismus, der ist doch etwas hysterisch unterwegs. Ich glaube, solche Debatten muss man nüchterner und vernünftiger führen.« Grundlage seiner Äußerungen sei eine reale Situation, die ein zugewanderter Bekannter ihm geschildert habe, der in seiner Umgebung Ressentiments und Ängste beobachte.

Dabei sollte dieser erste Bundesparteitag nach dem Scheitern der Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen doch vor allem eins: Aufbruchstimmung verbreiten. Eine Wachstumsstrategie will Lindner seiner 10,7-Prozent-Partei verordnen, als »zweistellige liberale Kraft« soll sie sich verankern. Stand der Dinge: Bei 7 bis 9 Prozent steht die FDP zurzeit in Umfragen.

Daueropposition ist keine Option, und so wählt Linder seine Gegner. Scharfe Attacken fährt er gegen CDU-Kanzlerin Angela Merkel. »Jetzt ist Leadership nötig«, verkündet er vom Podium. Wenn Kanzler Helmut Kohl (CDU) und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) 1989 so zögerlich gehandelt hätten, dann »hätte es die deutsche Einheit niemals gegeben«. Auch die CSU bekommt ihr Fett weg. Die »geht den Weg von (Viktor) Orbán«, sagt Lindner. Er meint den rechtsnationalen ungarischen Regierungschef, der im Dauerclinch mit Brüssel liegt.

Mit den Grünen, jüngst noch Lieblingsgegner, geht Lindner hingegen pfleglich um. Die SPD ruft er zur Kooperation im Kampf gegen das Werbeverbot für Abtreibungen auf - sollen sie doch mit der FDP gegen die Koalitionspartner von der Union stimmen.

Als er auf Europa zu sprechen kommt, schaltet der angriffslustige Oberliberale um auf staatstragend. »Jede mögliche Antwort beginnt mit einem Wort und dieses Wort heißt Europa«, sagt Lindner zu den Krisen der Welt. Sogar Frankreichs reformfreudigem Präsidenten wären die Liberalen der bessere Partner als die Merkel-Regierung: »Mit uns hätte (Emmanuel) Macron gewusst, woran er ist!«

Und die Frauen? »Seit den 1970er Jahren haben wir hier ein ungehobenes Potential«, sagt Lindner. Weniger als 22 Prozent der mehr als 63 000 Mitglieder sind Frauen, bei den Neuzugängen ist ihr Anteil noch niedriger. Manuel Höferlin, Beisitzer im FDP-Bundesvorstand, meint: »Solange wir den Parteitag am Muttertag machen, brauchen wir kaum anfangen, über das Problem zu reden.« Nächstes Jahr trifft sich die FDP im April.