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Aktuell Wehmut

»Der Kommissar geht um« - Gebeutelte CDU schwärmt für Oettinger

STUTTGART. Es war vielleicht der Anfang vom Ende. Mitte September 2010 kam der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) zum Landestag der Jungen Union nach Ehingen und sparte nicht mit markigen Worten. Mappus sagte den zehntausenden Gegnern von Stuttgart 21 auf den Straßen der Landeshauptstadt den Kampf an: »Mir ist der Fehdehandschuh hingeworfen worden, ich nehme ihn auf.« Dieser Spruch wurde für Mappus zum Bumerang. Am 30. September eskalierte die Lage bei einem Polizeieinsatz im Schlossgarten gegen Demonstranten; der bullige CDU-Politiker wurde zum bundesweiten Buhmann.

Foto: dpa
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Nun, 14 Monate später, hat sich die Junge Union wieder getroffen, diesmal in Singen. Im politischen Baden-Württemberg ist aber nichts mehr so, wie es fast 60 Jahre lang war. Mappus ist weg, Grün-Rot da, die CDU am Boden, der Nimbus der Unbesiegbarkeit dahin. Die neue Führung mit Landeschef Thomas Strobl und Fraktionschef Peter Hauk tut sich schwer mit dem Neuanfang. Einen klaren Schnitt zur Mappus-Ära wollen sie nicht machen, schließlich waren beide mit dabei. Dabei sorgen die Schlagzeilen über den von Mappus eingefädelten EnBW-Deal seit Wochen dafür, dass die CDU in der Defensive bleibt - und das trotz der Querelen zwischen Grünen und SPD um Stuttgart 21.

Nur einer scheint der gebeutelten CDU in diesen trüben Oppositionstagen wieder Hoffnung zu geben: Mappus' Vorgänger Günther Oettinger. In Singen wird der EU-Kommissar wie ein Popstar empfangen. Mit den Klängen von Falcos »Der Kommissar« schreitet der 58-Jährige in den Saal und wird bejubelt. Der neue JU-Landeschef Nikolas Löbel (25) begrüßt Oettinger mit den Worten, dieser sei »innerlich immer noch ein JU-ler«. Und dann legt der frühere Regierungschef los wie die Feuerwehr. Sein Thema: Die Energiewende. Seine These: Deutschland ist keine Insel.

Mit aberwitzigen Beispielen garniert er seine Warnung vor einem unbedachten Umstieg auf erneuerbare Energien. Wer in der Klinik in der Röhre liege, der wolle doch lieber keinen Blackout erleben, meint Oettinger - die rund 200 Delegierten johlen. »Oder wenn man Champions League schaut, will man auch keinen Stromausfall.« Etwas später geht er in seiner freien Rede über zur Euro-Krise, die aus seiner Sicht auch Vorteile hat. Endlich sei in Griechenland keine »korrupte, handlungsunfähige Regierung« mehr an der Macht. »Und Italien würde ohne Euro-Krise immer noch von Berlusconi regiert.«

Am Ende fordert Oettinger den CDU-Nachwuchs auf, mit Oma, Freundin oder Frau zum Volksentscheid zu Stuttgart 21 zu gehen. »Ansonsten wird Stuttgart umfahren.« Der Jubel nach der Rede ist groß. Später sagt im Foyer ein Delegierter zum anderen: »Der Oettinger war spitze. Aber sonst?« Hauk und Strobl bekommen eher höflichen Applaus nach ihren wenig mitreißenden Reden. Oettinger aber wird bis zum Ausgang der Stadthalle umringt, alle wollen mit ihm fotografiert werden. Die Sehnsucht nach einem echten Gegenspieler für den populären Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) ist auch hier zu spüren.

Erst vor kurzem hatten sich im Stuttgarter Haus der Abgeordneten die »Ehemaligen« der CDU getroffen: Frühere Parlamentarier und Regierungsmitglieder. Auch hier wurde Oettinger belagert. Nicht wenige bereuen es mittlerweile, dass der Schnelldenker und - sprecher von Kanzlerin Angela Merkel Anfang 2010 nach Brüssel abkommandiert wurde - obwohl so manche Peinlichkeit und das schwache Ergebnis bei der Bundestagswahl im Südwesten nicht vergessen sind. Es kursiert mit Blick auf die Schlappe bei der Landtagswahl der Satz: »Das wäre mit Oettinger nicht passiert.«

In Singen sagt dessen langjähriger Fahrensmann Hauk einen Satz, der das widerspiegelt: »Es darf uns nie wieder passieren, dass wir ohne Koalitionspartner dastehen.« Oettinger hatte immer mit den Grünen geliebäugelt, Mappus dachte nicht daran, mit Kretschmann und Co. zusammenzuarbeiten. Trotz seines zeitraubenden Jobs in Brüssel und der vielen Auslandsreisen ist Oettinger auffallend viel im Ländle unterwegs. Über ein Comeback zu spekulieren, traut sich noch keiner. Immerhin sagt Löbel auf die Frage, ob er sich einen Spitzenkandidaten Oettinger bei der nächsten Wahl vorstellen kann: »Keine schlechte Idee.« (dpa)