REUTLINGEN. Am 26. Mai wird in Baden-Württemberg gleich doppelt gewählt. Neben den Stimmzetteln zur Kommunalwahl gibt es einen weiteren Stimmzettel für die Europawahl. Diese unterscheidet sich erheblich von anderen Wahlen in Deutschland. EU-weite Spitzenkandidaten, europäische Fraktionen und nationale Parteilisten lassen das Prozedere nicht nur für Erstwähler verwirrend erscheinen.
- Was wird gewählt?
Alle fünf Jahre wird seit 1979 das Europäische Parlament gewählt. Das ist die einzige Institution der Europäischen Union, die direkt gewählt werden kann. Die aktuell 751 Abgeordneten aus den 28 Mitgliedsländern sind also die Vertreter der europäischen Bürger. Deutschland entsendet als bevölkerungsreichstes EU-Land die meisten Abgeordneten nach Straßburg – nämlich 96. Die kleinsten Länder wie Malta haben sechs Sitze im Parlament. Insgesamt geht die Europawahl vier Tage lang, weil jedes Land eigene Wahltraditionen hat, und wegen der Übersee-Gebiete. In Deutschland wird am Sonntag, den 26. Mai, gewählt.
- Wer wird gewählt?
Gewählt werden keine Einzelpersonen, sondern Parteien. In Deutschland sind 40 zugelassen. Darunter sind die Bekannten wie CDU, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP oder AfD. Aber auch viele kleine Parteien, zum Beispiel die Tierschutzpartei, die feministische Partei oder das Bündnis Grundeinkommen. Wer schon Abgeordneter in einem nationalen Parlament ist, kann nicht gleichzeitig auch noch EU-Abgeordneter sein.
- Wer darf wählen?
Rund 400 Millionen EU-Bürger haben die Möglichkeit, wählen zu gehen. In Deutschland sind 65 Millionen Menschen wahlberechtigt, davon fünf Millionen Erstwähler. Um ein Kreuz machen zu dürfen, muss man mindestens 18 Jahre alt sein. Nur in Österreich dürfen schon 16-Jährige an der Wahl teilnehmen. Staatsangehörige anderer EU-Länder dürfen entweder in ihrem Heimatland oder in Deutschland wählen, wenn sie mindestens drei Monate hier wohnen. Für Deutsche im EU-Ausland gilt das Gleiche. Erstmals dürfen in Deutschland auch Menschen mit Behinderung, die unter Vollbetreuung stehen, wählen.
- Wie wird gewählt?
In allen Ländern gilt die Verhältniswahl: Wie viele Mandate eine Partei bekommt, hängt davon ab, wie viele Prozent der Stimmen sie in ihrem Land bekommt. In Deutschland hat jeder Wähler eine Stimme. Diese vergibt er an die Liste einer Partei. Bis auf die CDU haben alle Parteien eine bundesweite Liste aufgestellt. Dort ist die Reihenfolge der Kandidaten von den Parteien festgelegt worden, die Spitzenkandidaten stehen oben. Anders als bei der Bundestagswahl müssen die Parteien in Deutschland keine Prozenthürde überspringen, um ins Parlament einzuziehen. Rund 100 000 Stimmen braucht es für einen Sitz.
- Welche Politiker aus der Region haben Chancen?
Für den Münsinger Landtagsabgeordnete Andreas Glück könnte bald der Umzug von Stuttgart nach Straßburg anstehen. Auf dem Europa-Parteitag der FDP wurde der 43-Jährige auf den aussichtsreichen Bundeslistenplatz drei der Liberalen gewählt. Der Tübinger Wolfgang G. Wettach schaffte es auf Platz 28 der Liste der Grünen. Damit ist ein Einzug ins EU-Parlament nur möglich, wenn die Grünen auf rund 30 Prozent der Stimmen in Deutschland kommen – die letzten Umfrageergebnisse lagen bei knapp 20 Prozent.
- Was passiert nach der Wahl?
Mit der Auszählung der Stimmen wird erst begonnen, wenn alle Wahllokale geschlossen sind, um eine Beeinflussung der Wähler durch Zwischenergebnisse aus anderen Ländern zu verhindern. Danach schließen sich Abgeordnete aus den verschiedenen Nationen, die ähnliche Ansichten und Ziele verfolgen, zu Fraktionen zusammen. Aktuell gibt es im Parlament acht Fraktionen, in denen mehr als 160 nationale Parteien vertreten sind. Die Zusammenschlüsse entsprechen in etwa den Parteien in Deutschland, sie heißen nur etwas anders. Zum Beispiel gehört die CDU zur »Fraktion der Europäischen Volkspartei«, das SPD-Pendant ist die »Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten im Europäischen Parlament« Zum zweiten Mal stellen die großen Parteienfamilien EU-weite Spitzenkandidaten auf. Der Kandidat jener Fraktion, die eine Mehrheit auf sich vereint, soll das höchste Amt der EU bekleiden, also Präsident der Europäischen Kommission werden.
- Warum sollte man wählen?
Das Interesse an der Europawahl fällt Umfragen zufolge eher gering aus, da die Menschen keinen direkten Bezug zu ihrem Alltag sehen. Auch deshalb ging die Wahlbeteiligung seit 1979 nach unten – 2014 lag sie bei nur noch 43,09 Prozent. Durch den Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist, wurde dem Parlament mehr Macht zugesprochen, um es gleichwertig zum Rat der Europäischen Union zu machen. Das Parlament stimmt seitdem über den Vorschlag der Staats- und Regierungschefs ab, wer die EU-Kommission anführen soll. Auch bei vielen EU-Gesetzen hat das Parlament jetzt mehr mitzureden, zuletzt etwa bei der geplanten Abschaffung der Zeitumstellung oder der Urheberrechtsreform. (GEA)
EUROPA VOR DER WAHL
Im nächsten Teil unserer Serie geht es am Samstag, 4. Mai, um einige vergleichende Fakten und Zahlen zwischen der Europäischen Union, China und den USA. (GEA)