Die Zustände bei der Fleischfabrik Tönnies zeigen, was passiert, wenn Beschäftigte in einem Unternehmen nur noch als Kostenfaktor gesehen werden, soziale Verantwortung zum Fremdwort wird – und die Politik zuschaut. In Rheda-Wiedenbrück nimmt ein Unternehmen seine Beschäftigten, eine ganze Region und schlimmstenfalls die Republik in Geiselhaft.
Moralisch ist Arbeitsminister Hubertus Heil auf der richtigen Seite, wenn er fordert, das Fleischwerk für die Folgen des Coronaausbruchs in der Zentrale in Nordrhein-Westfalen verantwortlich zu machen. Doch ob das juristisch gelingt, steht auf einem anderen Blatt. Denn die Missstände werden schon seit Langem beklagt. Wenn die Mehrzahl der Beschäftigten eines Betriebs als Werkarbeiter aus Osteuropa kommen und es möglich ist, sie beengt zusammenzupferchen, hat die Politik eine Mitschuld. Immerhin bedurfte es der Coronakrise, dass Heil nun für den im Sommer einen Gesetzentwurf ankündigt, der Werkverträge in der Branche verbietet.
Auf Schlachthof-Chef Clemens Tönnies und sein Unternehmen kommen ohnehin harte Zeiten zu, sollten Arbeiter klagen, weil die Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes verletzt wurden und sie dadurch an Corona erkrankten. Doch auch für Ministerpräsident Armin Laschet ist der Corona-Ausbruch brandgefährlich. Ausgerechnet der lockerungsfreudige CDU-Politiker muss nun über einen regionalen Lockdown entscheiden. Zieht er die Reißleine zu spät, wird auch er für die Folgen verantwortlich gemacht.