LONDON. Die »Bibby Stockholm« spaltet die Gemüter in Großbritannien. Der dreistöckige Lastkahn ist ein Wohnschiff, das im südenglischen Portland angelegt hat und als Unterkunft für Asylsuchende dienen soll. Am Montag zogen die ersten 15 jungen Männer ein. Über die nächsten Tage sollen dort bis zu 500 Migranten untergebracht werden. Der Lastkahn ist ein Symbol für die harte Asylpolitik der Regierung und umstritten.
Während eine Gruppe von Anwohnern vor den Toren des Hafens gegen die Ankunft der Migranten protestiert, heißen andere Gruppen sie ausdrücklich willkommen. Die lokale Auseinandersetzung spiegelt sich auf nationaler Ebene. Rechsstehende Zeitungen argumentieren, dass das Wohnschiff eine angemessene Unterbringung darstellt, die Flüchtlingshilfsorganisation »Care4Calais« bezeichnet sie als »schwimmendes Gefängnis« und spricht von einer grausamen und inhumanen Behandlung von verfolgten Menschen.
Die britische Regierung setzt in ihrer Asylpolitik auf Abschreckung. Kürzlich wurde ein Gesetz verabschiedet, das illegal eingereisten Flüchtlingen das Recht abspricht, einen Asylantrag zu stellen, und das Innenministerium dazu verpflichtet, sie zu internieren und abzuschieben. Wer abgeschoben wurde, darf nie mehr nach Großbritannien einreisen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat das Gesetz als ein »Asylverbot« bezeichnet, das »das Recht auf Flüchtlingsschutz im Vereinten Königreich auslöscht für diejenigen, die irregulär ankommen, egal wie aufrichtig oder überzeugend ihr Anspruch sein mag«.
Wirklich abschrecken kann Großbritannien illegale Migranten nur dann, wenn Abschiebungen auch tatsächlich erfolgen. Doch das ist nicht so einfach. Nach dem Brexit hat das Land nicht mehr die Möglichkeit aufgrund der Dublin-Bestimmungen Flüchtlinge in dasjenige Land der EU zurückzuschicken, wo sie erstmals ankamen. Es gibt auch keine bilateralen Rückschaffungsabkommen mit einzelnen EU-Staaten. Allerdings hat London ein Abkommen mit dem ostafrikanischen Staat Ruanda vereinbart. Danach zahlt Großbritannien 120 Millionen Pfund und darf dafür illegal ins Königreich gekommene Migranten nach Ruanda ausfliegen, wo ihr Asylantrag bearbeitet wird. Es ist ein One-Way-Ticket nach Afrika: Selbst wenn sie als Flüchtlinge anerkannt werden, wird ihnen keine Rückkehr nach Großbritannien erlaubt. Kritiker sehen darin einen Bruch internationalen Rechts. Noch gibt es kein grünes Licht. Der Londoner Supreme Court soll im Herbst entscheiden, ob das Vorhaben rechtens ist. Für den Fall, dass die Regierung vor Gericht unterliegt, habe man einen Plan B ausgearbeitet, berichtete die »Times«: Es gebe Verhandlungen mit fünf anderen afrikanischen Staaten über ein Umsiedlungsprogramm für illegale Migranten.
Premierminister Rishi Sunak hat erklärt, dass er seine Amtszeit daran messen lassen will, ob er illegale Einwanderer, die zumeist in kleinen Booten über den Ärmelkanal kommen, stoppen kann. Daher setzt man auf einen drakonischen Kurs. Am Wochenanfang wurde verkündet, dass die Strafen für Vermieter und Arbeitgeber, die illegale Migranten unterbringen oder beschäftigen, deutlich verschärft werden: Betriebe müssen demnächst für jeden illegal Beschäftigten 45.000 Pfund zahlen. (GEA)