STUTTGART. Trauer und Wut: Das ist die Reaktion der Polizei auf den Tod eines Kollegen. Der junge Mann wurde von einem Angreifer mit einem Messer erstochen. Die Tat ereignete sich letzte Woche in Mannheim. Der Täter stammt aus Afghanistan, ein islamistisches Motiv wird vermutet. Woher kommt die Gewalt? Ist das eine Folge der Migrationspolitik? Hätte die Tat durch konsequente Abschiebung verhindert werden können? »Bei der Bekämpfung von Kriminalität darf es keine Denkverbote geben«, fordert Polizeigewerkschafter Ralf Kusterer. Ein Gespräch.
GEA: Ist die Messerattacke von Mannheim ein Einzelfall? Oder hat die Gewalt gegen Polizisten insgesamt zugenommen?
Kusterer: Der Messerangriff von Mannheim ist ein Extremfall. Allerdings beobachten wir seit etwa zehn Jahren einen Anstieg von Gewalt gegen Polizisten. Die Kolleginnen und Kollegen werden beschimpft, bespuckt, geschlagen – teils sind Waffen im Spiel. Viele Angriffe ereignen sich im Zusammenhang mit Festnahmen und Abschiebungen, Demonstrationen und Fußballspielen. Fast jeder Polizist hat schon persönlich Gewalt erfahren. Vergleichsweise neu ist die Gewalt gegen andere Blaulichtberufe. Die Wende brachte die Silvesternacht 2021/2022, als Feiernde Böller auf Einsatzkräfte schossen. Seitdem sind von Angriffen auch Feuerwehr, Rettungsdienst und öffentliche Verwaltung betroffen. In ganz Baden-Württemberg nimmt die Gewalt zu, in der Stadt und auf dem Land. Die Kriminalitätsstatistik verschleiert das, der Innenminister freut sich über eine vermeintlich hohe Aufklärungsquote. Aber das vermittelt eine falsche Sicherheit, die real nicht besteht.
GEA: Wer sind die Täter? Geht die Gewalt von bestimmten Gruppen aus?
Kusterer: Bei Gewalt automatisch an Täter aus der rechtsextremen Szene zu denken, ist ein Fehler. Gewalt kommt auch von links, sogar mehr als von rechts – in Mannheim bei der Mahnwache ging die Gewalt von der Antifa aus. Der Täter selbst stammt mutmaßlich aus dem islamistischen Milieu. Aber nicht alle Täter sind politisch, religiös oder sonst wie ideologisch motiviert. Es gibt auch andere gewaltbereite Gruppen, zum Beispiel Rocker. Das Problem besteht in der Breite der Gesellschaft. Darum brauchen wir einen schonungslosen Blick auf die Realität. Bei der Bekämpfung von Kriminalität und Gewalt darf es keine Denkverbote geben. Denn dem Opfer ist es egal, welchen Hintergrund der Täter hat.
GEA: Islamistische Gewalttäter, Messerstecher, psychisch Kranke: Hat das Problem mit der Migration zugenommen?
Kusterer: In Deutschland leben viele Migranten, die vollkommen unproblematisch sind. Aber es gibt auch andere – und die müssen wir in den Blick nehmen. Bei Messerstechereien gibt es Hinweise auf eine spezielle Tätergruppe: junge Männer von nicht unbedingt deutscher Herkunft. Außerdem sind im Zuge der Flüchtlingszuwanderung Menschen zu uns gekommen, die Gewalt erfahren haben, zum Teil traumatisiert sind und eigentlich psychologische Hilfe bräuchten. Dieses Problem müssen wir offen ansprechen und Konsequenzen daraus ziehen. Damit tut sich die Politik aber schwer – aus Furcht, dass von der Debatte rechte Kräfte profitieren.
GEA: Woher kommt die Gewalt? Welche Gründe gibt es dafür?
Kusterer: Der Respekt hat abgenommen. Das betrifft aber nicht nur Dienstpersonen und Amtsträger, sondern auch die Gesellschaft insgesamt: Es gibt eine Verrohung. Das beginnt schon in der Schule – wenn Eltern den Grund für schlechte Noten zum Beispiel nicht erst bei den Kindern suchen, sondern sofort bei den Lehrern.
GEA: Nach einer Gewalttat wie in Mannheim fordern Politiker härtere Strafen für die Täter und politische Bildung für die Bevölkerung. Bringt das was?
Kusterer: Natürlich müssen wir in politische Bildung investieren. Aber es gibt Menschen, die erreicht man damit nicht. Dazu gehören schuld- und deliktunfähige Täter – zum Beispiel Drogensüchtige, religiöse Fanatiker, psychisch Kranke. Da braucht die Polizei andere Mittel, zum Beispiel Taser. Andere Bundesländer wie Rheinland-Pfalz haben das für den Streifendienst, Baden-Württemberg nicht.
GEA: Wenn die Vorschläge der Politiker wenig taugen: Was fordert die Polizei?
Kusterer: Die Politik muss sich klar hinter die Polizei stellen. Und zwar beim täglichen Dienst: Nicht jeder Gebrauch der Schusswaffe sollte automatisch in Frage gestellt werden. Wenn die Politik Maßnahmen beschließt, die nicht wirken, muss sie nachbessern. Zum Beispiel bei Bodycams: Deren Einsatz hat nicht viele Straftaten verhindert. Bei der Ausrüstung braucht es eine ständige Marktsichtung: In den USA gibt es etwa ein Lasso, das Polizisten aus der Distanz elektrisch abfeuern und damit Gefährder bewegungsunfähig machen. Wir brauchen keine schärferen Gesetze, aber eine konsequentere Durchsetzung. Dafür fehlt im Moment das Personal: bei der Polizei, aber auch bei Staatsanwaltschaft und Gericht. Darum werden etwa Verfahren wegen Beleidigung oder geringer Körperverletzung eingestellt. Das darf aber nicht sein. Denn wenn ein Täter für leichtere Delikte nicht bestraft wird, begeht er demnächst womöglich schwerere.
GEA: Nach dem Messerangriff von Mannheim diskutiert die Politik über Zonen mit Messerverbot und Abschiebungen nach Afghanistan. Was halten Sie davon?
Kusterer: Die Debatte um Messerverbotszonen ist eine Scheindebatte. Da geht es um kleine Messer für den Hausgebrauch. Aber mit dem Küchenmesser begeht niemand eine Attacke. Da sind größere Messer im Spiel – und die sind im öffentlichen Raum sowieso verboten. In puncto Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan: Natürlich ist es schwierig, Menschen auszuweisen, wenn ihre Herkunft nicht geklärt ist, das Land seine Bürger nicht zurücknimmt oder als Kriegs- beziehungsweise Krisengebiet gilt. Aber darüber muss zumindest diskutiert werden. Eine konsequente Abschiebepraxis hätte eine abschreckende Wirkung auf Kriminelle. Es darf nicht sein, dass bestimmte Menschen einen Freifahrtschein bekommen. Wer sich nicht an Recht und Ordnung hält, hat kein Bleiberecht in Deutschland. (GEA)
Zur Person
Ralf Kusterer vertritt die Deutsche Polizeigewerkschaft. Der 62-Jährige aus Pforzheim ist seit 2015 Landesvorsitzender für Baden-Württemberg. Außerdem ist er stellvertretender Bundeschef der Organisation. (mis)