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Aktuell Landtagswahl

Bayern-Denkzettel: Merkels Koalition am Scheideweg

Der Absturz von CSU und SPD in Bayern war zwar erwartet worden - doch gerade die Sozialdemokraten trifft das Ergebnis um 10 Prozent mit voller Wucht. Die Abrechnung mit der GroKo droht spätestens nach der Hessen-Wahl.

Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Robert Habeck und Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundesfraktion, jubeln im La
Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Robert Habeck und Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundesfraktion, jubeln im Landtag nach den ersten Wahlergebnissen. Foto: dpa
Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Robert Habeck und Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundesfraktion, jubeln im Landtag nach den ersten Wahlergebnissen.
Foto: dpa

MÜNCHEN/BERLIN. Es ist nicht nur eine Abrechnung mit der CSU und der SPD in Bayern, es ist auch eine Watsch'n für die schwarz-rote Koalition von CDU-Kanzlerin Angela Merkel in Berlin. Vor allem für SPD-Chefin Andrea Nahles könnte es nach der Halbierung des Ergebnisses im Freistaat eng werden. Die Kräfte, die einen Ausstieg aus der großen Koalition wollen, dürften weiter Auftrieb bekommen.

So gibt es am Sonntag bei der SPD eine Szene mit Symbolcharakter. Leere Wassergläser, keine Mitglieder, zwei Fernseher, auf denen das Geschehen übertragen wird. Ein stilles Drama, wie ein Requiem für eine Volkspartei. Die traditionelle Wahlparty im Willy-Brandt-Haus hatte die SPD vorher bereits abgesagt, offiziell aus Kostengründen.

Katharina Schulze
Die bayerische Spitzenkandidatin Katharina Schulze von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag nach den ersten Wahlergebnissen.
Die bayerische Spitzenkandidatin Katharina Schulze von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag nach den ersten Wahlergebnissen.

Nahles gibt für die Presse ein Statement - sie steht im leeren Atrium, im Schatten der Willy-Brandt-Skulptur. Sie beschönigt nichts, gibt vor allem der schlechten Performance der Regierung - und dabei besonders der CSU - die Schuld. Aber wie das alles besser werden soll, sagt sie nicht. Was Brandt über diese Koalition denken würde? »Willy würde sagen: Es fällt auseinander, was auseinanderfallen muss«, meint ein langjähriger SPD-Beobachter süffisant. 

SPD-Vize Ralf Stegner fordert mehr linke Profilierung  »Der Geduldsfaden mit dieser großen Koalition ist heute sicher nicht länger geworden. Da ist nicht mehr viel von übrig«, sagt Stegner. Es ist Nahles erste Landtagswahl als Parteichefin, auch im Bund geht es unter ihrer Führung bisher nur bergab. Wenn auch die Hessenwahl in zwei Wochen schiefgeht, wird der Druck enorm wachsen, die Koalition zu verlassen.

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt zur Wahlparty der CSU in den Landtag.
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt zur Wahlparty der CSU in den Landtag. Foto: dpa
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt zur Wahlparty der CSU in den Landtag.
Foto: dpa

Unter Strich bekommen die Parteien der großen Koalition in Bayern, die CSU und die SPD zusammen rund minus 23 Prozent. Was für ein Misstrauensvotum. Im Gegenzug ziehen die Rechtspopulisten von der AfD zweistellig in den 16. von 17 Landtagen ein. Und dass die Grünen fast doppelt so viel wie die SPD holen, ist auch ein Signal - mit ihrer Doppelspitze Robert Habeck und Annalena Baerbock wirken sie frischer. Es verschiebt sich mächtig etwas im deutschen Parteiengefüge. Debatten über einen SPD-Kanzlerkandidaten könnten sich bei solchen Verhältnissen im Bund bald erübrigen.

Rückblick, 7. Dezember 2017: Juso-Chef Kevin Kühnert warnt beim Parteitag in Wiesbaden vor einem existenzgefährdenden Absturz der SPD, wenn sie wieder eine große Koalition mit Merkel eingehen würde. »Wir haben ein Interesse daran, dass hier noch was übrig bleibt von diesem Laden, verdammt nochmal«, ruft Kühnert in den Saal. »Eine Maxime, die lautet, Regieren mit uns ist immer besser als ohne uns, die verzwergt die SPD und reduziert uns und unseren politischen Gestaltungsanspruch auf einen großen Korrekturbetrieb.« Hat Kühnert Recht gehabt? 

CSU-Anhänger reagieren im Landtag auf die Bekanntgabe der Prognosen.
CSU-Anhänger reagieren im Landtag auf die Bekanntgabe der Prognosen. Foto: dpa
CSU-Anhänger reagieren im Landtag auf die Bekanntgabe der Prognosen.
Foto: dpa

Die SPD schafft es nicht zu begeistern, neue Ideen und Visionen zu entwickeln - vor allem fehlen neue Köpfe. Wie groß die Sehnsucht danach ist und was dann auch an Trendwende möglich ist, zeigte der kurze Höhenflug des Martin Schulz.

Nur sieben Monate nach ihrer Wahl zur Kanzlerin stehen Merkel und die Koalition nach den Regierungskrisen des Sommers nun wohl vor der dritten großen Belastungsprobe - Ende offen. Selbst wenn das erwartete »Gemetzel« in der CSU vorerst ausbleiben sollte und Seehofer nicht direkt aus dem Amt gejagt wird: Die Zeitenwende in Bayern bedeutet auch Sprengpotenzial für Berlin. 

In der CDU-Zentrale reichen sie am Abend aus Solidarität traditionell bayerische Leberkäs-Semmeln. Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer lässt aber trotzdem keine Zweifel, wo die CDU die Verantwortung für den Absturz der Schwester sieht: vor allem bei der CSU. »Dass die Streitigkeiten der vergangenen Monate - insbesondere auch der Tonfall und der Stil - kein Rückenwind für die Wahlkämpfer in Bayern waren, steht außer Frage.« Nun richte die CDU den Fokus voll auf Hessen, damit CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier seine Arbeit fortsetzen könne. Vor allem Personaldebatten will die CDU nun vermeiden, macht Kramp-Karrenbauer deutlich.

Eine weißblaue Fahne weht über dem bayerischen Landtag.
Eine weißblaue Fahne weht über dem bayerischen Landtag. Foto: dpa
Eine weißblaue Fahne weht über dem bayerischen Landtag.
Foto: dpa

In der CDU-Spitze heißt es schon länger, nicht der erwartete CSU-Absturz in Bayern sei wesentlich für die politische Zukunft Merkels. Als viel entscheidender wird dort eingeschätzt, dass der Merkel-Unterstützer Bouffier in zwei Wochen die Staatskanzlei in Wiesbaden halten kann. Gelingt ihm das nicht, dürfte das auch Merkels Machtbasis nach 13 Jahren Kanzlerschaft schwer erschüttern.

Wie nervös der kampferprobte Bouffier ist, zeigt der 66-Jährige, als er kurz vor der Bayern-Wahl in der »Welt am Sonntag« der CSU die Schuld am Vertrauensverlust in die Union gibt. »Man kann nicht über Monate den Eindruck erwecken, dass vieles durcheinander geht und die Regierung nicht handlungsfähig ist, und dann erwarten, dass die Leute der Union vertrauen«, keilt Bouffier Richtung Seehofer und Co.. In der CDU finden manche solche Worte wenig hilfreich. Das lenke nur davon ab, dass jetzt volle Konzentration auf den Hessen-Wahlkampf nötig sei.

Ohnehin wird in der CDU-Führung die kurz nach der Hessen-Wahl geplante Vorstandsklausur in Berlin am 4. und 5. November als wichtigste Zwischenstation für Merkel zum Wahlparteitag Anfang Dezember in Hamburg gesehen. Nicht ausgeschlossen wird in der Union sogar, dass die Kanzlerin bei einem Scheitern Bouffiers doch nicht wie geplant erneut für das Amt der Parteivorsitzenden antritt.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sorgt in diesem Zusammenhang mit einem Interview für Aufsehen. Die Kanzlerin habe immer noch Zustimmungswerte, um die sie von den meisten anderen Regierungschefs in Europa beneidet werde, meint Schäuble zwar mit Blick auf Merkel im SWR. Dann schiebt er hinterher: »Aber sie ist nicht mehr so unbestritten, wie sie in über drei oder zweieinhalb Legislaturperioden gewesen ist.«

Die Kanzlerin wird die Äußerungen Schäubles aufmerksam registriert haben: Dem 76-Jährigen wird in der CDU nachgesagt, er könne sich durchaus vorstellen, bei einem Scheitern Merkels selbst zum Abschluss seiner langen Karriere doch noch ins Kanzleramt zu wechseln. (dpa)