STUTTGART. Patti Smith lehnt an der Wand. Das Konzertposter der Mutter des Punkrocks hängt noch nicht. Es steht gerahmt auf dem weißen Theken-Tisch des »Vinyl PopUp Store« am Bismarckplatz 1. Das Plakat weist auf ihr Konzert auf der Freilichtbühne Killesberg im Sommer 2014 hin. Ihr zu Füßen liegt Serge Gainsbourg. Genauer gesagt dreht sich dort auf dem Plattenteller seine Reggae-LP »Aux armes et caetera« von 1979. Relaxte Töne, himmelblaue Wände, ein schwarzes Sofa, die kleine Bar in der Ecke, unzählige Kisten und Koffer mit Schallplatten, ein schwarzer Plattenspieler und jede Menge Konzertplakate von Rockidolen an den Wänden: Ein Besuch im Pop-up-Plattenlädchen im Stuttgarter Westen ist wie eine Reise zurück in die magischen Jahre der Rockmusik.
»Vinyl war nie tot – für mich jedenfalls«
Warum boomt die Schallplatte wieder so? »Vinyl war nie tot – für mich jedenfalls«, kontert Bernd Drescher. Auf Plattenbörsen, in Clubs, bei Underground-Labels und eben auch bei Bernd Drescher oder Klaus Holoch hatte das »Erlebnis Vinyl« stets sein Existenzrecht. »15.000 Platten«, schätzt Drescher, habe er in seiner Wohnung im Stuttgarter Westen untergebracht.
Aus seiner Sammlung hat Drescher einige Kisten Soul, House, Hip-Hop, R&B, Funk und Disco ins Lädle am Bismarckplatz gekarrt. »Ich bin für Sixties und Psychodelic zuständig«, sagt dagegen Ho-loch. Zudem habe er mit einem anderen Freund, Werner Cloos, unlängst eine große Sammlung Jazz-Platten erworben, da sei auch viel Free Jazz dabei. Frisch reingekommen sei auch manch anderes: »Wir haben Pop, Rock, Blues, Kraut-Rock und New Wave«, berichten die Betreiber des Übergangsplattenladens. »Bei uns findest du alles von Abba bis Zappa.«
Drescher, der in den 1990er-Jahren im Unbekannten Tier und M 1 aufgelegt hat, holt die Serge-Gainsbourg-Reggae-Scheibe aus der Hülle und lässt die Nadel sanft abwärts gleiten. Ein leises Knistern und schon ertönt sie, die Marseillaise, aber als Reggae-Version.
Gut 2.000 Platten stehen schon im Laden. Und Nachbarn, Bekannte und Freunde bringen immer noch Neue: »Die Platten sind alle codiert, so können wir sehen, wem welche gehören. Hier läuft alles auf Vertrauensbasis«, sagt Holoch. In ein grünes Buch wird jeder Verkauf eingetragen. Neulich habe die Nachbarin süße Stückchen und drei Platten mitgebracht, erzählt Holoch. Wer reinkommt, geht meist mit »ner« Platte und einem breiten Lächeln wieder raus.
Seit einigen Jahren feiere Vinyl eine gewaltige Renaissance, findet Holoch. »Die jüngeren Leute sind ja mit den CDs und mit den Musikstreaming-Diensten groß geworden. Aber sie haben gemerkt, dass es ein ganz anderes Feeling ist, wenn man so eine Platte in die Hand nehmen darf.« Sein Kumpel Bernd Drescher hat in den vergangenen Wochen die Werbetrommel für das Pop-up-Projekt am Bismarckplatz gerührt. Und das Projekt funktioniert. »Das ist die beste Ecke in Stuttgart«, findet Holoch. »Alle treffen sich am Samstag auf dem Markt vor der Kirche St. Elisabeth oder sitzen bei schönem Wetter drüben in der Eisdiele.«
»Bei uns findest du alles von Abba bis Zappa«
Eigentlich stammt Holoch aus Tübingen. Seit der heute 63-Jährige vor drei Jahren aus dem Pressesprechergeschäft ausgestiegen ist, knüpft er an seine alte Leidenschaft an. Als Schüler und Student jobbte er bereits im Tübinger Plattenladen »Rimpo«. Später war er auf Plattenbörsen, reiste bis nach Austin, Texas. Als Holoch mitbekam, dass Florian Pörksens Bestellbuchhandlung am Bismarckplatz 1 im Stuttgarter Westen leer stand, überzeugte er den plattenaffinen Buchhändler von seiner Idee: »Dann lass uns doch einen vorübergehenden Plattenladen daraus machen«, schlug er vor. Pörksen hatte neben seiner Buchhandlung an der Schwabstraße diese Räume für kleinere Events und Lesungen vorgesehen. Doch nun will Pörksen umbauen und im nächsten Jahr Schreibworkshops und Seminare anbieten. In kurzer Zeit nahm das Projekt Plattenladen Gestalt an. (GEA)
INFORMATIONEN
Der Vinyl PopUp Store, Bismarckplatz 1, hat bis 31. Januar, jeweils Mittwoch bis Freitag, 14 bis 18 Uhr und am Samstag, 10 bis 15 Uhr, geöffnet. Plattenankauf immer freitags. Nähere Infos unter www.radiobar.de