Wenn die Sonne über dem Hudson untergeht, sitzt Ute Lemper am liebsten auf ihrer Dachterrasse, ihrer »Toskana mitten in Manhattan«. Von dort aus kann der deutsche Weltstar in New York, der am Dienstag (4. Juli) 60 Jahre alt wird, die Skyline von Midtown sehen, mit Empire State Building und Chrysler Building, ein kleines Stück des Central Park und die runden Türmchen des Naturkundemuseums. »Das ist ein unglaublicher Blick«, sagt Lemper. »Die Wohnung ist sehr klein und sehr bescheiden eigentlich. Aber die Terrasse ist gigantisch.«
Wenn sie dort in der Dämmerung mit ihrer Familie zu Abend isst, oder mit ihrem Mann ein Glas Wein trinkt und über das Häusermeer von Manhattan schaut, dann hat Lemper meistens schon einen vollen Tag hinter sich: Ihre jüngeren beiden Kinder müssen in die Schule direkt nebenan, dann machen sie und ihr Mann einen Morgenspaziergang um das Naturkundemuseum und Lemper legt nachmittags nochmal eine Runde um das Reservoir im Central Park nach. Zwischendrin: Arbeit, Arbeit, Arbeit. In der kleinen Wohnung hinter der Terrasse hat Lemper ihr komplettes gerade erschienenes Album »Time Traveler« aufgenommen und produziert und auch ihre gerade erschienene Autobiografie »Die Zeitreisende« geschrieben - »eine sehr melancholische, nachsinnige, sinnende Biografie«.
Das Hörbuch zur Autobiografie erscheint pünktlich zu ihrem 60. Geburtstag am 4. Juli - ein Datum, das ihr eigentlich »gar nicht so wichtig« ist. »Ich feiere das Leben, also ich versuche es zumindest mit dieser Einstellung als wunderbare Angelegenheit genießen zu dürfen und somit feiere ich es eigentlich jeden Tag.« Weil der 4. Juli in den USA Nationalfeiertag ist, bekommt Lemper zudem jedes Jahr zum Geburtstag ein Feuerwerk. »Also ich feiere dann mit der Stadt den Unabhängigkeitstag - und meinen eigenen Unabhängigkeitstag.«
Musik spielte bereits im Elternhaus große Rolle
Geboren wurde Lemper 1963 in Münster in ein »musikalisches Elternhaus«, wie sie sagt. »Der Vater hat Klavier gespielt, Geige, Gitarre, hat immer Lieder geschrieben, obwohl er Banker war. Und meine Mutter war eine Soprano, Opern-Liebhaberin, und hat auch selbst gesungen.« Lemper lernte schon als Kind Klavier und Ballett - aber empfand Münster und ihre Umgebung auch schon früh als einengend und verließ die Stadt direkt nach der Schule, um Schauspiel und Tanz in Köln, Wien und Hamburg zu studieren. Schnell bekam sie erste Rollen - unter anderem in Musicals wie »Cats«, »Cabaret« oder »Chicago« - arbeitete als Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin, wurde international anerkannter Chansonstar und feierte Erfolge mit Musik von Kurt Weill, Michael Nyman, Jacques Brel oder Astor Piazzolla.
Auch die Schauspielerin und Sängerin Marlene Dietrich inspirierte Lemper. Wenige Jahre vor deren Tod 1992 habe sie einmal mit ihr telefoniert. »Da haben wir drei Stunden gesprochen und ich war sehr jung, aber habe versucht, diesen Hauch von Leben einzuatmen, den sie mir auch durch das Telefon eingehaucht hat und mitgegeben hat.« Darauf basierend inszenierte Lemper 2020 den Theaterabend »Rendezvous mit Marlene«.
Sie würde sich selbst in allererster Linie als Musikerin beschreiben, sagt Lemper. "Mein Beruf ist meine Identität. Ich bin ein klassischer Mensch. Ich drücke mich aus in vielen Dimensionen und alles gehört
zusammen. Das sind alles meine Hirngespinste und meine Vorstellungskraft und meine Leidenschaften."
Auftritt bei »The Masked Dancer«
Bis heute steht »die Lemper« an vielen Tagen im Jahr auf Bühnen in den USA, in Deutschland und vielen anderen Ländern Europas. »Es gibt manche Zuschauer, die folgen mir schon durch die Jahrzehnte. Die Leute kommen mit mir durch 40 Jahre Geschichte wirklich, das finde ich ganz wunderbar, sind mir gefolgt durch so viele Repertoires und Abenteuer.« In Deutschland war Lemper zuletzt auch in der ProSieben-Show »The Masked Dancer« zu sehen, schied als Glühwürmchen verkleidet aber als erste Prominente ihrer Staffel aus. »Es war eine unglaubliche Erfahrung«, sagte sie danach.
Lebensmittelpunkt ist für Lemper aber seit den 90er Jahren New York. »Das ist eine Stadt der Immigranten und das finde ich so toll, dass wir alle unsere Geschichten haben. Und trotzdem sind wir alle New Yorker. In Paris war ich die Deutsche, in London war ich die Deutsche. Aber hier in New York sind wir alle anders und wir sind trotzdem New Yorker.« Im Alltag der Millionenmetropole interessiere die Menschen auch überhaupt nicht, ob jemand prominent sei. »Der eine hat seine Company, der andere ist ein Anwalt, der andere hat seinen Supermarkt, der andere hat sein eigenes Business. Das beeindruckt die Leute gar nicht besonders, wenn hier jemand ein Künstler ist.«
Ehe mit Musiker Todd Turkisher
Lemper ist in zweiter Ehe mit dem Musiker Todd Turkisher verheiratet und hat »vier kreative, verrückte, weltoffene, freiheitsliebende Kinder«, genau wie sie selbst. »Wer möchte denn schon normal sein?«, sagt Lemper. »Wenn du immer nur normal sein möchtest, kannst du nie herausfinden, wer du wirklich bist und dass du auch extraordinär sein kannst. Die Anpassung ist immer eine schlechte Dimension, eine schlechte Straße. Man soll sich nicht anpassen und nirgendwo hineinpassen. Denn es steckt viel Tieferes, Schöneres, Geheimnisvolleres in dir drin als eine Schablone es vorschlägt.«
Es sei »wirklich ein reiches Leben« gewesen bisher, sagt Lemper - insbesondere dann, wenn sie es auf die Bühne schaffe: »Dieses Erlebnis, ein Mensch zu sein, und auch den Menschen eine Geschichte zu erzählen, musikalisch oder in Wort oder manchmal durch Stille oder durch Bewegung und dort einen Zauber zu kreieren. Darum geht es.« Um die Zukunft mache sie sich deswegen auch »nicht so viel Gedanken«.
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