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Umstritten und anspruchsvoll - Jean-Marie Straub ist tot

Jean-Marie Straub war ein Purist und galt in gewissem Sinne auch als Vater des neuen deutschen Films. Nun ist der französische Regisseur im Alter von 89 Jahren gestorben.

Jean-Marie Straub gestorben
Der französische Filmemacher Jean-Marie Straub wurde 2017 auf dem 70. Filmfestival in Locarno mit einem Ehrenleoparden ausgezeichnet. Jetzt ist er mit 89 Jahren gestorben. Foto: Urs Flueeler
Der französische Filmemacher Jean-Marie Straub wurde 2017 auf dem 70. Filmfestival in Locarno mit einem Ehrenleoparden ausgezeichnet. Jetzt ist er mit 89 Jahren gestorben.
Foto: Urs Flueeler

Kommerzielles Kino, Stars und Kulissenzauber waren ihm ein rotes Tuch. Seine Prinzipien: Nonkonformismus, Minimalismus und Kargheit. Nun ist der französische Regisseur Jean-Marie Straub, dessen Filme oft umstritten waren, im Alter von 89 Jahren am Sonntag in seiner Schweizer Wahlheimat Rolle gestorben. Das bestätigte Christophe Bolli, der Kommunikationschef von Cinémathèque suisse, dem nationalen Schweizer Filmarchiv, der Deutschen Presse-Agentur in Genf. 

Straub hat bis auf wenige Filme, darunter »Kommunisten«, alle Werke mit seiner 2006 gestorbenen Lebensgefährtin Danièle Huillet gemeinsam gedreht. Die überwiegend linkskritisch-politischen Arbeiten charakterisiert ein unverkennbarer Ansatz: der Verzicht auf das illusionistische und emotionale Potenzial des Kinos. 

Mit ihren Filmen lehnten sie Kommerz und Konventionen ab, leisteten dem Mainstream-Kino, Hollywood und dem Starsystem Widerstand. Sie bekannten sich zu Bertolt Brechts Verfremdungseffekt, der mit überzogener Sprache, Liedern und Kommentaren die Handlung unterbricht. Das Paar setzte vorzugsweise literarische Vorlagen von Kafka, Böll, Malraux und Hölderlin um.

Die beiden Böll-Adaptionen »Machorka-Muff« (1962) und »Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht« (1965) - nach dem Roman »Billard um halbzehn« - ließen ihn zu einer Art Vaterfigur des neuen deutschen Films werden, ein Filmstil der 1960er und 1970er Jahre, der Kritik an der Gesellschaft und der Politik übte und sich vom Unterhaltungsfilm abgrenzte. 

Straub und Huillet verzichteten auf professionelle Schauspieler, perfekte Rollenidentifikation und das große gestische Spiel der Darsteller. Stattdessen bevorzugten sie die Unverbrauchtheit der Laiendarsteller. Dadurch wirkten die Filme oft sperrig und schwerfällig, was ihnen den Vorwurf des Dilettantismus und der Emotionslosigkeit einbrachte. 

Straub wurde am 8. Januar 1933 in Metz geboren, wo er in einem Filmklub arbeitete. Später ging er dann nach Paris, wo er mehrere der Nouvelle-Vague-Regisseure traf, darunter Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, François Truffaut und Claude Chabrol. Im Jahr 1958 übersiedelte er nach Deutschland, um dem Militärdienst im Algerienkrieg zu entgehen. 

Mehr als 50 Werke

Der Nachwelt hinterließ das Paar über 50 Werke. Viele waren so umstritten wie intellektuell anspruchsvoll. Straubs erster Langfilm »Chronik der Anna Magdalena Bach« (1967), den er bereits zusammen mit Huillet drehte, war auch einer seiner größten Erfolge. Doch die Geschichte über die wichtigsten Stationen im Leben des Komponisten Johann Sebastian Bach irritierte bereits Publikum und Kritiker, denn er verzichtete auf alle Klischees vom barocken Musikmeister. Zu einer ersten großen Kontroverse kam es 1974 mit »Moses und Aron« nach der Oper von Arnold Schönberg, weil der Vorspann eine Widmung an den Kameramann und deutschen Terroristen Holger Meins enthält. 

Für Eklat sorgten Straub und Huillet erneut bei den 63. Filmfestspielen von Venedig im September 2006. Bei der Verleihung des Sonderpreises für »Erfindung filmischer Sprache in ihrem Werkganzen«, den die Beiden für »Quei loro incontri« erhielten, las einer der Schauspieler in Vertretung des abwesenden Paars eine von Straub verfasste Botschaft vor, die schockierte. Solange es den amerikanischen, imperialistischen Kapitalismus gebe, könne es nie genug Terroristen in der Welt geben, hieß es darin.

© dpa-infocom, dpa:221120-99-592834/3