Der amerikanische Romancier Jonathan Franzen ist am Freitag mit dem Thomas-Mann-Preis 2022 ausgezeichnet worden. In einem Festakt überreichten Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau und der Präsidenten der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Winfried Nerdinger, den mit 25.000 Euro dotierten Preis. Deutsche Literatur bedeute ihm sehr viel, sagte Franzen. Deshalb sei es für ihn eine große Ehre, dass er auch in Deutschland ein Publikum gefunden habe.
Die Jury zeichnete Franzen für sein erzählerisches Werk aus, das die Tradition des großen Gesellschafts- und Familienromans von Autoren wie Tolstoi, Dostojewski und Thomas Mann im 21. Jahrhundert wiederbelebt habe, hieß es in der Begründung. Spätestens mit seinem 2001 erschienenen dritten Roman »Die Korrekturen« habe sich der 1959 geborene Franzen in die Weltliteratur der Gegenwart eingeschrieben, heißt es in der Begründung für die Auszeichnung.
Am Beispiel einer chronisch unglücklichen Familie zeichnet »Die Korrekturen« ein schillerndes Panorama der amerikanischen Gesellschaft mit ihren Sehnsüchten und Abgründen. Gut 100 Jahre nach Thomas Manns »Buddenbrooks« führte der Welterfolg dieses Romans zu einer Renaissance auch des deutschsprachigen Familienromans.
»Es ist für mich sehr bedeutsam, diesen Preis zu erhalten und als Amerikaner in Deutschland anerkannt zu werden«, sagte Franzen. Über Thomas Mann sagte er: »Neben seiner magistralen Präsenz, seiner großartigen Prosa und den langen Sätzen zeichnet ihn die völlige intellektuelle Beherrschung jedes Themas aus. Doch in seinem Innern war er ein Chaot.« Das treffe vermutlich auf die meisten Schriftsteller zu, doch Thomas Mann sei ein besonders eindrucksvolles Beispiel für diesen Kontrast zwischen dem vollendeten Werk und dem Chaos in seinem Inneren und in seiner Familie, sagte Franzen.
Der Thomas-Mann-Preis ist aus dem Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck und dem Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste hervorgegangen. Bisherige Preisträger waren unter anderem Norbert Gstrein, Nora Bossong, Brigitte Kronauer und Julie Zeh.
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