Karlsruhe (dpa) - Der Streit zwischen dem Musikproduzenten Moses Pelham und den Elektropop-Pionieren Kraftwerk um einen Zwei-Sekunden-Rhythmus bleibt auch nach mehr als zwei Jahrzehnten eine vertrackte Geschichte.
In der inzwischen vierten Verhandlung des Bundesgerichtshofs (BGH) zeichnete sich am Donnerstag zwar ab, dass Pelham den Kraftwerk-Beat wohl 1997 ungefragt kopieren und unter einen Song mit der Rapperin Sabrina Setlur legen durfte. Die Karlsruher Richter scheinen aber davon auszugehen, dass von 2002 an die Herstellung weiterer Tonträger wegen einer neuen Rechtslage nicht mehr erlaubt gewesen sein könnte.
Offen blieb, ob die möglicherweise unrechtmäßig hergestellten Tonträger trotzdem vertrieben werden dürften. Das Urteil soll erst in den kommenden Wochen bis Monaten verkündet werden.
Zur Verhandlung waren sowohl Pelham als auch der Kraftwerk-Mitbegründer Ralf Hütter nach Karlsruhe gekommen. Das Verfahren wird in der Musikbranche mit Spannung verfolgt, weil es sehr grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Urheberschutz aufwirft. Es gibt dazu auch schon Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Seit 2002 ist das Urheberrecht in der Europäischen Union vereinheitlicht. Für die Zeit danach hatte der EuGH auf Anfrage des BGH entschieden, dass eine fremde Tonsequenz nur dann ohne Erlaubnis verwendet werden darf, wenn sie für den Hörer in dem neuen Werk nicht mehr wiedererkennbar ist. Die obersten Zivilrichter des BGH müssen jetzt entscheiden, ob das auf den Setlur-Song »Nur mir« zutrifft.
Das Original stammt aus dem Kraftwerk-Titel »Metall auf Metall« von 1977. Pelham hatte den Beat leicht verlangsamt in Endlosschleife unter seine Produktion gelegt. Diese Interpretation in neuem Kontext nennt man Sampling. Sie ist in Rap und Hip-Hop gängig.
»Die Sache ist nicht einfacher geworden«, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Koch. Nach einem früheren Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg könne der durchschnittliche Hörer die Rythmussequenz in »Nur mir« deutlich wahrnehmen, vor allem im Intro, bevor die Musik und der Sprechgesang einsetzten.
Pelhams BGH-Anwalt Jochen Höger hielt entgegen, es gehe nicht um Wahrnehmbarkeit, sondern um Wiedererkennbarkeit. Ja, die ersten 15 Sekunden hörten sich ähnlich an. Aber: »Ich hab's nicht erkannt.«
Hütters Anwalt aus den Vorinstanzen, Hermann Lindhorst, zeigte sich nach der Verhandlung erleichtert. »Es wird mit Sicherheit einen Teilsieg geben«, sagte er. Sampling als Kunstform bleibe möglich, aber es gebe eben gewisse Regeln. Pelham hätte ja auch um Erlaubnis fragen können - »so wie das viele andere Künstler tun«.
Pelhams Anwalt Udo Kornmeier sagte, er gehe davon aus, dass es vor einer abschließenden Entscheidung mindestens noch eine Runde vor dem OLG Hamburg geben werde. Dieses müsse noch einmal die Wiedererkennbarkeit der Rhythmussequenz prüfen.
Tatsächlich könnte eine Zurückverweisung nötig sein, denn das Verfassungsgericht hatte die OLG-Urteile aufgehoben. Es ist nicht einmal auszuschließen, dass der BGH noch einmal den EuGH einschaltet.
Mitteilung zum EuGH-Urteil vom 29. Juli 2019
BGH-Vorlagebeschluss vom 1. Juni 2017
Urteil des Verfassungsgerichts vom 31. Mai 2016
Zweites BGH-Urteil vom 13. Dezember 2012
Erstes BGH-Urteil vom 20. November 2008
Verwertungsrechte im Urheberrechtsgesetz, § 85 UrhG
Urheberrechtsgesetz zur Freien Benutzung, § 24 UrhG
Kunstfreiheit im Grundgesetz, Art. 5 Abs. 3 GG