Als Valentin Schwarz sich zum Interview mit der Deutschen Presse-Agentur auf eine Parkbank setzt, arbeiten Bauarbeiter auf einem Gerüst am ehrwürdigen Festspielhaus. »Werkstatt Bayreuth« sagt er und lacht.
Auch an seinem eigenen Werk will er weiter arbeiten. Nach einem beeindruckenden Proteststurm zahlreicher Zuschauer im vergangenen Jahr ist er mit seiner sehr umstrittenen Interpretation des »Ring des Nibelungen« nun zurück auf dem Grünen Hügel.
»Ich spüre eine große Gestaltungslust bei allen. Das ist die berühmte Werkstatt Bayreuth, in der es eben auch darum geht, den «Ring» als Prozess zu begreifen, nicht als unveränderliches Werk - eben Suche, nicht Stillstand«, sagt er im Interview. »Diese Arbeit am «Ring» ist ein kommunikativer Prozess.«
Schwarz: Sehr kathartischer Moment
Dieser kommunikative Prozess umfasst auch einen Proteststurm wie er sogar für das diskussions- und buhfreudige Bayreuther Publikum ungewöhnlich ist. Dieser schlug Schwarz entgegen, als er im vergangenen Jahr nach dem vierten »Ring«-Teil, der »Götterdämmerung«, vor den Vorhang und ein wütendes Publikum trat.
»Es gehört quasi zu meinem Job, mich dem zu stellen und die Verantwortung zu tragen, im Positiven wie im Negativen«, sagt er ein Jahr später. »Ich persönlich habe diesen Moment als sehr kathartisch empfunden, wie eine Art von Reinigung; zu erleben, wie das Publikum sich untereinander erstmal einig werden muss - oder eben uneins bleibt. Das fand ich spannend, diesen Konflikt.«
Im zweiten Jahr will er aber »zusätzliche Verständnishilfen bieten«, kündigt er an. »Wir gucken neu drauf, und daraus entstehen viele kleinere Veränderungen«, sagt er.
»Weniger Fragezeichen, mehr Ausrufezeichen«
»Da brauchte es vielleicht, bildlich gesprochen, noch einen zusätzlichen Scheinwerfer auf die eine oder andere Szene, so dass man - wie im Film - einen stärkeren Fokus schafft und bei diesen Momenten weniger Fragezeichen, sondern mehr Ausrufezeichen setzt.«
Kritiker hatten unter anderem bemängelt, dass ein roter Faden fehlt in der Inszenierung, die zuweilen als »Netflix-Ring« bezeichnet wurde, weil Schwarz Richard Wagners vierteilige Oper als eine Art Drama-Serie aufbaut und die Figuren beispielsweise mit Hintergrund-Geschichten ausstattet. Oder dass Inszenierungsideen ins Leere laufen.
»Für mich ist der «Ring» ein Drama des Hier und Jetzt«, sagt Schwarz über seine Produktion. Generationengerechtigkeit sei ein wichtiges Thema für ihn - und ein zentrales in seiner Inszenierung. »Diese Frage - welche Welt wir hinterlassen - ist, glaube ich, für viele Menschen unbequem, weil sie eine gehörige Portion Selbstkritik nach sich zieht.«
»Wenn man versucht, jedem zu gefallen, ist man schon gescheitert«
Aus seiner Sicht ist es nicht möglich, auf die multiplen Krisen der Welt mit einfachen, leicht verständlichen Antworten zu reagieren. »Wir können uns nicht zurücklehnen und eine Botschaft X aussenden, die alles vereinfacht und so tut, als gäbe es eine halbgare Patentlösung für die komplexen Probleme unserer Gegenwart. Deren Dichte und die Dringlichkeit überfordert uns tendenziell. Und genauso ergeht es den Figuren im «Ring».«
Das Konzept seiner Inszenierung bleibe aber auch in Jahr zwei das gleiche. Denn: »Es geht nicht um Verrenkungen oder Zugeständnisse an den Geschmack. Wenn man versucht, jedem zu gefallen, ist man schon gescheitert.«
Die große Eröffnung der Bayreuther Festspiele ist - wie in jedem Jahr - für den 25. Juli geplant. Dann gibt es einen neuen »Parsifal«. Der erste Teil von Schwarz' »Ring«, das »Rheingold«, steht dann für den 26. Juli wieder auf dem Spielplan. In diesem Jahr ist auch der ursprünglich eingeplante Dirigent Pietari Inkinen wieder dabei, der 2022 kurz vor der Premiere coronabedingt ausfiel und von Cornelius Meister ersetzt wurde.
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