Stockholm (dpa) - Begleitet von Protesten ist der österreichische Schriftsteller Peter Handke in Stockholm mit dem diesjährigen Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden.
Neben ihm nahmen am Dienstag auch die polnische Autorin und Preisträgerin für das Jahr 2018, Olga Tokarczuk, sowie zwölf Wissenschaftler in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie und Wirtschaft ihre Nobelmedaillen und -diplome bei einer feierlichen Zeremonie im Stockholmer Konzerthaus entgegen. Zeitgleich zum anschließenden Nobelbankett wurde auf dem nahegelegenen Norrmalmstorg gegen die Vergabe an Handke wegen dessen umstrittener Positionierung im Jugoslawien-Konflikt protestiert.
Der Vorsitzende des Nobelkomitees, Anders Olsson, ließ die Kontroverse in seiner Laudatio auf Handke unerwähnt. Als Schwedens König Carl XVI. Gustaf die Auszeichnung überreichte, gab es aus dem Publikum höflichen Applaus und keine Pfiffe. Die Akademie hatte ihre Entscheidung für Handke im Vorfeld vehement verteidigt. Man müsse zwischen der Person und ihrem literarischen Werk unterscheiden, hatte sie erklärt.
Handke hatte sich im Jugoslawien-Konflikt stark mit Serbien solidarisiert und nach Ansicht von Kritikern die von Serben begangenen Kriegsverbrechen bagatellisiert oder geleugnet. 2006 hielt er bei der Beerdigung des sechs Jahre zuvor gestürzten serbischen Führers Slobodan Milosevic eine Rede. Dass die Schwedische Akademie ausgerechnet ihn auszeichnete, erzürnte nicht nur Organisationen wie die Mütter von Srebrenica und die Gesellschaft für bedrohte Völker. Staaten wie das EU-Land Kroatien und die Türkei verzichteten aus Protest gegen Handke auf die Teilnahme ihrer Botschafter an der Preisverleihung.
Zum abendlichen Protest auf dem Norrmalmstorg, auf dem bereits zu Balkankriegszeiten Kundgebungen gegen den Konflikt abgehalten worden waren, kamen nach Schätzungen der Polizei zunächst etwa 400 Teilnehmer. »Handkes Literatur schreibt die Geschichte um, er stellt einen Genozid infrage, der bewiesen worden ist«, sagte eine der Initiatorinnen, Teufika Sabanovic, der Deutschen Presse-Agentur. Sie glaube nicht daran, dass sich Handke eines Tages doch noch bei den Völkermordopfern entschuldigen werde. Handke habe bereits auf der Pressekonferenz in der Schwedischen Akademie eine goldene Gelegenheit verstreichen lassen, auf Fragen zu seiner Haltung zum Jugoslawien-Konflikt angemessen zu antworten, sagte Sabanovic.
Auf der Demonstration sagte die Teilnehmerin Halima Subasic, sie sei zu dem Protest gekommen, um ihre Solidarität mit den Völkermordopfern zu zeigen. »Man kann das alles nicht vereinfachen und bloß sagen, man müsse zwischen Literatur und der Person unterscheiden.«
Bereits am Vormittag hatten Demonstranten schwedischen Medienberichten zufolge direkt vor dem Konzerthaus ein Transparent in die Höhe gehalten, auf dem Handke aufgefordert wurde, bei den Opfern des Völkermords von Srebrenica um Entschuldigung zu bitten.
»Wie könnt ihr es wagen, Peter Handke den Nobelpreis zu geben?«, fragte auch der Theaterregisseur und Schriftsteller Jasenko Selimovic, der 1992 als Flüchtling aus Sarajevo nach Schweden gekommen war, in einem Meinungsbeitrag in der schwedischen Zeitung »Dagens Nyheter«. Den Leugner eines Völkermords mit der Auszeichnung zu belohnen, sorge auch dafür, dass die Geschichte revidiert werde. »Der Beschluss wird die Schwedische Akademie auf ewig verfolgen.« Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan meldete sich am Dienstag ebenfalls zu Wort und bezeichnete Handke als »rassistische Person« und »Mörder«.
Der Zerfall Jugoslawiens zu Beginn der 1990er Jahre war mit äußerst blutigen Kriegen zwischen Serbien und anderen Nachfolgestaaten einhergegangen. Allein in Bosnien gab es 100 000 Tote und zwei Millionen Vertriebene. Auch wenn alle Seiten Kriegsverbrechen begingen, belegen Erkenntnisse der Zeitgeschichtsforschung sowie die Rechtssprechung des Internationalen Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, dass die Kriege von Milosevic geplant und initiiert wurden und dass die meisten und schwersten Gräuel auf dessen Konto gingen.
Die Wahl der weiteren diesjährigen Nobelpreisträger war überwiegend gelobt worden, auch die des Friedensnobelpreisträgers Abiy Ahmed. Der äthiopische Ministerpräsident hatte seinen Nobelpreis am Dienstag zuvor bereits auf einer Verleihung in Oslo überreicht bekommen. Der Literaturnobelpreis war 2018 wegen eines Skandals ausgefallen, deshalb gab es in diesem Jahr zwei Preisträger: Olga Tokarczuk für 2018 und Handke für 2019.