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Neue Antisemitismus-Werke auf documenta lösen Entrüstung aus

Auf der documenta sind weitere Werke mit antijüdischen Stereotypen aufgetaucht. Die Gesellschafter der Schau wollen, dass sie vorerst entfernt werden. Die FDP geht einen Schritt weiter.

documenta fifteen
Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen verschärfen sich. Foto: Swen Pförtner
Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen verschärfen sich.
Foto: Swen Pförtner

Erst wurde ein riesiges Banner abgebaut, jetzt sind weitere kritische Bilder in einem Katalog gefunden worden: Nach erneuten Antisemitismus-Vorwürfen fordern die Gesellschafter der documenta in Kassel, die diskutierten Zeichnungen »bis zu einer angemessenen Kontextualisierung« aus der Ausstellung zu nehmen.

»Der Umgang mit den Zeichnungen zeigt, wie dringend notwendig die externe Expertise bei der Analyse von Werken auf antisemitische (Bild-)Sprache ist«, teilten sie über die documenta und Museum Fridericianum gGmbH mit.

Unterstützt werden sie dabei von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. »Es ist gut und richtig, dass die Gesellschafter der documenta die künstlerische Leitung jetzt aufgefordert haben, diese Zeichnungen aus der Ausstellung zu nehmen«, sagte die Grünen-Politikerin in Berlin.

FDP fordert vorläufigen Stopp der Show

Die FDP forderte gar einen vorläufigen Stopp der Kunstschau. »Die neuerlichen Antisemitismus-Vorwürfe offenbaren einen Abgrund. Die documenta muss sofort unterbrochen werden«, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der dpa in Berlin. Die Vorfälle müssten zunächst aufgeklärt und die Ausstellung umfänglich auf weitere antisemitische Werke und Inhalte überprüft werden.

Die documenta, die neben der Biennale in Venedig zu den wichtigsten Kunstausstellungen der Welt gehört, wird schon seit Anfang des Jahres von Antisemitismus-Vorwürfen überschattet. Damals gab es erste Stimmen, die dem indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen. Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung Mitte Juni war dann ein Banner mit antisemitscher Bildsprache entdeckt und abgebaut worden.

In der Debatte um die Aufarbeitung des Vorfalls und den Streit um das weitere Vorgehen musste die Generaldirektorin der Ausstellung, Sabine Schormann, vor knapp zwei Wochen zurücktreten. Alexander Farenholtz wurde als Interims-Geschäftsführer eingesetzt. Der documenta-Aufsichtsrat um den Vorsitzenden, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), und seine Stellvertreterin, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), beschloss zudem, die Ausstellung solle auch mithilfe externer Experten grundlegend reformiert werden.

Farenholtz hatte kurz nach seinem Amtsantritt allerdings betont, dass ein entsprechendes Experten-Gremium Empfehlungen und Ratschläge aussprechen könne, es aber keine Prüfung der verbliebenen Kunstwerke geben werde. Unter keinen Umständen dürfe der Eindruck entstehen, dass durch die fachwissenschaftliche Begleitung eine Kontrollinstanz eingeführt werde, betonte er vergangene Woche.

documenta weist Vorwürfe zurück

An diesem Mittwoch wies dann die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen auf weitere antisemitische Arbeiten hin. Es handelt sich um Darstellungen in einer Broschüre, die 1988 in Algier erschienen ist. Die darin enthaltenen Zeichnungen des syrischen Künstlers Burhan Karkoutly zeigen Soldaten mit Davidstern am Helm als Roboter mit entblößten Zähnen. Auf einem anderen Bild wehrt sich eine Frau gegen einen israelischen Soldaten mit übergroßer Hakennase.

Die documenta wies die Vorwürfe zurück. Das historische Archivmaterial sei vor rund drei Wochen vorübergehend aus der Ausstellung genommen worden, um es eingehender zu betrachten. »Nach der Untersuchung gibt es zwar eine klare Bezugnahme auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, aber keine Bebilderung von Juden «als solchen»«, hieß es in einer Stellungnahme. Das Werk sei als strafrechtlich nicht relevant eingestuft worden.

Die Gesellschafter erklärten, die umgehende rechtliche Bewertung der Zeichnungen durch Externe sei ein richtiger Schritt gewesen, kritisierten aber, die Frage, ob dabei antisemitische Bildsprache vorliegt, sei leider »lediglich intern bewertet« worden. »Es wurde versäumt, eine geeignete Kontextualisierung vorzunehmen und die Besucherin über das Ergebnis der Klärung zu informieren.« Diese Vorgänge, betonten sie, hätten nicht unter der Verantwortung des Interimsgeschäftsführer Alexander Farenholtz stattgefunden. »Wir danken Herrn Farenholtz, dass er diese Versäumnisse nun nachholen möchte.«

Claudia Roth: Expertise ernst nehmen

Der Umgang mit diesen Zeichnungen vor dem Amtsantritt von Farenholtz zeige erneut, »wie wichtig und notwendig ein externes Gremium von Expertinnen und Experten ist, das eine Analyse und Einordnung der auf der documenta gezeigten Werke in Bezug auf mögliche antisemitische Bildsprachen vornimmt«, erklärte Staatsminsterin Roth. »Diese Expertise sollte dann von den Verantwortlichen der documenta auch sehr ernst genommen werden.«

Schwere Vorwürfe gegen die neue documenta-Leitung erhob hingegen der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Seit Wochen diskutiere das Land über Antisemitismus, die anti-israelische Boykottbewegung BDS und Israelhass. »Die Leitung der documenta tut weiter so, als ginge sie das nichts an. Offensichtlich ist es unerheblich, wer dort die Geschäftsführung innehat«, erklärte er laut Mitteilung am Donnerstag.

Man müsse sich fragen, »wie weit wir in Deutschland sind, wenn diese Bilder als vermeintliche 'Israelkritik' für gut befunden werden können«. Das Schweigen der Verantwortlichen in der Kulturpolitik hierzu sei dröhnend. »Diese documenta wird als antisemitische Kunstschau in die Geschichte eingehen.« Selbst die Worte des Bundespräsidenten bei der Eröffnung hätten offensichtlich zu keiner Einsicht geführt. »Dass diese documenta wirklich bis zum 25. September laufen kann, erscheint kaum mehr vorstellbar«, betonte Schuster.

© dpa-infocom, dpa:220727-99-181394/8