Darmstadt (dpa) - Das Ausstellungshaus ist eingerüstet. Die Außenfassade ist nackt, das Dach neu gedeckt - Großbaustelle und Grundsanierung auf der Mathildenhöhe in Darmstadt.
Der Bauzaun rund um das große Haus wird wohl auch noch im Sommer stehen, wenn die Unesco ihre Entscheidung bekannt gibt. Das vom Jugendstil geprägte Ensemble Mathildenhöhe in der südhessischen Stadt soll Welterbe werden.
Die Künstlerkolonie ist einer von zwei Beiträgen in diesem Jahr mit deutscher Beteiligung. Auch über einen transnationalen Antrag auf eine Aufnahme europäischer Bäder ins Welterbe soll entschieden werden. Dazu gehören aus Deutschland die für ihre Mineralquellen bekannten Orte Bad Ems (Rheinland-Pfalz), Baden-Baden (Baden-Württemberg) und Bad Kissingen (Bayern).
»Für die Bewerbung selbst und für den Prozess kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, weil wir alles gut, ernsthaft und auch begeistert gemacht haben«, sagt Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne). Die Intensität und auch die Konkretheit der Nachfragen seien ein Hinweis darauf, wie ernst und wie chancenreich die Bewerbung sei. Mitte des Jahres 2020 wird im chinesischen Fuzhou bekanntgegeben, ob sich künftig die Mathildenhöhe mit einem neuen Ausstellungshaus, anderen um 1900 errichteten Gebäuden, Parkanlagen und einem noch geplanten Besucherzentrum Welterbe nennen darf. Derzeit umfasst die Liste des Unesco-Welterbes 1121 Kultur- und Naturstätten in 167 Ländern, 46 davon liegen in Deutschland.
Darmstadt argumentiert, dass die Künstlerkolonie Mathildenhöhe ein entscheidender Schnittpunkt in der Entwicklung hin zur Moderne der Architektur sei. Das von insgesamt 23 Künstlern mit unterschiedlichen Berufen geschaffene Ensemble, verbunden mit Gärten, Skulpturen, Innenarchitektur und Design, bringe Entwicklungen zum Beginn des 20. Jahrhunderts in einmaliger Vielfalt zum Ausdruck.
Der hessische Großherzog Ernst Ludwig hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert erkannt, dass mangels wertvoller Bodenschätze ein wirtschaftlicher Aufschwung nur mit einer Qualitätssteigerung bei den Manufakturen zu erreichen war. Die Präsentation zeitgenössischer freier Kunst sowie die Förderung und Unterstützung der hessischen Industrie waren denn auch Ziele während der gesamten Geschichte der Künstlerkolonie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
Als der Architekt Joseph Maria Olbrich, der Designer und Architekt Peter Behrens und fünf weitere Künstler 1899 nach Darmstadt kamen, gab es auf der Mathildenhöhe nur ein Wasserreservoir und eine vom russischen Zaren Nikolaus II. - dem Schwager des Großherzogs - errichtete russische Kapelle.
Schon 1901 konnte die erste von insgesamt vier Ausstellungen auf dem neugebauten Stadtteil gezeigt werden. Darmstadt positionierte sich als Wirtschaftsstandort mit hohem kulturellen Anspruch und war unter anderem auch an den Weltausstellungen 1900 in Paris und 1904 in St. Louis vertreten. Nach dem Willen Olbrichs - laut dem Projektleiter für das Welterbe Mathildenhöhe, Ludger Hünnekens, der »Spiritus Rector« der Anfangszeit - sollte ein Gesamtkunstwerk von der Architektur über die Anlage der Straßen bis hin zu Tellern und Tassen in den Wohnstuben entstehen. »Dieses stürmische Verlangen nach einer neuen Einheit von Kunst und Leben, Natur und Wohnkultur, Landschaft und Siedlung sollte sich rasch erfüllen«, heißt es in einer Studie des hessischen Landesamtes für Denkmalpflege über die Künstlerkolonie. Kunst war hier immer auch gleich Wirtschaftsfaktor.
2011 gingen die Darmstädter in die Offensive und meldeten ihr Interesse für eine Welterbe-Bewerbung an. Seither fließen Millionen Euro in das Projekt. Bei Baumaßnahmen gibt es Hünnekens zufolge allerdings keine reine Rekonstruktion. Vielmehr habe man Respekt vor der Chronologie der Historie. Auch auf der Mathildenhöhe habe es im Zweiten Weltkrieg durch Bombardierungen Schäden gegeben. »Wir wollen hier keine Wiederholung im Sinne einer Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt.«
Für die Sanierungsarbeiten beziffert Oberbürgermeister Partsch die Investitionssumme auf insgesamt fast 44 Millionen Euro, davon mehr als 34 Millionen Euro alleine aus der Stadtkasse. »Es gibt immer Skeptiker«, sagt Partsch. Die hohen Investitionen, Ängste vor Besucherströmen, Parkplatznot: »Es ist ja nicht so, dass die alle das gut gefunden haben.«
Mit der Bewerbung sei auch ein umfassender Managementplan entwickelt worden, in den Tourismus, Parkpflege und ein Verkehrskonzept mit eingebunden seien. Die Besucherzahlen dürften bei einem Erfolg deutlich steigen. Alleine 2018 kamen nach Angaben der Stadt fast 700 000 Menschen.
Welterbestätten in Deutschland