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Love and Peace: 50 Jahre Woodstock

Zwischen Vietnam-Krieg und Bürgerrechtsbewegung treffen sich 1969 rund 400.000 Menschen auf einem Feld bei New York und feiern drei Tage lang friedlich zu Weltklasse-Musik. Das Woodstock-Festival prägt eine ganze Generation. Was ist 50 Jahre später davon geblieben?

Woodstock-Festival
Rund 400.000 Menschen feiern ein friedliches Festival. Foto: UPI
Rund 400.000 Menschen feiern ein friedliches Festival. Foto: UPI

WOODSTOCK/BETHEL. Tibetanische Gebetsflaggen, bunt gebatikte T-Shirts und Hunde-Anzüge, Peace-Zeichen als aufblasbare Pool-Schwimmhilfen und über all dem ein Geruch nach Räucherstäbchen.

Die Tinker Street, das Zentrum des kleinen Städtchens Woodstock etwa zwei Autostunden nördlich von New York, wirkt wie ein kommerzialisierter Gedenkschrein an das gleichnamige Festival, das am 15. August vor genau 50 Jahren begann.

Auf einem kleinen Platz spielt ein Mann mit Gitarre den Jimi-Hendrix-Klassiker »Voodoo Child«, eine Galerie zeigt gerahmte Original-Fotos vom Festival und eine Bäckerei bietet »Frieden, Liebe und Cupcakes«. Dazwischen schieben sich dutzende Touristen über die schmalen Bürgersteige.

»Das Jubiläum bereitet uns ein richtig gutes Geschäft, es ist viel mehr los als sonst«, sagt die Verkäuferin im Buchladen »Golden Notebook«. »Und ständig fragen mich Touristen, wo das Festival denn genau hier gewesen sei. Vielleicht in dem Park da hinten? Ich muss mich dann immer etwas zusammenreißen und sagen: Nein, der Park wäre doch viel zu klein gewesen. Woodstock war nicht in Woodstock. Für viele ist das eine totale Überraschung.«

Richie Havens
Richie Havens eröffnet das Woodstock-Festival. Sein Song »Freedom« wurde zur Hymne der Hippie-Generation. Foto: Globe Photos/Zuma
Richie Havens eröffnet das Woodstock-Festival. Sein Song »Freedom« wurde zur Hymne der Hippie-Generation. Foto: Globe Photos/Zuma

Der kleine Ort mit rund 6000 Einwohnern in den Catskills, einem New Yorker Naherholungsgebiet, war zwar Namensgeber und spiritueller Pate des legendären Festivals, die Musikparty selbst aber fand rund eine Autostunde südwestlich im noch etwas kleineren Örtchen Bethel statt, vorbei an Hügeln, Seen, Feldern und Ferienlagern orthodoxer Juden. Auch in Bethel finden sich hin und wieder Schilder mit Peace-Zeichen und weißen Tauben in den Vorgärten und vereinzelt Stände mit Batik-T-Shirts, der Kommerz aber wird in Woodstock abgefeiert. Der Gedenkschrein in Bethel dagegen ist eine große abschüssige Wiese mit der natürlichen Topographie eines Auditoriums am Rande des Örtchens.

»Hier ist es«, sagt eine blonde Frau im bunten Batik-T-Shirt und bleibt mit andächtigem Gesichtsausdruck stehen. »Hier ist alles passiert.« Neben ihr tritt ein bärtiger Mann in schwarzer Motorrad-Kluft mit Totenkopf-Aufdruck auf die kleine Lichtung am Rande der Wiese. »Wow, hat das lange gedauert, bis ich endlich wieder herkommen konnte. Und es sieht ganz schön anders aus als damals.« Beide holen ihre Handys heraus und fotografieren den mit zahlreichen Glücksmünzen bedeckten Gedenkstein auf dem Boden. »Dies ist der Original-Schauplatz des Woodstock Musik und Kunst Festivals«, steht darauf.

Woodstock-Festival
In Woodstock wird eifrig gebatikt. Foto: Christina Horsten
In Woodstock wird eifrig gebatikt. Foto: Christina Horsten

Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Woodstock-Mit-Organisator Michael Lang genau hier stand, gemeinsam mit Max Yasgur, Milchbauer und damaliger Besitzer der Wiese. Mehrere potenzielle Austragungsorte für das Festival in der weitläufigen Gegend um Woodstock herum hatten da gerade schlagzeilenträchtig und teils per Gericht abgesagt. »Sie dachten, da kommen jetzt 50.000 langhaarige Hippies, durchwühlen ihre Stadt, vergewaltigen ihre Kühe und klauen ihre Hühner, oder was auch immer«, erinnerte sich Lang jüngst bei einer Podiumsdiskussion in einem Hotel in den Catskills. »Sie wurden sehr zugeknöpft und bekamen Angst.«

Vier Wochen waren es da noch bis zum geplanten Festivalauftakt, Bands und Bühne waren organisiert und bezahlt, mehr als 100.000 Tickets verkauft - und Lang war verzweifelt. »Wir haben dann Max gefunden und sind zusammen auf seine Wiese gegangen. Er war ein sehr kluger Mann, ein Republikaner zwar, aber sein Standpunkt war, dass wir da drüben in Vietnam kämpfen, damit Menschen genau so etwas machen können. Er hat mich dann gefragt: 'Wie viel Fläche willst du?' Ich sagte: 'Wie viel hast du?' - '250 Hektar.' - 'Nehme ich.'« Etwa 70.000 Dollar zahlt Lang dem Bauern und fängt dann hektisch mit seinem Team an, die Wiese innerhalb von nur vier Wochen in ein Festivalgelände umzubauen - mit Bühne, Sanitäranlagen, Essensausgaben, Zeltplätzen, Parkplätzen, Zäunen und einem Bereich für die Musiker.

Woodstock-Festival
Beim Woodstock-Festival wurde Geschichte geschrieben. Foto: Marty Lederhandler/AP
Beim Woodstock-Festival wurde Geschichte geschrieben. Foto: Marty Lederhandler/AP

»Ich bin Bauer«, wird der Republikaner Yasgur von der Bühne zu den hunderttausenden Menschen auf seiner Wiese später sagen, »Ich weiß nicht, wie man zu 20 Menschen gleichzeitig spricht, geschweige denn zu einer Menge wie dieser. (...) Aber ihr habt der Welt bewiesen, dass eine halbe Million Kinder - und ich nenne euch Kinder, denn ich habe Kinder, die älter sind als ihr - zusammenkommen können und drei Tage lang Spaß und Musik und nichts anderes als das haben können - möge Gott euch dafür segnen.«

Organisator Lang stammt aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn und hatte schon einige Konzerte und kleinere Festivals organisiert, als er 1968 nach Woodstock zog. Das Land um ihn herum wird damals immer wieder von Schockwellen durchzogen, positiven wie negativen: Der Krieg in Vietnam, die Bürgerrechtsbewegung und der Widerstand gegen die Trennung von weißen und schwarzen Menschen, die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy 1963 und Bürgerrechtler Martin Luther King fünf Jahre später, die Frauenbewegung, die erste Mondlandung, die Flower-Power-Hippie-Bewegung. »Woodstock wurde aus diesen Zeiten heraus geboren und aus dem Bedürfnis zu schauen, ob wir die Welt an unser Bild von einem mitfühlenderen und liebevolleren Ort anpassen können.«

Woodstock-Festival
Ein Peace-Zeichen auf dem Gelände des Woodstock-Festivals. Foto: Christina Horsten
Ein Peace-Zeichen auf dem Gelände des Woodstock-Festivals. Foto: Christina Horsten

Gemeinsam mit seinem Freund Artie Kornfeld und den Investoren Joel Rosenman und John Roberts - alle Anfang 20 - macht Lang sich ans Werk. »Wir hatten diese Vision, dass wir die Menschen aus den Städten und den Anstrengungen des Alltags herausholen, für ein Wochenende aufs Land in die Natur bringen und die Welt unserer Vision anpassen könnten.« Ein politisches Festival wollen die Organisatoren nicht, Ansprachen soll es keine geben. »Das größte politische Statement, das wir machen konnten, war, dass es funktioniert hat.«

In allererster Linie aber geht es den Organisatoren um die Musik: Nicht irgendwelche Bands sollen spielen, sondern die Besten der Besten, hauptsächlich, aber nicht nur, aus der alternativen Kultur, abseits des Mainstream: Joan Baez, Canned Heat, Janis Joplin, Grateful Dead, Jefferson Airplane, Joe Cocker, Crosby, Stills & Nash (mit dem neuen Bandmitglied Neil Young) und Jimi Hendrix - sie kommen alle und prägen mit ihren Auftritten den Musikgeschmack einer ganzen Generation bis heute.

Baez ist im sechsten Monat schwanger, ihr Ehemann im Gefängnis, sie tritt trotzdem auf. Santana hat damals noch kein einziges Album aufgenommen, tritt unter Drogeneinfluss auf, und Woodstock macht ihn zum Superstar. »Die besten 1500 Dollar, die ich je investiert habe«, sagt Lang. Auch Popbands wie The Who sind dabei, wenn auch nicht so begeistert. »Sie hatten kein Interesse an der Hippie-Bewegung.« Frontmann Pete Townshend sei wahrscheinlich »der unglücklichste Typ des ganzen Festivals« gewesen.

Woodstock-Festival
Freie Liebe. Foto: UPI
Freie Liebe. Foto: UPI

Monatelange Planung geht dem Festival voraus, trotzdem wird es chaotisch: Der Sommer 1969 ist so regnerisch wie schon lange nicht mehr, immer wieder ziehen heftige Gewitter über das Gelände hinweg, die Wiese mit allem elektrischen Bühnen-Equipment wird zu einem matschigen Sumpf. Die Tickets hatten ursprünglich sechs Dollar pro Tag gekostet, aber als die ersten Besucher die wenigen halb fertigen Zäune in der matschigen Wiese einfach überrennen, entscheiden die Organisatoren spontan, keinen Eintritt mehr zu verlangen.

So viele junge Menschen machen sich auf den Weg nach Bethel, dass die Zufahrtsstraße 17 B und die Route bis hinunter nach New York zum Dauerstau werden. Auch viele der Musiker bleiben darin stecken, wie die Band Sweetwater, die das Festival eigentlich eröffnen sollte. Panisch schnappt sich Lang den Sänger Richie Havens, der in der Gegend wohnt, und schickt ihn als ersten auf die Bühne. »Es war dann die perfekte Eröffnung, er hat alle zusammengebracht.«

Rund 60 Stunden lang feiern schließlich knapp eine halbe Million Menschen zusammen auf der Wiese von Bauer Yasgur, rutschen durch den Matsch, baden nackt in umliegenden Flüssen und Seen, singen und schwelgen zur Musik, schlafen wenig und nehmen viele Drogen. Die Menschen liegen sich in den Armen, propagieren freie Liebe und unbeschwerten Sex. Die Atmosphäre ist familiär, Langs Eltern beobachten das Geschehen vom Bühnengerüst aus. Von den Organisatoren sorgfältig geplante Film- und Fotoaufnahmen des Festivals gehen um die Welt.

»Ich war 16 und bin mit ein paar Schulfreunden hingefahren«, erinnert sich der Musiker Andy Shernoff, der aus New York stammt und später die Punk-Band The Dictators gründete, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. »Einer hatte ein Auto, und dann sind wir einfach los. Mir ging es um die Musik - ich habe jede Band gesehen, bis auf eine. Ich hatte einen Schlafsack dabei, aber ich erinnere mich überhaupt nicht mehr, wo ich geschlafen habe.« Sein Ticket von damals hat Shernoff bis heute aufgehoben.

Schon bald wird beim Festival die Verpflegung knapp, aber Bewohner von Bethel, Pfadfinder und andere lokale Organisationen greifen ein und helfen freiwillig mit Wasser und kostenlosem Essen, »Frühstück im Bett für 400.000 Menschen«, alles frisch von den umliegenden Bauernhöfen. Viele Hippies sollen in Woodstock zum ersten Mal das später sinnbildhaft für ihre Bewegung stehende Müsli gegessen haben, heißt es im direkt an der Wiese gelegenen Museum at Bethel Woods, das das Festival dokumentiert (und symbolische 19,69 Dollar Eintritt kostet). Festival-Besucher helfen in Essens- und Krankenzelten aus. Alles läuft friedlich ab: Drei Tage lang wird keine einzige Schlägerei oder irgendein anderer Gewaltakt gemeldet.

Schließlich ist es Montagmorgen. Viele Besucher sind schon abgereist, zurück zu ihrem Alltag mit Jobs und Familien. Aber ein paar Tausend sind noch da und sehen das letzte Konzert des Festivals. »Es war 8.30 Uhr und es waren vielleicht noch so 5000 Menschen da, als Jimi Hendrix die Bühne betrat«, erinnert sich Lang. »Er hat dann zum Schluss diese großartige Version der amerikanischen Nationalhymne gespielt, die zu dem legendären Woodstock-Moment wurde.«

Und dann war alles vorbei. »Das Wochenende schien Monate gedauert zu haben. Es wurde zu einer Lebensweise und es schien, als würde es jetzt immer so weitergehen«, erinnert sich Lang. »Und dann bekam ich, direkt nachdem Hendrix die Bühne verlassen hatte, einen Anruf, dass ich jetzt an die Wall Street kommen muss, um die Sache mit dem Geld und den Banken zu regeln. Ich musste mich also wieder mit dem Ernst des Lebens beschäftigen. Einer der letzten Hubschrauber, die von dem Gelände abhoben, hat mich mitgenommen. Die ganzen Kids waren unten auf der Wiese noch dabei, den Müll aufzuräumen, und hatten ein großes Peace-Zeichen aus Müll geformt. Das war das Letzte, was ich von Woodstock gesehen habe. Und dann kam ich zur Wall Street und der Banker hatte ein Aquarium mit Barrakudas in seinem Büro.«

Der Geist von Woodstock hält nur kurz. »Ich kam zurück und jeder in meinem Viertel hat nur noch von Frieden und Liebe gesprochen, es hatte wirklich so ein Gefühl hergestellt«, erinnert sich Festivalbesucher und Musiker Shernoff. »Aber das hielt nicht lange an, dann gingen alle wieder in ihre alten Alltagsrivalitäten über.«

Alles schien so schnell verflogen zu sein, wie es gekommen war. Ein Jahr nach Woodstock sterben Hendrix und Joplin, 1974 auch Bauer Yasgur. 1994 und 1999 versuchen die Organisatoren mit neuen Woodstock-Festivals zu Jubiläen nachzulegen, aber es ist nicht mehr dasselbe. Auch zum 50. Jubiläum wollte Lang eine Neuauflage anbieten, hatte schon Stars wie Miley Cyrus und Jay-Z dafür gewinnen können, doch dann häuften sich die organisatorischen Probleme, und das geplante »Woodstock 50«-Festival musste nur rund zwei Wochen vor dem geplanten Datum abgesagt werden.

Die Meinungen über solche Neuauflagen waren schon immer geteilt. Das Woodstock-Gefühl könne nicht nachgebildet werden, sagt ein älterer Mann aus dem Publikum der Podiumsdiskussion mit Lang, der sich als Juma Sultan zu erkennen gibt. Er müsse es schließlich wissen. »I closed with Jimi.« Dieser eine Satz definiert noch heute sein Leben. Als Perkussionist stand er beim letzten Auftritt des Festivals mit Hendrix auf der Bühne.

Dabei brauche es das Woodstock-Gefühl doch heute dringender als je zuvor, sagt Mit-Organisator Lang der Deutschen Presse-Agentur. »Viele der Probleme, über die wir uns damals Sorgen gemacht haben und die wir lösen wollten, sind zurück. Damals gab es die Anfänge der Umweltbewegung, und jetzt haben wir jemanden im Weißen Haus, der den existenzbedrohenden Klimawandel leugnet. Und alles ist so spaltend in Hinblick auf die Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Herkunft und Männern und Frauen. Wir dachten, wir hätten unsere Lektion gelernt - aber die Vergangenheit hat uns eingeholt und wir müssten dringend zurückschauen und darüber nachdenken.« (dpa)