Nackte Menschen sind mit verbundenen Augen an ein Holzkreuz gefesselt und werden mit Tierkadavern und Gedärmen eingerieben. Dabei wird ihnen immer wieder Blut eingeflößt, untermalt von bedrückenden Tönen einer Blasmusikkapelle.
Die Bilder der archaischen Aktionen des österreichischen Künstlers Hermann Nitsch brennen sich ein für alle, die sie einmal gesehen haben. Der Wiener wurde für seine extremen Rituale sowohl verehrt als auch bekämpft. Am Montag starb der Aktionskünstler, Maler und Bildhauer im Alter von 83 Jahren in einem Krankenhaus in Mistelbach, in der Nähe seines Schlosses nördlich von Wien.
Erlösungsidee der Menschen
Der Maler mit dem weißen Rauschebart wollte den Menschen stets intensive Erlebnisse für alle Sinne bieten. Die heutige Gesellschaft würde mit Hilfe von Religion zu viel verdrängen, was nur zu Neurosen führen würde. Sein selbst geschaffenes »Orgien-Mysterien-Theater«, das er als zeitgenössische Fortsetzung der Erlösungsidee der Menschen verstand, sollte Abhilfe schaffen. Diese oft tagelangen Aktionen mit Tierschlachtungen, Prozessionen und Blutschüttaktionen forderten tatsächlich von Mitwirkenden wie Zusehern volle Aufmerksamkeit und einen starken Magen. »Ein Überwinden der Ekelschranke ist Aufgabe der Kunst«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur vor seinem 80. Geburtstag.
Ein »Sechs-Tage-Spiel« auf seinem Schloss bildete 1998 den vorläufigen Höhepunkt seines Schaffens. Nach seiner selbst verfassten, 1700 Seiten starken Idealpartitur feierte Nitsch mit seinen »Jüngern« ein sechstägiges orgiastisches Happening mit Musikbegleitung und 13 000 Litern Wein. Hunderte Liter Blut wurden verschüttet, kiloweise Trauben und Tomaten zerquetscht und zahlreiche Tierkadaver ausgeweidet.
Proteste in Kauf genommen
Nitschs Aktionen waren umstritten. Rund 14.000 Menschen unterschrieben 2017 eine Petition gegen eine geplante Performance mit einem frisch geschlachteten Bullen im australischen Tasmanien. Nitsch hingegen sah tote Tiere als heilig an. »Das Fleisch, das ich benutze, wird nicht gegessen, sondern für eine Theaterperformance, also für einen höheren Zweck, genutzt«, erklärte er 2015 nach Protesten gegen eine seiner Ausstellungen.
Der in Wien geborene Nitsch begann Ende der 50er Jahre in der österreichischen Hauptstadt als Gebrauchsgrafiker zu arbeiten, doch schon bald begründete er Anfang der 60er Jahre mit Künstlern wie Günther Brus und Otto Muehl den sogenannten Wiener Aktionismus. Ihre tabubrechende Performancekunst löste heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit, in Medien und bei den Behörden aus.
Von der Polizei eingesperrt, von der Kirche geächtet, von Tierschützern beschimpft: Trotzdem änderte Nitsch seine Arbeitsweise nie. Umgekehrt änderte sich die Einstellung der etablierten Gesellschaft um die Jahrtausendwende dem exzentrischen Künstler gegenüber. Renommierte Häuser zeigen sein Schaffen, und seit rund 15 Jahren tragen zwei Museen in Mistelbach und in Neapel seinen Namen.
In Bayreuth ausgebuht
Im altehrwürdigen Wiener Burgtheater durfte Nitsch 2005 bei einer Aktion mit Blut planschen, wenn auch Sitze und Wände vorher mit Plastik abgedeckt wurden. Im vergangenen Jahr folgte eine Malaktion auf offener Bühne bei den Bayreuther Festspielen, als Teil einer halbszenischen Produktion von Richard Wagners »Walküre«. »Kategorien wie konservativ und modern gibt es für mich nicht. Für mich gibt es nur gute Arbeit und intensive Kunst«, sagte er der dpa vor der Aufführung, die teils heftig ausgebuht wurde. Musik war eine wichtige Inspiration für all seine Arbeiten. Nitsch verfasste selbst unzählige eigene Kompositionen für sein Orgien-Mysterien-Theater.
Trotz oder gerade wegen seines Todes soll im Juli ein lange geplantes »Sechs-Tage-Spiel« zumindest teilweise aufgeführt werden. »Das haben wir ihm versprochen«, sagte seine Frau Rita Nitsch der österreichischen Presseagentur APA.
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