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Kulturszene sortiert sich nach Corona-Schock

Kaum Konzerte, Theater oder Kino, wenig Museen - Corona hat die internationale Kulturszene im Griff. Deutschland versucht den Wiedereinstieg ins kulturelle Leben. Doch kaum etwas ist wie vorher.

Berliner Ensemble
Der Zuschauerraum des Berliner Ensembles. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Der Zuschauerraum des Berliner Ensembles. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

BERLIN. Das Foto hat das Zeug zum Symbolbild der Corona-Krise in der Kultur. Der Blick fällt ins Parkett, die rot bezogene Bestuhlung mit Klappsitzen lässt sofort ein Theater erkennen. Doch die Stühle im Berliner Ensemble stehen seltsam allein auf dem hölzernen Boden.

Nur Gitter von Lüftungsschächten sind zu sehen, wo sonst mehr Stühle zu finden sind. Das Theater hat Stuhlreihen ausbauen lassen, die in virusbedingten Abstandszeiten nicht benutzt werden dürfen. Mehr Publikum geht nicht mehr.

Vieles ist wie neu nach der Corona-Pause: das erste Mal wieder ins Kino, das Lieblingsmuseum neu entdecken. Corona beschert der internationalen Kulturszene nach beispiellosem Zusammenbruch nun auch die Möglichkeit zu Wiederentdeckung und Neueinstieg. Deutschland ist vergleichsweise weit, aber die Bedingungen für Künstler, Anbieter und Kultursuchende haben sich dramatisch geändert.

Statt eines spontanen Besuchs im Museum muss nun meist online ein Zeitfenster-Ticket gebucht werden. Im Kino ist es wie im Theater: Viele Sitze müssen freibleiben, um Abstände und Hygienemaßnahmen zu sichern. Für privaten Einrichtungen ohne Zuschüsse bedeutet das Einnahmeausfälle, die schnell existenzbedrohend werden können.

Manches bleibt noch unvorstellbar. Im Konzert dicht an dicht? Eine durchtanzte Nacht im knallvollen Club? Ohne Impfstoff oder Medikamente bleibt das Zukunftsmusik. »Wir waren die ersten, die zugemacht haben, und werden wohl die letzten sein, die wieder aufmachen können«, prophezeit Pamela Schobeß schon zu Beginn der Krise. Die Chefin des »Gretchen«, eines gerühmten Berliner Clubs, schiebt gleich die Frage nach, »ob es uns alle überhaupt noch gibt, wenn wir wieder aufmachen dürfen«.

Auf den ersten Blick ziemlich große Geldhaufen sollen verhindern, dass kleine Clubs und große Theater, private Veranstalter und staatliche Einrichtungen in der Krise untergehen. Doch die Summen wirken bescheiden im Vergleich zu sonstigen Umsätzen: Im Jahr 2018 erwirtschaftete die Kultur- und Kreativwirtschaft mit knapp 260.000 Unternehmen und 1,7 Millionen Mitarbeitern fast 170 Milliarden Euro.

Der Bund hat nach einigem Zögern ein Milliardenprogramm nur für die Kultur aufgelegt. 250 Millionen Euro stehen etwa für Hygienekonzepte, Online-Ticket-Systeme oder Belüftungssysteme bereit. Mit bis zu 480 Millionen Euro sollen Kulturschaffende aus der Kurzarbeit geholt werden, stattdessen wird künstlerisches Wirken finanziert. Für digitale Angebote stehen 150 Millionen Euro bereit. Nochmal 100 Millionen gibt es für coronabedingte Einnahmeausfälle.

Auch viele Länder haben millionenstarke Programme. Das reicht von der Unterstützung analoger Veranstaltungen in Baden-Württemberg über Stipendien für freischaffende Künstlerinnen und Künstler in Thüringen oder ein Sonderprogramm für gemeinnützige Kultureinrichtungen in Niedersachsen bis zu Hilfspaketen in Hamburg, Berlin oder Bayern. Abgesehen von konkreter Hilfe in einigen Ländern zählen soloselbstständige Künstler zu den großen Corona-Verlierern. Die Bundeshilfen gehen weitgehend an ihnen vorbei.

»Je länger die Rückkehr zur Normalität dauert, desto dramatischer wird die Lage für die Künstlerinnen und Künstler«, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters. »Corona hat gezeigt, wie krisenanfällig ihr Lebensmodell ist.« Da müsse neu gedacht werden. »Künstlerinnen und Künstler müssen von ihrer Arbeit leben können.«

Eine Folge der Krise sei aber auch »eine neue Wertschätzung für die Kultur«. »Wir alle spüren, wie viel Lebensqualität uns ohne Kultur verloren geht, wie sehr wir Kunst, Musik und Poesie nötig haben, auch, um Antworten auf die verstörenden Fragen des Daseins zu erhalten«, sagt die CDU-Politikerin. »Wir brauchen Museen, Theater und Konzerthäuser nicht nur als Kulturorte, sondern auch als soziale Orte, an denen wir mit anderen Menschen zusammenkommen und uns austauschen.« Es geht um Systemrelevanz. »Kultur ist fundamental für unsere Demokratie.«

Viele Institution haben virusbedingt ihre Online-Präsenz ausgebaut. »Die Museen haben den Kontakt mit dem Publikum aufrechterhalten mit Online-Angeboten oder über Social Media«, weiß David Vuillaume, Geschäftsführer des Museumsbundes. »Das zeigte eine Flexibilität und Agilität, die viele im Kulturbereich nicht erwartet hatten.« Nun müsse systematischer an Infrastrukturen und Kompetenz im Online-Bereich gearbeitet werden. »Wir müssen von dieser Krise lernen.«

Der Blick ins Netz kann den Gang zur Kultur aber nicht ersetzen. »Ein Museumsbesuch bleibt wie ein Theater- oder Konzertbesuch eine körperliche Erfahrung«, sagt Vuillaume. Was ihn freut: »Deutsche Museen waren die ersten, die wieder öffnen durften. Die Museen sind in der Lage, eine sehr hohe Sicherheit zu gewährleisten.« Zudem werde bereits für die Zukunft gesammelt, was die Gesellschaft erlebt. »Es geht auch um immaterielles Kulturerbe, nicht nur um Objekte, sondern um Geschichten, Gefühle, Erfahrungen. Durch Corona befassen sich die Sammlungen sehr systematisch mit diesem Thema.«

Aus Sicht der Video- und Konzeptkünstlerin Hito Steyerl, die seit Jahren zu den international einflussreichsten Akteurinnen der Szene zählt, hat die Corona-Krise gezeigt, dass »der Live-Bereich Leute in Lebensgefahr bringt. Nicht nur im Sinne des Infektionsrisikos, sondern auch im Sinne der materiellen Lebens- und Überlebensbedingungen«. Sie hofft, dass Event- und Spektakelkultur, die auf Profit schiele, auch langfristig zurückgedrängt werde.

»Die Herausforderung ist, auf Distanz zu kommunizieren und zu produzieren«, sagt Steyerl. »Eine virtuelle Öffentlichkeit, die ihren Namen verdient, ist lebensnotwendig, auch über die Pandemie hinaus.« Die Bedingungen sozialer Distanzierung seien ein Testlauf »für eine Ära der Nachhaltigkeit, in der überflüssige Transporte durch Fernkommunikation ersetzt werden sollten«.

Auch die Präsidentin der Akademie der Künste, Jeanine Meerapfel, sieht Entwicklungen. »Künstlerinnen und Künstler verarbeiten derzeit die besonderen Erfahrungen dieser Zeit in ihren Werken – die Erfahrung der Isolation, der Entschleunigung, die Erfahrung, Teil einer internationalen Gemeinschaft zu sein, die von einem Virus zugleich getrennt und zusammengehalten wird.« Es bleibe Unsicherheit. »Die Selbstverständlichkeit, mit der wir uns bisher immer bewegten, wird es nicht mehr geben.«

Im Filmbereich sorgte Corona für Unterbrechung ganzer Produktionen, vieles wurde ins kommende Jahr geschoben. »Es geht langsam wieder los mit Dreharbeiten«, berichtet Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin des staatlichen Filmförderungsunternehmens Medienboard Berlin-Brandenburg. Ausgeklügelte Hygienekonzepte oder unterschiedliche Crews in verschiedenen Schichten sollen verhindern, dass es nicht wieder kompletten Stillstand gibt. »Der Bedarf ist riesig, alle warten auf Nachschub«, sagt Niehuus. Digitalisierung in der Produktion werde dabei helfen. »Ich glaube, dass sich die Branche verändern wird.« (dpa)