Auf kaum einen lebenden Musiker trifft die Bezeichnung Rocklegende so sehr zu wie auf Keith Richards. Sein faltiges Gesicht und seine rauchige Stimme zeugen von der jahrzehntelangen Karriere im Musikgeschäft. Sein Leben ist Gegenstand unzähliger Mythen.
Der Gitarrist der Rolling Stones gilt als die Personifizierung des Rock 'n' Roll. Wenn man ihn darauf anspricht, gibt sich Richards allerdings bescheiden. »Keine einzelne Person kann diese Position ausfüllen«, sagt er vergangenes Jahr im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London. »Ich finde es umwerfend, dass die Menschen meine Arbeit akzeptieren. Ich bin manchmal richtig überwältigt.« Dann lacht er. »Aber ich will ihnen auch nicht widersprechen.«
Neue Tour in kurzer Zeit ausverkauft
Heute wird Keith Richards 80 Jahre alt und hat allen Grund zum Feiern. Denn im hohen Alter zementiert der unverwüstliche Musiker weiter seinen Legendenstatus. Die neueste LP seiner Rolling Stones, »Hackney Diamonds«, ist eines der erfolgreichsten Alben des Jahres. Die nächste Tour der rastlosen Urgesteine, die im Frühjahr und Sommer durch Nordamerika führt, war nach kurzer Zeit ausverkauft. Hinter den Kulissen sollen bereits die Planungen für Europa laufen.
Natürlich spielen die Stones auch dieses Mal wieder in den größten Stadien der Welt. Dabei sind Richards die kleinen Hallen und Clubs eigentlich lieber. »Man ist einfach näher dran«, erklärt er im dpa-Gespräch. »Außerdem klingt Rock 'n' Roll sehr viel besser in kleineren Räumen. Ich habe immer sehr gern in Clubs gespielt. Das war tatsächlich immer eine Chance, mal Dinge zu tun, die ich sonst nicht machen konnte, weil die Stones so schnell so groß geworden sind.«
Erster Auftritt im Juli 1962
Als die Rolling Stones am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee Club ihren ersten Auftritt absolvierten, konnte noch niemand vorhersehen, dass die fünf nervösen jungen Männer in dunklen Anzügen zu einer der berühmtesten, erfolgreichsten und langlebigsten Bands der Musikgeschichte avancieren würden. Mehr als 60 Jahre später sind von der damaligen Besetzung nur noch Keith Richards und Mick Jagger übrig. Ronnie Wood stieß erst in den 70er Jahren zu den Stones.
Einzelkind »Keef« wurde am 18. Dezember 1943 in Dartford in der Grafschaft Kent geboren. Die Leidenschaft für die Musik erbte er von seinem Großvater mütterlicherseits. Gus Dupree war Jazz-Musiker. Er nahm seinen Enkel regelmäßig in Musikgeschäfte mit, kaufte ihm schließlich seine erste Gitarre und brachte ihm Akkorde bei.
In der Schule war Richards heutiger kongenialer Partner Mick Jagger einer seiner Mitschüler. Erst eine spätere Zufallsbegegnung, bei der sich die beiden angeregt über die Musik von Muddy Waters und Chuck Berry unterhielten, machte sie zu Freunden, die bald darauf Bandkollegen wurden. »Er war fürchterlich schüchtern«, erinnert sich Jagger in der Doku-Reihe »My Life As A Rolling Stone«. »Man merkt in Interviews, dass er von Natur aus introvertiert ist.«
Richards träumte als Kind davon, Rockstar zu werden
Entsprechend wurde Richards vom riesigen Erfolg der Stones vollkommen überwältigt, obwohl er als Kind davon geträumt hatte, ein Rockstar zu werden. »Du bist 18, spielst den Blues, und nach wenigen Monaten versuchen die Frauen dir die Kleider vom Leib zu reißen und springen vom Balkon«, erzählt er in der Stones-Doku. »Das ist nicht unbedingt das, was ich mir vorgestellt hatte. Es war das absolute Chaos.«
An den Verlust der Privatsphäre musste sich der Musiker erstmal gewöhnen. »Das kommt eben mit dem Ruhm und diesem ganzen anderen Mist, da prasselt einiges auf einen ein.« Es hätte ihm vollkommen gereicht, einfach nur anonym Musik aufzunehmen. »Aber das war natürlich nicht möglich«, sagt Richards. »Man muss rausgehen und sich präsentieren. Das habe ich gelernt, und es hat mir sehr gefallen. Aber ich glaube, mein Zufluchtsort war Heroin, es waren Drogen.«
Erst als er 1977 in Kanada wegen Heroinbesitzes verhaftet wurde und eine Haftstrafe von bis zu 20 Jahren drohte, kam ihm die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen konnte - allerdings nicht etwa wegen seiner eigenen Gesundheit. »In Kanada wurde mir bewusst, dass ich die Band in Gefahr brachte«, erzählt er. Sein Gedanke: »Wenn ich hier rauskomme und keinen kalten Entzug im Knast machen muss, dann werde ich clean werden.« Die Musik hatte für ihn stets Priorität.
Mittlerweile lebt er einigermaßen gesund
Im Vergleich zu früher lebt Richards mittlerweile einigermaßen gesund. »Ich habe 2019 aufgehört zu rauchen und seitdem keine Zigarette angefasst«, sagte er dem »Telegraph«. »Heroin habe ich 1978 aufgegeben, Kokain 2006. Aber ich gönne mir immer noch gern gelegentlich einen Drink. Abgesehen davon versuche ich es zu genießen, nüchtern zu sein. Das ist eine einzigartige Erfahrung für mich.«
Weil er als Gitarrist eine Ikone ist, wird gelegentlich übersehen, dass er auch ein genialer Songwriter ist. Mit Mick Jagger schuf er unzählige Rockklassiker wie »Gimme Shelter«, »Jumpin' Jack Flash« oder »Start Me Up«, die man sofort erkennt. Sein Rezept: »Ich mag einfach kernige Intros, gerade im Rock 'n' Roll. Wenn einen das Intro packt, dann bleibt man noch etwas länger dabei, und wenn einen das Riff nach dem Intro auch packt, dann hast du die Leute im Prinzip.«
Gelegentlich tritt er auch gesanglich in Erscheinung. Zwei Soloalben hat er mit seiner Begleitband X-Pensive Winos aufgenommen, auf denen er den Leadgesang übernimmt. Als Schuljunge sang er im Chor und trat sogar einmal in der Westminster Abbey vor Königin Elizabeth II. auf. »Ich genieße das Singen sehr«, sagt er heute. »Es macht Spaß, und je mehr ich das mache, desto mehr gefällt es mir.«
Songs schreiben bis zum Umfallen
Bei den Stones hingegen steht er nur gelegentlich am Mikrofon. »Ich habe schon einen unglaublichen Sänger, und ich muss dafür sorgen, dass er Arbeit hat«, scherzt Richards. »Es macht mir wirklich Spaß zu singen, wenn das Lied passt. Ich mache das so oft wie möglich. Aber mein Hauptjob ist es wirklich und war es schon immer, dass ich Songs schreibe, die Mick Jagger singt. Das ist mein Job.« Ein Job, den er nach eigener Aussage bis zum Umfallen machen will.
Die Frage, ob die aktuelle LP die letzte und die kommende Tournee der Abschied von der Bühne sind, wird seit Jahrzehnten gestellt. Aber auch wenn es oft behauptet wird - die Rolling Stones haben bislang nie ihren Abschied angekündigt und werden es wohl auch niemals tun. »Natürlich wird es zu Ende gehen - irgendwann«, sagte Keith Richards kürzlich dem Radiosender BBC 4. »Alle sind in guter Verfassung. Es gibt keinen besonderen Zeitdruck.«
© dpa-infocom, dpa:231212-99-265257/5