Einige Filmschaffende sollten Dankesreden parat haben. Cillian Murphy (47) etwa gilt als sicherer Gewinner bei der 96. Oscar-Verleihung am 10. März. Mit seiner Rolle als Physiker Robert Oppenheimer, dem Mit-Erfinder der Atombombe, hat der irische Star in der laufenden Preissaison schon zig Trophäen geholt. Das Historiendrama »Oppenheimer« führt mit 13 Nominierungen das Rennen um den wichtigsten Filmpreis der Welt an. Regisseur Christopher Nolan und Hauptdarsteller Murphy könnten ihren ersten Oscar überhaupt in Empfang nehmen.
Oscars »Made in Germany«
Auch für Sandra Hüller, Wim Wenders und Ilker Çatak wäre es das erste Oscar-Gold. Die aus Thüringen stammende und in Leipzig lebende Hüller hat mit ihrer Hauptrolle in dem Justizdrama »Anatomie eines Falls« schon ein Stück Oscar-Geschichte geschrieben. Die 45-Jährige ist die erste deutsche Schauspielerin mit einer Nominierung als »Beste Hauptdarstellerin« seit den 1930er-Jahren. Damals gewann die in Düsseldorf geborene und in Hollywood lebende Luise Rainer für ihre Rollen in »Der große Ziegfeld« (1937) und »Die gute Erde« (1938) zwei Oscars in Folge.
Wim Wenders war bereits dreimal für einen Dokumentarfilm-Oscar nominiert, aber immer leer ausgegangen. Nun könnte die deutsche Regie-Legende mit 78 Jahren den längst überfälligen Oscar für seinen poetischen Film »Perfect Days« erhalten. Die Geschichte eines Mannes namens Hirayama (Koji Yakusho), der in Tokio als Toiletten-Reiniger arbeitet, gerne liest und Rockmusik hört, ist für Japan in der Sparte »Internationaler Film« im Rennen.
Den Oscar in dieser Kategorie könnte mit dem Gesellschaftsdrama »Das Lehrerzimmer« aber auch nach Deutschland gehen. Der in Berlin geborene und teilweise in der Türkei aufgewachsene Regisseur Ilker Çatak (40) macht darin eine Schule zum Schauplatz eines vielschichtigen Konflikts. Im Zentrum steht eine junge Lehrerin (Leonie Benesch), die eine Diebstahlserie aufklären will. Der packende Film setzt sich mit Vorurteilen, Debattenkultur und dem Druck auf Lehrer auseinander.
Ein Jahr nach dem sensationellen Oscar-Erfolg des Antikriegsepos »Im Westen nichts Neues« mit vier Trophäen, darunter auch dem Auslands-Oscar, zeigen deutsche Filmschaffende in Hollywood wieder eine starke Präsenz.
Hüller im Rampenlicht
Hüller brilliert in »Anatomie eines Falls« der französischen Regisseurin Justine Triet als erfolgreiche Schriftstellerin, die nach dem Tod ihres Mannes unter Mordverdacht gerät und sich vor Gericht verteidigen muss. Oscar-Prognosen räumen allerdings ihren US-Kolleginnen Lily Gladstone (»Killers of the Flower Moon«) und Emma Stone (»Poor Things«) die besseren Chancen ein. Gladstone wäre die erste indigene Hauptdarstellerin mit einem Oscar.
Doch keine andere deutsche Schauspielerin stand in letzter Zeit so im internationalen Rampenlicht wie Hüller. Das war kürzlich auch bei der Vergabe der französischen César-Trophäen der Fall, als die Deutsche sichtlich überrascht den Preis als beste Hauptdarstellerin holte. Sie hätte nicht damit gerechnet, schon gar nicht als Deutsche. »Am Set waren Sprache und Herkunft kein Hindernis, sondern eine Möglichkeit«, sagte sie auf Französisch.
US-Branchenblätter überschlagen sich mit Lob für Hüller. Das renommierte Magazin »The New Yorker« widmete ihr ein 7-seitiges Porträt. Darin wird auch ihre mutige Rolle in »The Zone of Interest« von dem britischen Regisseur Jonathan Glazer herausgestellt. Hüller spielt die Ehefrau des KZ-Kommandanten Rudolf Höß (Christian Friedel), der mit seiner Familie direkt am Konzentrationslager Auschwitz ein großes Haus bewohnt. Beide Hüller-Filme sind jeweils für fünf Oscars nominiert, darunter auch in der Top-Sparte »Bester Film«.
»Ich freue mich einfach, dass beide Filme so große Anerkennung bekommen haben und unser aller Arbeit so gewürdigt wird«, sagte Hüller nach Bekanntgabe der Nominierungen im dpa-Gespräch. »Das ist einfach ein sehr schönes Gefühl, dass dieser Raum so groß wird, in dem das sichtbar ist. Das ist ganz toll.« Doch damit kommen auch Ruhm und ein verstärktes Interesse an ihrer Person, was die Theater- und Filmschauspielerin kritisch sieht. »Die Leute glauben, dass man jedermann gehört oder jetzt eine Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit hat«, sagte sie kürzlich der »New York Times«.
Rekorde und Seltenheiten
Im Rampenlicht steht auch Justine Triet (45) als Regisseurin von »Anatomie eines Falls« - sie ist erst die neunte Frau überhaupt, die in der langen Oscar-Geschichte in der Sparte »Beste Regie« nominiert ist. Dort trifft sie auf Christopher Nolan (»Oppenheimer«), den Griechen Giorgos Lanthimos (»Poor Things«), den Briten Jonathan Glazer (»The Zone of Interest«) und den Hollywood-Veteranen Martin Scorsese (»Killers of the Flower Moon«), mit 81 Jahren der älteste Regiepreis-Anwärter überhaupt, wie die Filmakademie mitteilte.
»Oppenheimer« geht mit 13 Nominierungen ins Oscar-Rennen - und hat damit Chancen, einen Rekord aufzustellen. Bislang konnten drei Filme jeweils 11 Oscars gewinnen: »Ben Hur«, »Titanic« und »Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs«. Sollte »Oppenheimer« nun mindestens 12 Nominierungen in Auszeichnungen umwandeln können, wäre das der neue Spitzenplatz.
Die zweitmeisten Gewinn-Chancen (11) hat die skurrile Frankenstein-Adaption »Poor Things« - mit einer furchtlosen Emma Stone. Martin Scorseses Drama »Killers of the Flower Moon« ist zehnfach nominiert.
Mit 92 Jahren und seiner 54. Oscar-Nominierung für die Musik von »Indiana Jones und das Rad des Schicksals« ist Komponist John Williams der lebende Filmschaffende mit den meisten Oscar-Nominierungen. Den Hollywood-Rekord hält Walt Disney (1901-1966) mit 59 Oscar-Chancen. Williams nahm bereits fünf Goldjungen in Empfang, den letzten vor genau 30 Jahren für »Schindlers Liste«.
Stars bei der Gala
Die Academy stimmt bereits mit großen Namen auf die Gala ein: Gastgeber ist zum vierten Mal der US-Komiker Jimmy Kimmel. Promis wie Al Pacino, Nicolas Cage, Michael Keaton, Jennifer Lawrence, Zendaya und Jamie Lee Curtis helfen als »Presenter« beim Preise verteilen mit. Als Performer wurden unter anderem Billie Eilish und Finneas O’Connell und Hollywood-Star Ryan Gosling mit ihren nominierten »Barbie«-Songs »What Was I Made For?« und »I'm Just Ken« angekündigt. Ein Oscar für eines der beiden Lieder könnte das »Barbie«-Trostpflaster sein. Der größte Kassenhit von 2023 geht zwar mit acht Nominierungen ins Rennen, auch für Nebendarsteller Gosling und als bester Film, aber ohne Hauptdarstellerin Margot Robbie oder Regisseurin Greta Gerwig. Für sie ist der rosa Oscar-Traum bereits geplatzt.
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