Auch mit seiner aufbrausenden Wut als Graf von Monte Cristo hat es Gérard Depardieu in den Kino-Olymp geschafft. Oder zum »Monstre sacré« (»heiliges Monster«), wie in Frankreich gefeierte und verehrte Kultfiguren genannt werden. Jetzt steht der Schauspieler, der am 27. Dezember 75 Jahre alt wird, im Mittelpunkt einer Geschichte, die zum Titel haben könnte: Der Fall einer Ikone.
Im Zusammenhang mit Vergewaltigungsvorwürfen gegen den französischen Schauspielstar Gérard Depardieu haben mehrere Dutzend Künstler ihre Unterstützung bekundet. In einem offenen Brief in der Tageszeitung »Le Figaro« beklagten sie »Lynchjustiz« und eine »Missachtung der Unschuldsvermutung«. Zu den Unterzeichnern gehören die Schauspielerin Charlotte Rampling und die Musikerin und ehemalige französische First Lady, Carla Bruni.
Die Künstler kritisierten die Flut des Hasses, die sich über den preisgekrönten Schauspieler ergossen habe. »Wenn man Gérard Depardieu auf diese Weise angreift, greift man die Kunst an«, heißt es in dem Brief. Frankreich schulde ihm sehr viel.
Wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung wird gegen Depardieu bereits seit 2020 ermittelt. Seit Mitte September soll eine weitere Klage gegen ihn wegen sexuellen Missbrauchs laufen. Der Vorfall soll sich 2007 ereignet haben.
Mehrere Frauen werfen dem bekannten Darsteller, der in über 200 Filmen spielte, unter anderem sexuelle Gewalt vor. Depardieu bestreitet die Vorwürfe vollständig. In einem Anfang Dezember ausgestrahlten Dokumentarfilm über seine Reise nach Nordkorea im Jahr 2018 gibt Depardieu immer wieder frauenfeindliche und vulgäre Kommentare von sich, wofür er scharfe Kritik erntete.
Depardieu bestreitet die Vorwürfe wegen sexueller Gewalt
Seit Jahren schon melden sich immer wieder Frauen zu Wort, die Depardieu der sexuellen Gewalt beschuldigen. 2018 hatte ihn die Schauspielerin Charlotte Arnould verklagt. Seit 2020 wird in diesem Fall ermittelt. An Arnould soll er sich zweimal vergangen haben.
Depardieu bestreitet die Vorwürfe vollständig. In einem in der Zeitung »Le Figaro« Anfang Oktober veröffentlichten Brief bezeichnet er sich als Opfer einer »medialen Lynchjustiz«. Darin schrieb er, dass Arnould freiwillig mit ihm auf sein Zimmer gegangen sei.
Ex-Frau hält zu Depardieu
Zu den Frauen, die ihn bedingungslos unterstützen, gehören die Regisseurin Josée Dayan und seine Ex-Frau Elisabeth Depardieu, die keine Sekunde lang an die Geschichten glaubt, wie sie in der Fernsehreportage sagte.
Die Fernsehreportage, die für Entsetzen sorgte, trägt den Titel »La chute de l’ogre« - »Der Fall des Vielfraßes«. Depardieu gilt als unersättlich, vulgär und provokativ. Seine Maßlosigkeit und sein impulsives Wesen sind bekannt und gefürchtet. Schwierige Themen gibt es genügend: Alkoholprobleme, Trunkenheit am Steuer, Steuerflucht, Pinkel-Affäre in einem Flugzeug, seine Liebe zu Russland, dessen Machthaber Wladimir Putin er seinen Freund nennt.
Danton, Balzac oder Obelix
Mit seiner urgewaltigen Energie und explosiven Emotionalität hat Depardieu fast alles an Rollen verkörpert, was das Kino bieten kann: Draufgänger, Zuhälter, Dichter, Rebell, Vagabund, Hedonist. Dabei sprengt er mit seiner Präsenz den Bildschirm - ob als Danton, Balzac oder Obelix.
Viele seiner Filme sind Klassiker des Kinos: »Die Ausgebufften«, »Cyrano von Bergerac«, »Die letzte Metro« und »Green Card - Schein-Ehe mit Hindernissen«. Andere - zum Beispiel »Disco« oder »Bouquet final« - sind vergessen. In seiner über 40-jährigen Leinwand-Karriere hat er in mehr als 200 Filmen gespielt. Es gab Jahre, da trat er in mindestens vier Filmen auf.
Depardieu hat in mehreren Büchern über sein Leben geschrieben, vor allem über seine Kindheit und Jugend in Châteauroux in Zentralfrankreich. Dabei hat er nichts beschönigt. Demnach war sein Vater Alkoholiker und konnte kaum schreiben. Seine Mutter musste für die sechs Kinder sorgen. Er selbst litt an Sprachstörungen. Statt zur Schule zu gehen, klaute er.
Projekte mit Depardieu werden auf Eis gelegt
Seit den sich häufenden Anschuldigungen wegen sexueller Gewalt, wenden sich immer mehr Menschen von ihm ab. Zuletzt war er in der Komödie »Umami« zu sehen, in der er im Mai 2023 einen Spitzenkoch spielte. Für den Animationsfilm »La plus précieuse des marchandises« von Michel Hazanavicius sollte Depardieu seine Stimme leihen. Im gegenseitigen Einvernehmen hätten jedoch beide auf die Zusammenarbeit verzichtet, wie Depardieus Agent, Bertrand de Labbey, der Zeitung »Liberation« bestätigte.
Auch France Télévisions, Frankreichs öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt, nimmt Abstand zu ihm. Sein Kinodirektor Manuel Alduy erklärte, dass man Sendepläne mit Depardieu überprüfen und erstmal alle Projekte mit ihm auf Eis legen werde.
Das belgische Pendant RTBF hat eine ähnliche Entscheidung getroffen. Man werde Filme mit Depardieu in der Titelrolle vorläufig zurückziehen, wie die Fernsehanstalt mitteilte. Sendungen, bei denen sein Erscheinungsbild eher »reduziert« sei, würden jedoch weiter ausgestrahlt. Die (Selbst)Demontage einer Kultfigur ist in vollem Gange.
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