Offiziell wurde das Band-Jubiläum schon im April begangen - richtig feiern wollen die Toten Hosen aber erst ab Ende Mai mit einem Doppelalbum (»Alles aus Liebe«, ab 27.5.) und einer Tournee (ab 7.6.).
Die Deutsche Presse-Agentur in Berlin hat mit Sänger Campino (59) über alte und neue Hosen-Songs, die 40-jährige Karriere seiner Band, politisch engagierte Texte in der Rockmusik und aktuelle gesellschaftlich-politische Themen gesprochen.
Frage: Das neue Album der Toten Hosen, »Alles aus Liebe«, besteht aus 43 Songs, davon sieben neue Stücke und sechs Neufassungen oder Remixes. Also viel Gegenwert für Fans, weil Sie die nicht nur mit »ollen Kamellen« der vergangenen 40 Jahre abspeisen wollten?
Antwort: »Es ist eine Zusammenstellung von Liedern, die für uns wegweisend waren. Schlüsselmomente, die nicht nur am kommerziellen Erfolg gemessen werden können. Da sind auch kleine Perlen dabei, die uns als Band wichtig sind, aber natürlich auch die Stücke, die die Menschen so lieben. Das haben wir mit neuen Liedern angereichert. Wir hätten möglicherweise noch ein, zwei weitere Lieder am Start gehabt, wollten aber keine gefühlten B-Seiten auf das Album packen, sondern nur ernstzunehmende neue Stücke wie 'Chaot (in mir)'.«
Frage: Das neue Stück »Alle sagen das« zeigt die Hosen als Band, die bissig, aber auch mit Witz und Augenzwinkern zur Politik Stellung nehmen kann. Wie kam es zu diesem Song?
Antwort: »Es gab diese schöne, aggressive Melodie mit hohem Tempo, da hat sich die Thematik einfach angeboten. Wir haben die Unterstellung mancher Kritiker - «Die Hosen sind kein Punkrock mehr» - angenommen und gedreht und sie mit der aktuellen Fake-News-Debatte verbunden. Jeder kann doch inzwischen irgendeine Behauptung aufstellen und findet gleichzeitig im Internet eine dubiose Quelle, die das Angebliche bestätigt. Am Ende bleibt nur eine Riesenschreierei übrig - auch das war ein Hintergedanke dieses Liedes.«
Frage: Wie notwendig sind für Sie politische Texte in der Pop- und Rockmusik, was können sie leisten? Etwa »Willkommen in Deutschland«, den Song haben Sie jetzt zum Anlass für eine Neuaufnahme genommen - es geht um Migrantenfeindlichkeit und demokratische Verantwortung jedes Einzelnen.
Antwort: »Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn ein Künstler sagt: Politik ist für mich Privatsache, ich sehe meinen künstlerischen Auftrag nicht darin. Das ist völlig in Ordnung. Ich komme aus einer anderen Schule: Was für ein Lied höre ich da gerade, wer singt es, was erzählt es mir über das Leben? Insofern war der Anspruch der Toten Hosen schon immer eng mit einem politischen Denken verzahnt. Aber so etwas wie 'Haut die Bullen platt wie Stullen' im ganz frühen Punk - das war nie unser Thema. Erst mit dem Wegsterben der ersten Generation von Punkbands, als sich kaum noch jemand aus der Szene politisch geäußert hat, haben wir uns entschlossen, unsere harte Musik mit politischen Botschaften zu verbinden und diese neu entstandene Lücke zu schließen - auch um das Ganze nicht dem rechten Lager zu überlassen. So sind wir immer klarer in politische Äußerungen gegangen, wenn wir dachten, dass es an der Zeit ist.«
Frage: Die politische Verunsicherung ist ja derzeit riesig, gerade angesichts des Ukraine-Kriegs, weswegen auch Grüne jetzt für Waffenlieferungen sind. Wo verorten Sie sich da?
Antwort: »Ich fühle immer noch, dass meine politische Heimat links ist. Letztlich konnte ich mich immer zu den Grünen durchringen - ich kann mich an keine Wahl erinnern, bei der ich was anderes gewählt hätte. Das heißt noch lange nicht, dass ich jeden Standpunkt der Partei gut finde. Es herrscht ja auch immer eine gewisse Dynamik in der Politik, sodass man nie sagen sollte: Dies ist und bleibt meine Einstellung, ich werde sie nicht ändern. Nichts sollte in Stein gemeißelt sein. Gerade fühlt es sich an, als ob die Welt über uns zusammenstürzt - da muss man sich und seine Positionen natürlich auch hinterfragen und womöglich seinen Glauben justieren. Ich halte es für falsch, jemanden deswegen gleich zum Wendehals zu erklären.«
Frage: Wie äußert sich dies bei Ihnen konkret?
Antwort: »Wir alle dürfen uns Verunsicherung erlauben. Selbst die gescheitesten Leute können uns derzeit kein Rezept geben, wie es weitergeht. Ich persönlich habe den Kriegsdienst 1983 verweigert. Das würde ich heute, unter diesen Umständen, wenn ich jetzt meine Einberufung bekäme, wahrscheinlich nicht mehr tun. Gerade lernen wir doch eindrücklich, warum eine Identität als Europäer so wichtig ist und warum wir eine Wertegemeinschaft sein müssen. Das hat dann leider auch etwas mit Aufrüstung zu tun. Wir können es uns nicht leisten, völlig wehrlos gegenüber Despoten zu sein, wie Putin einer ist, der alte Machtfantasien auslebt. So einen Mann kann man nur stoppen, wenn er auch Respekt vor der Gegenseite hat. Zugleich ist es eine dramatische Tragödie, denn alle diese Gelder, die wir in Zukunft für Rüstung ausgeben werden, könnten wir verdammt nochmal für unser Sozialsystem, Kitas, Schulen, öffentliche Infrastruktur und nicht zuletzt den Kampf gegen den Klimawandel gebrauchen. Wir kommen aus der Sache nicht raus, in dem wir uns der Realität verschließen und gar nichts tun. Trotz der gesellschaftlich angespannten Lage ist es aber wichtig, dass wir Menschen uns selbst auch eine mentale Gesundheit erhalten, Glücksmomente finden. Und ich hoffe, dass wir als Band einen Beitrag dazu liefern können, mit unserer Musik solche Momente zu schaffen.«
Frage: Ansonsten zeigen Sie sich als zutiefst dankbarer Künstler. Wie viel Glück empfinden Sie über diese Band und über Ihre gemeinsame Karriere?
Antwort: »Es ist für uns ein Riesengeschenk. Wir verstehen das Glück unseres Werdegangs mit jedem Tag mehr. Zum Beispiel die Tournee, die wir jetzt geplant haben. So etwas muss mindestens ein Jahr im Vorfeld organisiert werden. Aber wer wusste letztes Jahr schon, wie sich die Corona-Situation entwickelt? Man stochert da im Nebel und steht ziemlich alleine da. Es gibt auch keine Versicherung mehr, die mögliche Schäden oder Konzertausfälle abdeckt. Hinzu kommt noch dieser schreckliche Krieg, von dem niemand weiß, wie er sich entwickeln wird. Mit all diesen Fragen geht die gesamte Musikbranche in den Sommer und alle werden drei Kreuze machen, wenn die Saison ohne größere Katastrophen verlaufen ist.«
Frage: Seit 1999 »ist unsere Mannschaftsaufstellung auf der Bühne immer dieselbe geblieben, und ich könnte mir auch keine andere vorstellen«, schreiben Sie in Ihrem Album-»Vorwort«. Heißt das: Die Hosen wird es nur noch so lange geben, wie die aktuelle Band besteht?
Antwort: "Ich will mir nichts anderes vorstellen. Wir sind ja kein Fußballteam, das man ständig austauschen kann. Es wird mit den Toten Hosen ja nicht ewig weitergehen - insofern ist das ein schöner Gedanke, dass wir das letzte Line-up sind. Ich bin derzeit sehr glücklich, die Stimmung zwischen uns ist gut, wir treffen uns regelmäßig zum Proben und werden auf jeden Fall bis zum Herbst gut beieinander sein. Was das Leben dann für uns bereit hält, weiß man nicht. Also wollen wir lieber von Tag zu Tag denken, von Spiel zu Spiel, wenn man so möchte, und dann schauen, was am Ende dabei rauskommt.
ZUR PERSON: Andreas Frege (59), Künstlername Campino, ist seit 40 Jahren Sänger der Toten Hosen, einer der populärsten deutschen Rockbands. Der gebürtige Düsseldorfer ist außerdem Autor (»Hope Street: Wie ich einmal englischer Meister wurde«) und arbeitete als Schauspieler. Am 22. Juni wird der deutsch-britische Musiker und glühende Fan des FC Liverpool 60 Jahre alt.
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