KÖLN. Unbändige Lebensfreude steht im Gesicht des kleinen Jungen geschrieben. Vor einer dunklen Bergkette lässt er einen selbst gebastelten Drachen steigen - das war unter den Taliban verboten.
Das Foto aus Afghanistan ist charakteristisch für das Lebenswerk der Pulitzer-Preisträgerin Anja Niedringhaus (1965-2014). Seine Botschaft: Lasst ihn spielen!
Es ist nicht in erster Linie der Krieg, den Anja Niedringhaus fotografiert hat. Es sind die Menschen im Krieg. Das zeigt die große Ausstellung »Anja Niedringhaus - Bilderkriegerin«, die vom 29. März bis zum 30. Juni im Käthe-Kollwitz-Museum in Köln zu sehen ist.
Anja Niedringhaus stammte aus Höxter in Westfalen. Schon früh weiß sie, dass sie fotografieren will. 1990 bekommt sie eine Festanstellung bei der European Pressphoto Agency (EPA). Als ein paar Jahre später mitten in Europa Krieg ausbricht, will sie dorthin. In die belagerte Stadt Sarajevo. Unbedingt. Eines Tages - so erzählt es Ausstellungskuratorin Sonya Winterberg - läuft ein kleines Mädchen mit einem Schlitten an ihr vorbei. Niedringhaus wundert sich noch, dass das weiterhin möglich sein soll in der einstigen Olympiastadt. Minuten später liegt das Kind tot auf dem Boden, seine Mutter beugt sich darüber.
»Wenn die das Foto sehen, dann hört das morgen auf, dann ist Sarajevo befreit.« Dieser naive Glaube sei ihr mit den Jahren verloren gegangen, sagt sie später in einem Fernsehinterview. Aber was ihr nie abhanden gekommen sei, sei die Überzeugung: »Wir haben eine Aufgabe als Journalist, wir haben eine gesellschaftliche Pflicht.«
2004 erhält Anja Niedringhaus als erste deutsche Fotografin den Pulitzerpreis für das Bild eines amerikanischen Soldaten während der blutigen Schlacht um Falludscha im Irak. Man sieht den Mann nur von hinten - er hat »GI Joe«, eine Spielzeugfigur, auf seinem Rücken. Als Glücksbringer. Die Soldaten erscheinen bei Niedringhaus selbst als Opfer des Krieges. Es sind blutjunge Männer, die aus der amerikanischen Provinz in eine fremde, brennende Welt katapultiert worden sind.
Unter Kollegen - Kolleginnen gibt es so gut wie nicht - ist Anja Niedringhaus bekannt für ihr ansteckendes, lautes Lachen. In ruhigen Momenten erzählt sie von zuhause. Sie lebt bei der Familie ihrer Schwester auf einem Bauernhof. Ihr Rückzugsort. Ihr zweiter Ausgleich ist die Sportfotografie, in Wimbledon, bei Olympia. Eine völlig andere Welt sei das gewesen, sagt Kuratorin Winterberg.
Natürlich ist die Arbeit lebensgefährlich. Im Irak kommen 60 Prozent der US-Einheit, die sie begleitet, ums Leben, einer direkt vor ihr. 2010 läuft sie in Afghanistan mit Soldaten durch eine Gasse, der vorderste tritt mit dem Fuß nach einem Huhn. Sie drückt auf den Auslöser. Sekunden später schlägt eine Granate ein - sie wird durch Splitter schwer verletzt. Das Bild hängt jetzt in der Ausstellung.
Aber sie muss wieder zurück. In die wilde Schönheit Afghanistans hat sie sich regelrecht verliebt, das dokumentieren ihre Bilder, die mitunter wie gemalt wirken. Noch mehr beeindrucken sie die Menschen: »Ich erlebe Wesenszüge, die bei uns fast nicht mehr existieren - Dinge zu teilen etwa, oder grenzenlose Offenheit«, schwärmt sie in einem Interview. »Wie oft habe ich schon bei Familien geschlafen - die kennen mich doch gar nicht.«
4. April 2014, die afghanische Unruheprovinz Chost. Anja Niedringhaus fotografiert Polizisten, die einen Konvoi bewachen. Sie lächeln, alles scheint sicher. Danach setzt sie sich in ein Auto zu ihrer schreibenden Reporterkollegin und Freundin Kathy Gannon von der Nachrichtenagentur AP. Plötzlich tritt ein Polizist auf sie zu und schießt mit einer Kalaschnikow. Er feuert das ganze Magazin leer. Kathy Gannon überlebt, Anja Niedringhaus ist sofort tot. Auf dem Rücksitz des Wagens liegt ihre Kamera mit Einschusslöchern. Auch sie ist jetzt Teil der Ausstellung.
Kathy Gannon ist auch danach wieder nach Afghanistan zurückgekehrt, um von dort zu berichten. »In schwachen Momenten denke ich: Warum sie, warum nicht ich?«, hat sie einmal in einem Fernsehinterview gesagt. »Aber ehrlich gesagt: Ich habe nie gedacht, wir hätten da nicht hinfahren sollen. Denn Anja hätte es gewollt.« (dpa)