Logo
Aktuell Kultur

Antisemitismus in der Kultur - Was kann man tun?

Die Israelkritik-Debatte der Berlinale erinnert an den Antisemitismus-Eklat der documenta. Nun beschäftigt das Thema die Biennale in Venedig. Ein Berater hat Vorschläge, wie man damit umgehen kann.

Claudia Roth
Claudia Roth, die Staatsministerin für Kultur und Medien, am Eröffnungsabend der Berlinale. Foto: Monika Skolimowska/DPA
Claudia Roth, die Staatsministerin für Kultur und Medien, am Eröffnungsabend der Berlinale.
Foto: Monika Skolimowska/DPA

Es ist nicht das erste Mal, dass eine große deutsche Kulturinstitution wegen ihres Umgangs mit extremen politischen Meinungen in die Kritik gerät. Der Eklat um israelfeindliche Äußerungen von Filmschaffenden bei der Berlinale weckt Erinnerungen an den Umgang der documenta mit antisemitischen Kunstwerken - auch wenn die Fälle nicht direkt vergleichbar sind. Wie lassen sich solche Vorfälle vermeiden? Und: Geht das überhaupt?

Die Diskussion um den Umgang kultureller Institutionen mit israelkritischen oder -feindlichen Meinungen geht jedenfalls weiter - nicht nur in Deutschland. Am Dienstag wurde bekannt, dass Tausende Künstler den Ausschluss Israels von der Kunstbiennale Venedig fordern.

Benjamin Andrae ist Geschäftsführer der Managementberatung Metrum, die für die documenta den Eklat um die antisemitischen Kunstwerke aufgearbeitet hat. Er sagt: »Ganz vermeiden lassen sich solche Vorfälle nicht. Und ganz ehrlich, ich glaube, das will ja auch keiner. Aber was wir als Organisationsberater sagen können: Man kann eine Haltung haben, damit gut umzugehen, als Organisation, als Geldgeber.«

Kein Widerspruch bei israelfeindlichen Aussagen

Bei der Berlinale-Preisverleihung am Samstagabend hatten sich Kulturschaffende auf der Bühne einseitig gegen Israel positioniert, einzelne Filmemacher sprachen von »Apartheid« oder »Genozid«. Auf der Bühne widersprach niemand, von vielen Leuten im Publikum gab es Applaus. Mit Verzögerung hagelte es Kritik - sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) meldete sich am Montag kritisch zu Wort. Die Vorfälle sollen aufgearbeitet werden, hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) am Montag angekündigt. Sie saß selbst, wie auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), im Publikum.

Die Berlinale positionierte sich am Tag nach der Preisverleihung. Äußerungen von Preisträgerinnen und Preisträgern seien unabhängige individuelle Meinungen, hieß es. »Sie geben in keiner Form die Haltung des Festivals wieder.« Eine Sprecherin der Berlinale verwies am Dienstag auf einen allgemeinen Verhaltenskodex des Festivals zum Thema Antidiskriminierung.

Es müssten auch Meinungen und Statements ausgehalten werden, die den eigenen Meinungen widersprächen - solange sie nicht Menschen oder Menschengruppen rassistisch oder anderweitig diskriminierten oder gesetzliche Grenzen überschritten, sagte die Co-Leiterin der Berlinale, Mariette Rissenbeek, laut einer Mitteilung. »Es wäre aus unserer Sicht inhaltlich angemessen gewesen, wenn sich auch die Preisträger*innen und Gäste auf der Preisverleihung zu dieser Frage differenzierter geäußert hätten.«

Auch Künstler können zur Positionierung verpflichtet werden

Wie lassen sich solche Eklats möglichst vermeiden? Andrae hat Ideen. Wichtig sei zum einen ein, »frühzeitig eine Verpflichtung zum Dialog einzubauen, ruhig auch in Verträge«. Gemeint ist, dass Geldgeber oder kaufmännische Geschäftsführung die Festivalleitungen dazu verpflichten, über ethische Fragen zu sprechen und sich dazu zu erklären. So lasse sich festhalten, was die Haltungen zum Thema Diskriminierungsbekämpfung sind und wie gewährleistet werden soll, dass gleichzeitig Kunstfreiheit und Menschenwürde gewahrt bleiben. »Dazu kann man auch Künstler verpflichten, weil das die Kunstfreiheit nicht tangiert.«

So könnten Überraschungen vermieden werden. »Weil wenn man in so einem Dialog dann schon merkt, die andere Seite hat einfach sehr, sehr starke Ansichten über irgendwas, was bei uns vielleicht als Diskriminierung wahrgenommen werden würde«, sagte Andrae.

Distanzieren, aber nicht Zensieren 

Ein zweiter sinnvoller Schritt ist dann nach Ansicht von Andrae, »dass man sehr früh Mechanismen etabliert, sich davon zu distanzieren, ohne es zu zensieren«. Wenn man durch den Dialog schon wisse, was einen erwartet, könne man sich früh darauf einstellen. Und dann etwa auf der Bühne direkt reagieren, indem man zum Beispiel sagt: »Wir als Festival stehen gegen Diskriminierung jeglicher Art und finden auch diese Äußerungen aus den und den Gründen grundfalsch und nicht mit der Menschenwürde vereinbar.« Berlinale-Geschäftsführerin Rissenbeek hatte zwar bei der Eröffnung und der Abschlussgala das von der islamistischen Hamas begangene Massaker vom 7. Oktober und die Lage der israelischen Geiseln angesprochen. Auf die kritischen Aussagen der Filmschaffenden reagierte sie aber nicht direkt.

»Ich denke, entscheidend ist nicht das, was man im Nachhinein macht, sondern das, was man im Vorhinein macht«, sagte Andrae. »Damit man nach einem problematischen Ereignis auch der Öffentlichkeit glaubhaft machen kann, dass man frühzeitig die im Rahmen der Meinungs- und Kunstfreiheit größtmögliche Sorge getragen hat, dass diskriminierende Ansichten in öffentlich geförderten Kulturinstitutionen nicht stattfinden oder denen mindestens sehr effektiv widersprochen wird.«

Roth sagte am Montag zum einen, dass es vorab Gespräche gegeben habe. Sie habe die Berlinale im Vorfeld darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, dass sich die Berlinale auf diese schwierige Situation vorbereite. Das Festival habe darauf reagiert. Während der Berlinale gab es etwa ein »TinyHouse-Projekt«, das Besucher dazu einlud, über den Nahostkonflikt und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft ins Gespräch zu kommen.

Was an den Begriffen »Apartheid« und »Genozid« problematisch ist

Was ist das Problematische an den Begriffen »Apartheid« und »Genozid«, die bei der Gala gefallen sind? Nicht jede israelfeindliche oder antisemitische Aussage ist strafrechtlich relevant. Trotzdem können solche Aussagen für Betroffene verletzend sein. Die gemeinnützige Amadeu Antonio Stiftung weist in ihrer Übersicht über antisemitische Codes darauf hin, dass im Begriff Apartheid, der einst die rassistische Trennung von Bevölkerungsgruppen in Südafrika beschrieb, der Vorwurf stecke: Israel sei per se ein rassistisches Konstrukt. Dies gilt nach der in der EU und in Deutschland anerkannten Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken als Form des Antisemitismus. Daher sieht es etwa die EU-Kommission als unangebracht an, den Begriff Apartheid mit dem jüdischen Staat in Verbindung zu bringen.

Was diejenigen, die Israel einen Genozid vorwerfen, nicht selten verschweigen: Auch der Hamas-Angriff stellt »höchstwahrscheinlich ein internationales Verbrechen des Völkermordes dar«, wie Hunderte Rechtsexperten verschiedener Universitäten weltweit in einem offenen Brief schrieben. Die Terroristen hätten offenbar eine nationale Gruppe - die Israelis - vernichten wollen. Für die Amadeu Antonio Stiftung gehört ins Umfeld von Antisemitismus, wenn Israel zum alleinigen Aggressor gemacht und dabei die Komplexität der regionalen Konflikte ignoriert werden.

© dpa-infocom, dpa:240227-99-143818/4