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»American Dirt« - Bewegendes Buch oder »Trauma-Porno«?

Vorschuss in Millionenhöhe, Lob von renommierten Schriftstellern und Aufnahme in Oprah Winfreys begehrten Lesezirkel: »American Dirt« sollte der gefeierte Bestseller des Jahres in den USA werden - doch jetzt gibt es um Roman und Autorin eine erbitterte Kontroverse.

Jeannie Cummins' »American Dirt«
Amerika diskutiert über Jeannie Cummins' Buch »American Dirt«. Foto: -/rowohlt/dpa
Amerika diskutiert über Jeannie Cummins' Buch »American Dirt«. Foto: -/rowohlt/dpa

New York (dpa) - Drei Bücher hatte Jeanine Cummins geschrieben, keines davon verkaufte sich besonders gut. Doch dann kam »American Dirt«. Ein Roman über das Schicksal einer mexikanischen Mutter, die mit ihrem Sohn vor Drogengewalt und Korruption unter Lebensgefahr in die USA flieht.

In Zeiten verschärfter Einwanderungsgesetze und neuer Mauern an der US-mexikanischen Grenze unter US-Präsident Donald Trump ein aktuelles und viel diskutiertes Thema weltweit.

Schon die Ankündigung des Romans im vergangenen Jahr sorgte dann auch für Wirbel in der US-Literaturwelt: Zahlreiche Verlage hätten sich einen Bieter-Wettstreit geliefert, bevor Flatiron Books für eine siebenstellige Summe den Zuschlag bekommen habe, heißt es. Renommierte Bestseller-Autoren wie Don Winslow, Stephen King und Sandra Cisneros feierten das Buch schon vor dem offiziellen Erscheinungstermin. »So schnell habe ich die Seiten schon lange nicht mehr umgeblättert«, jubelte der Krimi-Autor John Grisham.

Die beliebte TV-Moderatorin Oprah Winfrey suchte »American Dirt« für ihren Lesezirkel aus, was in den USA einem literarischen Ritterschlag gleichkommt - und ein Buch schon alleine zum Bestseller macht. Der Verlag Flatiron erhöhte die Mitte Januar erschienene Erstauflage von 300.000 auf 500.000 Exemplare. Eine deutsche Ausgabe ist bereits in Arbeit und soll am 21. April im Rowohlt-Verlag erscheinen.

Erste Besprechungen in US-Medien waren weitgehend positiv. Sie wolle mit dem Roman eine Diskussion über Einwanderungspolitik anstoßen und »eine Hintertür in eine größere Unterhaltung darüber öffnen, wer wir als Land sein wollen«, sagte Autorin Cummins. Eine Lesereise mit vielen Terminen im ganzen Land wurde angesetzt.

Doch dann kamen die ersten kritischen Stimmen, vor allem online: Die in Spanien geborene und in den USA aufgewachsene Cummins habe zwar eine Großmutter aus Puerto Rico, identifiziere sich aber als weiß - was befähige sie also dazu, ein solches Buch zu schreiben? Sie nutze das Leid der Migranten aus, um daraus einen »Trauma-Porno« für eine von Weißen dominierte Literatur-Industrie zu machen, lautete der harsche Vorwurf.

Die Charaktere in dem Buch seien klischeehaft beschrieben, hieß es. Kritiker stießen sich zudem daran, dass das Cover des Buches - blaue Blumen und Stacheldraht - zu Dekorationszwecken verwendet wurde, beispielsweise bei einer Party oder auf Fingernägeln, und Cummins dies gutzuheißen schien. »Mein Buch-Cover sah noch nie so gut aus«, kommentierte die Autorin ein Foto einer Fingernagel-Maniküre mit Stacheldraht und blauen Blumen.

»Das Problem ist nicht, dass eine Nicht-Mexikanerin über Migration schreibt«, sagte der aus Mexiko in die USA eingewanderte Schriftsteller Marcelo Hernandez Castillo der »New York Times«. »Das Problem ist, dass das Thema grob bastardisiert wird und andere, die auch darüber geschrieben haben und schreiben, ausgelöscht werden.« Auch der US-mexikanische Autor Ilan Stavans sagt, es gehe »nicht so sehr darum, wer die Geschichte erzählt, sondern wer sie verkauft. Wenn von 100 Büchern von Mainstream-Verlagen 25 von Latinos wären, dann würde sich niemand beschweren.«

Der Flatiron-Verlag und die Buchzirkel-Gründerin Winfrey reagierten auf die Kritik und versprachen, den ausführlichen Diskussionen über das Buch ernsthaft zuzuhören - und auch über die fehlende Vielfalt in der Literatur-Industrie nachzudenken. Die Lesetour von Autorin Cummins wurde direkt nach dem Auftakt wegen Sicherheitsbedenken wieder abgesagt. In den sozialen Medien verstummte die Schriftstellerin zunächst.

Das Buch müsse für sich selbst stehen, hatte sie zuvor noch gesagt. »Wenn die Menschen es lesen und dann entscheiden, dass sie hassen, was auf den Seiten steht, dann ist das OK. Nicht jeder muss mein Buch lieben.« Finanziell hat sich die Diskussion für Cummins sowieso schon gelohnt. Wie wohl fast jede Buch-Kontroverse treibt auch diese die Verkaufszahlen in die Höhe. »American Dirt« steht stapelweise in fast allen US-Buchläden und an der Spitze der Bestseller-Liste der »New York Times«.

Webseite der deutschen Version bei Rowohlt

Webseite von Cummins

New York Times

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