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Aktuell Fahrbericht

Vollelektrischer Volkswagen

Der VW ID.3 könnte bei Städtern zum Erfolg werden, sobald das Ladenetz ausgebaut ist

Der ID.3 ist kompakt, handlich, schnell – und alltagstauglich, wenn Strom in der Nähe ist. FOTO: ISO
Der ID.3 ist kompakt, handlich, schnell – und alltagstauglich, wenn Strom in der Nähe ist. FOTO: ISO
Der ID.3 ist kompakt, handlich, schnell – und alltagstauglich, wenn Strom in der Nähe ist. FOTO: ISO

REUTLINGEN. Eigentlich hat er das Zeug zu einem echten Volkswagen: Der neue VW ID.3 ist ein kompaktes, wendiges Auto für Stadt und Land, das leicht zu handhaben und für so ziemlich jede Alltagssituation praktisch ist – wenn da nicht das sehr löchrige Netz an Ladestationen im Land wäre. Denn ein Stromspender sollte sich in Reichweite des ID.3 befinden, er ist ausschließlich elektrisch fahrbar.

Mit Chic vom Dach bis zu den Felgen in Hellgrau- und Anthrazittönen gestylt, bei kompakten Ausmaßen und einem rundum gefälligen Erscheinungsbild steht die sogenannte Kombilimousine da, nachdem sie der nette Fahrer des Transporters aus Wolfsburg abgeladen hat. Für die knapp 600 Kilometer vom Hersteller bis zum GEA genügt die Reichweite des Elektroautos nicht, denn je nach Batteriekapazität des Modells und Fahrweise liegt sie laut Werk bei 250 bis 550 Kilometern. Doch für einen städtischen Alltag sollte das allemal genügen, dafür wurde der ID.3 auch vorrangig konzipiert.

In bequemen, robust wirkenden Stoffsitzen nehmen wir in der Version VW ID.3 1st Max E-Motor 150 kW Platz. Der Blick fällt auf zwei über den Armaturen schwebende Bildschirme: mittig das Display für Navigation, Multimedia und Fahrzeugeinstellungen; frontal der Bordcomputer mit Angaben zu Tempo, Reichweite, Stromverbrauch und aktiven Fahrassistenten – wovon einige an Bord sind.

Auf Knopfdruck ertönt ein leises elektronisches Surren, mit gutem Abzug bewegt sich der Stromer von dannen. Gänge wechseln entfällt, da der ID.3 nur eine Ein-Gang-Automatik hat, die an einem schicken Drehschalter über dem Lenkrad aktiviert wird. Das genügt, um flott voranzukommen, ein 150 kW/204 PS starker Elektromotor steht uns zur Verfügung.

Halbautonomes Fahren

Besonders spannend: der »Travel Assist«. Dieser auf Hebeldruck am Multifunktionslenkrad aktivierte Fahr-assistent ermöglicht halbautonomes Vorwärtskommen. Dabei liegen die Hände locker am Lenkrad, das völlig selbstständig agiert und das Auto in der Spur hält, wenn der Mittelstreifen und die Seitenlinie vorhanden sind. Wenn plötzlich keine mehr da oder bei schlechtem Wetter nicht mehr sichtbar sind, fährt der Wagen geradeaus weiter. Der Fahrer, die Fahrerin muss also immer am Ball bleiben, obwohl die Hände im Schoß liegen könnten. Der Travel Assist hält in Kombination mit der Auto-matischen Distanzregelung einen Sicherheitsabstand zum Vordermann passend zur Geschwindigkeit, deren Obergrenze über den Tempomat festgelegt wird. Das ist alles leicht und intuitiv bedienbar.

Dieses halbautonome Fahren ist ein Zusammenspiel verschiedener Assistenten, Radarsensoren und Kameras, wie es bereits aus anderen Modellen bekannt ist. Mitfahrer sind dennoch beeindruckt, wenn das Auto komplett selbstständig agiert, lenkt, bremst und Gas gibt – bis zum massiven Signal in Verbindung mit der Aufforderung, die Hände ans Lenkrad zu tun. Schließlich hat der Fahrer, die Fahrerin die Verantwortung, wenn’s kracht, und nicht das System. Zur Sicherheit gibt es noch einen Notbremsassistenten sowie eine Fußgänger- und Radfahrererkennung, die den Front Assist veranlasst, zu bremsen. Darüber hinaus ist eine Ausweichunterstützung an Bord, die um Hindernisse herum lenkt und bei Bedarf nur einzelne Räder abbremst.

Der Travel Assist ist ab 30 km/h aktivierbar, bei 160 hat der ID.3 seine Höchstgeschwindigkeit erreicht. Er fährt leise, bei Bedarf schnell, ist handlich zu bewegen und leicht zu bedienen.

Verschiedene Fahrmodi lassen sich wählen: von sportlich über komfortabel, mit entsprechend abgestimmtem Fahrwerk, bis hin zum Eco-Modus für stromsparende Fortbewegung, bei der sich die Klimaanlage und andere Annehmlichkeiten verabschieden. Eine vorausschauende Fahrweise und ein generell sachte getretenes Gaspedal helfen be-kanntlich auch, Strecke zu machen. Der aktuelle Ladestand der Batterie ist frontal ablesbar, beim Bremsen lädt sie durch Rekuperation wieder etwas auf. Apropos: VW hat für den Hecktriebler auf die veraltet geglaubte Trommelbremse für die Hinterräder zurückgegriffen, da Scheibenbremsen hinten bei einem Elektroauto mit Hinterradantrieb seltener voll belastet sind und eher Rost ansetzen.

Laden will geplant sein

Geht der Strom zur Neige, empfiehlt sich, rechtzeitig nach einer Ladesäule Ausschau zu halten. Wir machen zunächst die Erfahrung, dass jene neben dem Reutlinger Finanzamt nur bedingt tauglich ist: Zunächst schluckt sie Kleingeld bei einem satten Preis von 50 Cent je Kilowattstunde – an der heimischen Steckdose wären gut 30 Cent je kWh fällig. Das Ladekabel mit dem passenden Stecker aus dem Kofferraum lässt den Strom in unsere 58 kWh-Hochvoltbatterie fließen. Leider zeigt die Säule nicht an, wie lange der Ladevorgang fürs reingeworfene Geld dauern wird. Ungeschickt, denn Parken an einer Ladesäule, ohne Strom zu zapfen, kann ein Knöllchen zur Folge haben. Naja, dann riskieren wir das eben und gehen zur Arbeit.

Um es vorwegzunehmen, einen Strafzettel hatten wir nicht, aber auch keine volle Batterie, da uns die Übung im Umgang mit kWh fehlt. Die Schnellladesäule an der Tankstelle fünf Fahrminuten weiter leistet uns ein paar Tage später übersichtlichere Dienste und lädt die Batterie in 20 Minuten auf rund 80 Prozent auf – wobei wir nicht leer ankamen, denn wir haben schon erlebt, dass eine Ladesäule außer Betrieb war, obwohl laut Internet geöffnet. Seither lassen wir es bei einem Stromer generell nicht mehr auf die letzten Meter Reichweite ankommen.

Am bequemsten ist es natürlich, eine Ladestation in der eigenen Garage zu haben, eine sogenannte Wallbox. Dann kann der Wagen über Nacht aufgeladen werden. An der normalen Steckdose geht das auch, von Fachleuten wird allerdings davon abgeraten, insbesondere bei einem älteren Stromnetz im Haus.

Ebenfalls bequem: Für Ungeübte leistet die Einparkhilfe mit grafischen Hilfslinien vorn und der Kamera am Heck gute Dienste. Und für den Wocheneinkauf oder fünf Personen mit kleinem Gepäck hat der ID.3 genügend Stauraum.

Was in unserem Testwagen noch nicht an Bord war, will VW jetzt im ID.3 und demnächst im neuen SUV ID.4 einführen: ein Head-up-Display mit Augmented-Reality-Funktion – soll heißen, zum einen werden wichtige Infos wie das aktuelle Tempo, vom System erkannte Verkehrszeichen und Symbole der Navigation und des Travel Assist auf die Windschutzscheibe wie ein Band projiziert, wobei die Infos etwa drei Meter vom Fahrer entfernt zu schweben scheinen. Zum andern soll es über dieser Infoleiste eine Projektion geben, die wie zehn Meter entfernt wirkt und die Abbiegepfeile sowie andere Angaben von Navigation und Assistenzsystemen anzeigt.

Drei Modellvarianten

Das Modell ID.3 gibt es ab 31 495 Euro mit drei Batteriegrößen in den Varianten Pure, Pro und Pro S, wobei dann noch aus einigen vorkonfigurierten Modellen und Ausstattungslinien ausgewählt werden kann.

Der Pure hat eine Einstiegsbatterie mit 45 kWh Leistung und eine Reichweite laut VW von 250 bis 350 Kilometern. Der ID.3 Pro mit der mittelgroßen 58 kWh-Batterie schafft 300 bis 420 Kilometer. Der Pro S mit einer 77 kWh großen Batterie erreicht 390 bis 550 Kilometer, so der Hersteller. Die Beschleunigungswerte liegen zwischen 7,3 und 9,6 Sekunden von null auf 100 km/h.

Während der Stromverbrauch beim Einstiegsmodell ID.3 Pure mit 13,8 bis 13,1 Kilowattstunden auf 100 Kilometer angegeben wird, sind es beim leistungsstärksten Pro S laut Werk 14,1 bis 13,5 kWh Stromverbrauch auf 100 Kilometer.

Hoher Energieaufwand

Der CO2-Ausstoß liegt beim Fahren des ID.3 wie bei jedem E-Auto zwar bei Null, aber »für die Produktion eines Elektroautos, insbesondere der Batterie, wird mehr Energie benötigt als bei einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor«, so der Hersteller. Und: »Das Einsparpotenzial bei der Nutzung hängt vom Strom ab, mit dem das Elektroauto geladen wird – also bestenfalls mit Ökostrom.«

Der Grundpreis des ID.3 in Höhe von 31 495 Euro kann sich im Vergleich zu sonstigen Elektroautos am Markt sehen lassen, ist aber von einem echten Wagen fürs Volk noch ein paar Tausend Euro entfernt. Doch beim Neuwagenkauf kann der staatliche Umweltbonus in Höhe von bis zu 9 000 Euro beantragt werden (www. bafa.de), wodurch das Basismodell bei 22 495 Euro liegt.

Zudem wird der ID.3 laut VW alle drei Monate über W-LAN oder das Mobilfunknetz mit Updates versorgt. Auch damit hofft der Hersteller, dass seine bei der Markteinführung geäußerte Absicht, den ID.3 zu einem Erfolgsmodell wie den Golf machen zu wollen, wahr wird. (GEA)